Die Linke: Neuanfang für Totgesagte

Das Spitzenduo Carola Rackete und Martin Schirdewan auf dem Europaparteitag der Linken in Augsburg. Foto: Martin Heinlein / Die Linke

Europaparteitag in Augsburg bestätigt Spitzenteam. Eine Kandidatin irritiert mit Äußerung zu DDR-Vergangenheit und Namensänderung – und rudert zurück.

Mit Carola Rackete, die sich als parteilose Aktivistin bisher vor allem für Klimaschutz und Geflüchtete eingesetzt hat, und dem Sozialmediziner Gerhard Trabert hat Die Linke zwei Personen mit Symbolkraft in ihr Spitzenteam für die Europawahl 2024 geholt. Sie stehen für Politikfelder, die in der öffentlichen Debatte, aber auch im Streit unter Linken häufig gegeneinander ausgespielt wurden.

Während Rackete von "linkskonservativen" Kritikern vor allem als Magnet für eine eher kleine "woke" Zielgruppe betrachtet wird, steht Trabert als Arzt, der Obdachlose und Menschen ohne Krankenversicherung behandelt, sehr explizit für die soziale Frage.

Zur Europawahl tritt der Parteilose auf Listenplatz vier der Linken an – nach Ko-Parteichef Martin Schirdewan auf Platz ein, Carola Rackete auf Platz zwei und Özlem Alev Demirel auf Platz drei.

Beachtenswert ist, dass Trabert auf dem Europaparteitag an diesem Wochenende in Augsburg mit 96,8 Prozent die meiste Zustimmung der Delegierten erhielt. Schirdewan auf Platz eins überzeugte "nur" 86,9 Prozent, Rackete auf Platz zwei 77,8 Prozent und Demirel 62,0 Prozent.

Dass Trabert erst auf Platz vier antritt, ist wohl auch der Regel im Statut geschuldet, dass ein Mann auf Platz eins – in diesem Fall Schirdewan – nur in Frage kommt, wenn die zwei folgenden Plätze mit Frauen besetzt werden.

Schirdewan galt allerdings als "gesetzt"; Ko-Parteichefin Janine Wissler ist Mitglied des Bundestags und hatte sich nicht als Europakandidatin beworben, während Schirdewan und Demirel bereits 2019 als Spitzeduo der Linken ins EU-Parlament eingezogen sind.

Linke soll "zurück auf die Erfolgsspur"

Auf dem Parteitag in Augsburg erklärten Wissler und Schirdewan das lange Kapitel um die Abspaltung des "linkskonservativen" Lagers um Sahra Wagenknecht für beendet.

"Dieser Parteitag ist ein Startschuss", sagte Wissler am Freitag. Schirdewan betonte, die Partei werde "zurück auf die Erfolgsspur" kommen, wenn sie Geschlossenheit, gegenseitigen Respekt und innerparteiliche Solidarität zeige.

Nach jahrelangem, zu großen Teilen öffentlich ausgetragenem Streit habe die Linke "gerade eine Zäsur erlebt", so Schirdewan. "Das hat unsere Glaubwürdigkeit beschädigt, das hat unser Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern beschädigt." In der jetzigen Situation liege aber auch eine "große Chance" zur Stärkung der Linken.

Die Auflösung der Bundestagsfraktion nach dem Parteiaustritt von Wagenknecht und neun weiteren Abgeordneten nannte Schirdewan einen "bitteren Verlust". Die Linke bleibe aber die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität, betonte er. "Wenn alle anderen Parteien nach rechts marschieren, dann bleiben wir links."

Rackete kannte die Parteigeschichte nur lückenhaft

Es zeichnet sich aber auch ab, welche inhaltlichen Diskussionen bisher durch den Streit mit Wagenknecht, der sich vor allem um Migrations- und Klimapolitik drehte, überlagert worden waren.

Carola Rackete etwa sagte am Rand des Parteitags dem Portal Zeit Online, der Linken "würde es helfen, sich noch mal konsequent von ihrer SED-Vergangenheit zu distanzieren und das wirklich aufzuarbeiten". Es gebe immer noch "Leute, die das abschreckt".

Später ruderte sie auf der Plattform X, ehemals Twitter, zurück und gab zu, die Parteigeschichte nicht allzu detailliert zu kennen: "Da hat eine unbedachte Äußerung von mir mehr Aufmerksamkeit bekommen, als die eigentlichen Inhalte des Interviews."

Die Linke habe ihre Vergangenheit aufgearbeitet, schrieb Rackete und verwies auf eine Rede bei einem Parteitag der Vorläuferpartei SED/PDS 1989, die ihr leider unbekannt gewesen sei. "Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System", hatte der PDS-Politiker Michael Schumann damals klargestellt.

Der Hinweis auf die Vergangenheit werde ihr trotzdem immer noch als Grund genannt, warum Menschen sich nicht mit der Partei identifizieren wollten, so Rackete. "Meine Meinung ist es nicht", stellte sie klar.

Für Häme hatten die Äußerung und Racketes Vorschlag, Die Linke könne von ihr aus auch umbenannt werden, vor allem im "Wagenknecht-Lager" gesorgt.

Geteilte Meinungen, wer die einzige linke Partei ist

Auch dort wird davon ausgegangen, alle anderen Parteien würden nach rechts gehen, während das "Bündnis Sahra Wagenknecht" die einzige linke Partei gründen wolle, die realistische Chancen hat, im nächsten Bundestag vertreten zu sein.

Der Partei Die Linke, die nun zwar grafisch ihr Logo, aber nicht ihren Namen ändert, wird seit Monaten der Untergang vorhergesagt – vor allem von kürzlich erst Ausgetretenen. Der Parteivorstand gab aber bisher an, seit dem Austritt von Wagenknecht und Co. vor wenigen Wochen mehr Neueintritte als Austritte verzeichnet zu haben. In den Umfragen der letzten Wochen lag Die Linke bei vier bis fünf Prozent.

Das "Wagenknecht-Lager" soll laut Umfragen im Fall einer erfolgreichen Parteigründung mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen können. Die Ausgetretenen werfen der Linkspartei seit längerem vor, die soziale Frage zugunsten "woker" Themen zu vernachlässigen, während der Parteivorstand eine "verbindende Klassenpolitik" anstrebt und im Sommer ein "Sofortprogramm für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt" veröffentlicht hat.

In ihrem Europawahlprogramm fordert Die Linke zur Beseitigung sozialer Schieflagen unter anderem die Abschaffung der "Schuldenbremse", einen höheren Mindestlohn und die Einführung der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich.

Letzteres hat sich auch die Gewerkschaft IG Metall auf die Fahnen geschrieben. Zumindest für eine Aussetzung der Schuldenbremse plädierte zuletzt auch SPD-Chefin Saskia Esken- Dies dürfte aber innerhalb der Ampel-Koalition schwer durchzusetzen sein.