Die Linke: Totgesagte leben länger – wenn sie jetzt alles richtig machen
Die Absetzbewegungen von Sahra Wagenknecht werden als Ende der Linkspartei interpretiert. Dabei kann die Trennung eine Chance sein. Wenn die "Restlinke" sich einen Fehler verkneift.
Das angebliche Wissen der Bild-Zeitung über die bevorstehende Gründung einer neuen Partei mit Sahra Wagenknecht an der Spitze hat die Politikerin klar dementiert. Vor Jahresende ist demnach nicht mit einer Entscheidung zu rechnen. Zu der Überlegung bekennt sich Wagenknecht schon länger – allerdings gebe es keinen neuen Stand, erklärte sie am Sonntag gegenüber Telepolis. Die Bild-Schlagzeile vom Wochenende entspreche nur der Meinung eines Journalisten.
Allerdings drängt die Zeit, denn die Legislaturperiode ist fast zur Hälfte vorbei – und inhaltlich gibt es zu große Differenzen in ihrer Noch-Partei Die Linke, um ernsthaft daran zu glauben, dass beide Hauptströmungen erfolgreich in einem Wahlkampf zusammenarbeiten könnten.
Vom Ende oder vom "Tod der Linkspartei" wird im Zusammenhang mit Wagenknechts Absetzbewegungen immer wieder gesprochen – nicht nur von der Bild. Tatsächlich ist völlig unklar, ob es im Herbst 2025 überhaupt noch eine Kraft links von den Ampel-Parteien im Deutschen Bundestag geben wird.
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Der Dauerstreit um Themen wie den Umgang mit Geflüchteten oder die Dringlichkeit effektiver Klimaschutzmaßnahmen hat Die Linke schon bei der letzten Bundestagswahl fast den Wiedereinzug ins Parlament gekostet. Nur dank drei Direktmandaten ist sie dort mit 4,9 Prozent noch als Fraktion vertreten.
Grüner als die Grünen, aber sozial
Deshalb wäre es fair gegenüber zwei Gruppen von Wahlberechtigten und politisch aktiven Menschen, wenn es diesbezüglich bald klare Verhältnisse gäbe. Nicht nur das Umfeld des "Wagenknecht-Flügels" wünscht sich das, sondern auch einige Mitglieder, die den Kurs des Parteivorstands unterstützen.
Aus dem "Wagenknecht-Lager" ist oft zu hören, der Parteivorstand mache Die Linke überflüssig, kümmere sich zu wenig um soziale Gerechtigkeit am Wirtschaftsstandort Deutschland und wolle "grüner als die Grünen" sein.
Letzteres ist in Zeiten der Umwelt- und Klimakrise alles andere als überflüssig, findet aber natürlich mehr Akzeptanz, wenn es sozial gerecht gestaltet wird. Der Vorstand der Linken jedenfalls wehrt sich entschieden gegen ein solches "Entweder-Oder" und bestreitet, die Probleme der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland aus den Augen verloren zu haben.
Die Energie- und Verkehrswende will er tatsächlich ambitionierter angehen als die Ampel-Regierung inklusive der Grünen. Wie das gehen soll, hat er inzwischen in einem Sofortprogramm für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt dargestellt.
Warum die Zielgruppe der "Restlinken" größer sein könnte als gedacht
Eine Zielgruppe dafür gibt es durchaus – und sie ist auf alle Fälle groß genug für den Wiedereinzug in den Bundestag. Wenn Wagenknecht den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan vorwirft, der aktuelle Kurs der Linkspartei richte sich nur an "junge Klimaaktivisten", übersieht sie, dass deren Anliegen von zahlreichen Menschen verschiedener Altersgruppen geteilt wird, die sich nur nicht alle selbst vom Mercedes-Showroom abseilen oder auf die Straße kleben.
Für diese Aktionsform haben laut einer Umfrage 13 Prozent der Bevölkerung Verständnis – dass die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz tut, meinen laut einer aktuellen Umfrage aber immerhin 51 Prozent, von denen die meisten auch daran interessiert sein dürften, dass effektivere Maßnahmen sozial ausgestaltet werden. Diese Menschen haben ein Recht auf ein wählbares Angebot; und zwar eines, das sie ohne Bauchschmerzen wählen können. Die Grünen sind es nicht. Wagenknecht ist es auch nicht.
Welcher Stimmenanteil sich daraus für Die Linke ergeben könnte, wenn Wagenknecht sich trennt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Unter anderem davon, ob die Trennung nicht zu spät kommt und Die Linke danach alles richtig macht, ob sie souverän ihr eigenes Profil schärft und in der Auseinandersetzung mit Wagenknecht "cool" bleibt.
So bald die Trennung vollzogen ist, gibt es keinen Grund mehr, auf jeden Satz von ihr zu reagieren, der nicht dem eigenen Programm entspricht. Klarstellungen, was links ist, sind im öffentlichen Diskurs leider oft nötig – aber ein fortgesetzter "Rosenkrieg" mit persönlichen Anwürfen zwischen Wagenknecht und der Linken würde eher dem rechten Lager nützen.
Einer noch fiktiven Wagenknecht-Partei wurden in Umfragen schon zweistellige Ergebnisse vorausgesagt. Richtig ist, dass ihre Zielgruppe nicht links sein kann, wenn sie vor allem Wahlberechtigte im Blick hat, die "notfalls" auch AfD wählen würden, um ihrem Frust gegen die Ampel-Parteien Ausdruck zu verleihen. Solange Wagenknecht aber nicht alle anderen Parteien von rechts überholt, gibt es für Die Linke keinen Grund, in ihr den Hauptfeind zu sehen, nur weil sie gewissermaßen die verhasste Ex ist.
Nervöse AfD und ein neuartiges "Querfront"-Gerücht
Aus antifaschistischer Sicht könnte ihre mögliche Neugründung auch ganz entspannt als "Bad Bank" für potenzielle AfD-Stimmen betrachtet werden. Nicht ohne Grund reagiert gerade die AfD zunehmend gereizt auf die Gründungsgerüchte.
Wenn die linke Kritik an Wagenknecht zeitweise emotional überzogen war, hat das auch mit ihrer Fallhöhe zu tun: Sie galt einmal als schönstes Gesicht des Kommunismus und wollte nicht um jeden Preis den deutschen Stammtisch für sich gewinnen, sondern den Traum von von einer besseren Welt – nicht nur den von einem sozialeren Standort Deutschland – aufrecht erhalten.
Verglichen damit hat sie sich nach rechts entwickelt – aber es wäre falsch, so zu tun, als stünde sie deshalb besonders weit rechts im politischen Koordinatensystem Deutschlands. Die AfD halluziniert Wagenknecht, die sich längst dem Ordoliberalismus zugewandt hat, sogar immer noch als "Marxistin-Leninistin":
Wer Angst hat, dass die Ampel unserer Wirtschaft den Garaus macht- und dann eine Marxistin-Leninistin wählt, die "wirtschaftliche Vernunft" betont und damit "staatliche "Kontrollorgane" meint, "die überwachen, was Betriebe herstellen und was nicht"- der wird in der DDR aufwachen.
Beatrix von Storch, AfD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag, Quelle: X, ehemals Twitter
Diese Wahrnehmung zeigt wieder einmal, dass die AfD wirtschaftspolitisch von allen Bundestagsparteien der FDP am nächsten steht, was kürzlich auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt hat.
Wagenknechts Ordoliberalismus ist aber zum Beispiel nach Meinung der sächsischen Linke-Politikerin Kerstin Köditz auch nicht links, sondern nur die Kombination aus Kapitalismus und starkem Staat. Der Vorstand der Linken schlägt im Sofortprogramm für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt tatsächlich die Vergesellschaftung großer Energiekonzerne als Möglichkeit vor, um den Staat bei der Energiewende handlungsfähig zu machen. Das geht in Richtung System "Change – not Climate Change".
Daraus, dass weder die "Restlinke" noch die AfD auf Wagenknecht gut zu sprechen sind, wird in "Sozialen Netzwerken" bereits ein "Anti-Wagenknecht-Hufeisen" konstruiert. Das ähnelt frappierend Reflexen im Umfeld der Grünen, die auch sehr schnell eine "Querfront" wittern, wenn sie sowohl von rechts als auch von links kritisiert werden.
Eine Zusammenarbeit zwischen Kräften, die eine Person oder Gruppe aus völlig entgegengesetzten Gründen kritisieren, ist allerdings schwer vorstellbar.