Richtungsstreit: Wie viel Populismus verträgt Die Linke?

Sahra Wagenknecht. Der Schriftzug im Hintergrund könnte für die Rednerin bald nicht mehr aktuell sein. Foto: Die Linke / CC-BY-2.0

Ex-Parteichef Riexinger nennt Verhalten des Wagenknecht-Lagers "bisschen erbärmlich". Parteivize Schubert spricht von "Verachtung der Wählerschaft". Worum es dabei im Kern geht.

Der Bruch innerhalb der Linkspartei sei vom Lager um die Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht längst vollzogen, meint Ex-Parteichef Bernd Riexinger. "Ein Teil der Fraktion sitzt deswegen auf gepackten Koffern", sagte der langjährige Gewerkschafter diese Woche dem Spiegel. "Aber diese Abgeordneten müssen warten, bis Frau Wagenknecht bei ihrer möglichen Parteigründung den Daumen rauf oder runter zeigt." Das finde er "ein bisschen erbärmlich".

Parteivize Katina Schubert widersprach mit deutlichen Worten der inhaltlichen Kritik aus dem "Wagenknecht-Lager", die unter anderem von der Noch-Fraktionschefin im Bundestag, Amira Mohamed Ali, zum Ausdruck gebracht worden war.

Verbunden mit der Ankündigung, nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren, hatte Mohamed Ali am 7. August erklärt, der aktuelle Kurs der Parteiführung treibe "die Linke zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit". Der Vorstand wolle in erster Linie enttäuschte Grünen-Wähler gewinnen. So könnten nicht diejenigen erreicht werden, für die linke Politik gemacht werden solle. Gemeint ist die breite Masse der Bevölkerung, in der Abstiegs- und Existenzängste zunehmen.

Katina Schubert, die für Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, befürchtet dagegen eine opportunistische Anbiederungshaltung, die von den Wahlberechtigten nicht zwangsläufig belohnt würde, wenn Die Linke bereit wäre, den Ratschlägen von Wagenknecht und Mohamed Ali zu folgen:

"Es offenbart doch ein grundfalsches Verständnis von Politik, zu glauben, man würde dies oder das nur tun, um diese oder jene Wählerinnen und Wähler zu gewinnen", sagte Schubert nun der Berliner Zeitung. "Es offenbart auch eine ziemliche Verachtung für die Wählerschaft. Die sind doch nicht blöd und laufen jedem hinterher, der ihnen nach dem Mund redet."

Was heißt "Leute da abholen, wo sie stehen"?

Im Kern geht es darum, ob es einen wirklich linken Populismus überhaupt geben kann – und wenn ja, wie er aussehen müsste. Es geht um den schmalen Grat zwischen Opportunismus und Sektierertum. In diesem Richtungsstreit der Linken, der über die gleichnamige Partei hinausgeht, ist häufig die Aussage zu hören, sie müssten die Leute da abholen, wo sie stehen.

Das ist sicher nicht falsch – es heißt aber gerade nicht, sich einfach nur dazu zu stellen, ihnen verständnisvoll auf die Schulter zu klopfen, einen Flyer mitzugeben und auf ein dankbares Wahlverhalten zu hoffen.

"Abholen" schließt Überzeugungsarbeit mit ein – im Fall einer linken Partei für linke Inhalte. Dazu gehört soziale Gerechtigkeit. Deshalb sind aber noch lange nicht alle Wahlberechtigten mit begründeten Abstiegsängsten links. Rechte Parteien werben um diese Zielgruppe mit scheinbar einfacheren Lösungen – auf Kosten von Minderheiten, ärmeren Ländern und der natürlichen Lebensgrundlagen kommender Generationen.

Es fehlt bezahlbarer Wohnraum? – Die AfD verspricht zwar keine wirksamere Mietpreisbremse, aber sie verspricht eine Abschiebeoffensive, damit sich in Zukunft weniger einkommensschwache Menschen um bezahlbaren Wohnraum in Deutschland bewerben.

Es fehlt Geld für Soziales, Gesundheit und Bildung? – Die AfD verspricht zwar nicht mehr Geld für diese Bereiche, aber dafür Kahlschlag in Bereichen, die sie für überflüssig hält – wie etwa Klimaschutz und Entwicklungshilfe.

Einige verbinden damit scheinbar die vage Hoffnung, dass das eingesparte Geld ja irgendwie gewinnbringend in den Wirtschaftsstandort Deutschland investiert werden könnte und ein "Trickle-Down-Effekt" schon dafür sorgen wird, dass auch etwas davon bei den "kleinen Leuten" ankommt.

Warum das überhaupt kein Automatismus ist, versuchen Linke seit Jahrzehnten zu erklären. Sahra Wagenknecht könnte das gut – sie hat sich auch bis vor einigen Jahren genau auf solche Fragen konzentriert, ohne ständig das Engagement ihrer Parteifreunde in Sachen Ökologie und Antirassismus schlecht zu reden.

Letzteres tut sie aber seit einiger Zeit verstärkt – in ihrem Buch "Die Selbstgerechten" sprach sie in diesem Zusammenhang von "skurrilen Minderheiten" – und sie schließt sich im Grunde dem Mantra bürgerlicher Parteien an, dass zu viel Klimaschutz den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet. Der Unterschied ist nur, dass sie für mehr soziale Gerechtigkeit an diesem Standort eintritt.

In ihrer "Vision für Deutschland", die sie im Mai dieses Jahres in der Schweizer Weltwoche vorstellte, kommt die ökologische Krise nicht als dringend zu lösendes Problem vor. Stattdessen erwähnt sie am Rande "die Klimakleber" als einen von vielen Störfaktoren für einen solide funktionierenden Staat.

Damit spricht sie sicher einigen genervten Autofahrern aus der Seele, die sich in ihrem Alltag nicht mit den Folgen des Normalwahnsinns auseinandersetzen wollen, auf den die "Klimakleber" mit umstrittenen Protestmethoden hinweisen. Letztere machen sich bei der Mehrheit unbeliebt. Sie verzweifeln daran, dass die Bundesregierung nicht auf den Weltklimarat, die Vereinten Nationen und das Bundesverfassungsgericht hört und ein Großteil der Bevölkerung auch gerade keinen Nerv dafür hat.

Aber die Frage ist, ob Linke die Mentalität der Verdrängung von bleibenden und wachsenden Problemen fördern sollten, nur um Wählerstimmen zu bekommen – und wie sie dann im Fall einer Regierungsbeteiligung die Probleme lösen würden, oder auch nicht.

Noch auf der Seite der Aufklärung?

Zu viel Verständnis für die Verdrängungsgesellschaft im Namen eines linken Populismus gerät hier in Konflikt mit dem Anspruch der Aufklärung. Linke standen aber traditionell auf der Seite der Aufklärung und gegen Irrationalismus. Insofern müssten sie hier Überzeugungsarbeit leisten, wenn auch in einer populären, gut verständlichen Sprache. Nur so könnte ein linker Populismus aussehen, falls der Begriff nicht generell "verbrannt" und untauglich ist.

Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hat mit einer Streitschrift die Frage aufgeworfen, inwiefern ein guter, linker Populismus möglich und sogar nötig ist, um mit linken Inhalten überhaupt eine Chance gegen rechte Populisten zu haben. Sie selbst antwortet darauf mit einem klaren Ja.

Das Problem des Sprachgebrauchs ist allerdings in Deutschland, dass die AfD nicht nur als rechtspopulistisch, sondern auch oft verkürzt als populistisch bezeichnet wird. Antifaschistische Linke halten zum Teil beides für verharmlosend. Abgesehen davon wird Populismus heute aber im deutschsprachigen Raum zunehmend mit rechter Ideologie oder zumindest Rechtsoffenheit in Verbindung gebracht.

Neoliberale nutzen "Populismus" aber auch gerne als Kampfbegriff, um jede Art von Politik zu diskreditieren, die sich tatsächlich oder vermeintlich noch um die Mehrheit der Bevölkerung schert. Egal, ob dies tatsächlich oder nur vorgeblich der Fall ist – und ob es gegen benachteiligte Minderheiten oder gegen die Privilegien einer reichen Minderheit geht.

"Vox Populi, Vox Rindvieh" ist ein beliebter Spruch abgehobener Akademiker, die beispielsweise sagen, wer gegen neoliberale Reformen sei, verstehe einfach nichts von Wirtschaft – auch wenn diese Reformen schlicht gegen die Interessen der Mehrheit gerichtet sind.

Kurz nach der Jahrtausendwende wurde der linke venezolanische Präsident Hugo Chávez von Neoliberalen auf der Nordhalbkugel als gefährlicher Populist gebrandmarkt – unter anderem, weil er bereit war, viel Geld für den Ausbau des Gesundheitssystems und eine große Bildungsoffensive in die Hand zu nehmen. Diese Politik wurde ihm als Bestechung der Bevölkerung mit sozialen "Geschenken" ausgelegt, die nur dem eigenen Machterhalt diene.

Wo die Mächtigen meinen, das nicht nötig zu haben, weil sie ja ohnehin die Guten sind und jederzeit die Bereitschaft zum Verzicht fordern können, wird es allerdings gefährlich. Wenn es dann keine glaubwürdige Linke Antwort gibt, schlägt die Stunde der Rechten.

Insofern muss auch genau hingeschaut werden, wer wem Populismus vorwirft und warum. Ein billiger Populismus, der globale Gerechtigkeitsfragen und die ökologische Krise völlig ausblendet, kann aber niemals links sein.