"Die Menschen sind Teil eines Systems, das von Denkmaschinen gesteuert wird"

Seite 2: "Ich möchte das Recht haben, falsch parken zu können"

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Was sind die Folgen für die Menschen?

Stefan Aust: Die direkten Folgen kann jeder spüren, der sich bei einem Unternehmen bewirbt. Ich gehe davon aus, dass in vielen Unternehmen erst einmal geforscht wird, ob der oder die Betreffende möglicherweise eine persönliche Webseite betreibt und ob er oder sie eine Facebook-Seite hat. Welche Auswirkungen derlei auf den Einzelnen hat, kann man ganz deutlich sehen, wenn etwas davon justitiabel wird.

Zum Beispiel bei dem NSU-Prozess. Dort wollte die Generalbundesanwaltschaft Informationen über den Angeklagten Ralf Wohlleben einholen, weswegen sie sich an die NSA gewandt hat, die dessen kompletten Internet-Verkehr inklusive Facebook-Auftritt gespeichert hatte. Diese Informationen besitzt jetzt die Generalbundesanwaltschaft.

Jetzt ist es freilich richtig, bei einem mutmaßlichen Straftäter persönliche Daten auszuwerten - wie es auch richtig ist, in einem Mordfall Fingerabdrücke zu nehmen. Wenn aber flächendeckend die Fingerabdrücke von allen genommen werden, so dass man die Person jederzeit zuordnen kann, ist das eine andere Sache. Heutzutage ist es technisch ganz leicht möglich - und es wird ja auch bereits teilweise gemacht, in ein Auto eine Blackbox einzubauen, die jederzeit registriert, wohin man mit dem Auto gefahren ist, mit welcher Geschwindigkeit man gefahren ist und ob man falsch geparkt hat. Ich finde zwar schon, dass sich jeder im Straßenverkehr sich gesetzeskonform verhalten soll, aber ich möchte trotzdem (auch wenn sich das seltsam anhört) das Recht haben, auch einmal falsch parken oder zu schnell fahren zu können.

Sind diese Entwicklungen politisch gewollt?

Stefan Aust: Die Frage lässt sich nicht einfach beantworten, es gibt hier verschiedene Ebenen. Wenn es politisch gewollt wäre, würde das bedeuten, dass es eine spezielle Institution gibt, die bestimmte Anweisungen gibt. Das ist eindeutig nicht der Fall. Das viel schwierigere Problem ist, dass sich solche Strukturen und Tendenzen verselbständigen und eine Eigendynamik entwickeln, weil die Unternehmen mit dem Datenhandel unendlich viel Geld verdienen können, was dazu führt, dass diese immer phantasievoller und ihre Überwachungsmodelle immer genauer werden, weswegen die Überwachung der Menschen zunimmt.

Inwiefern arbeiten Google, Facebook und Amazon mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammen?

Stefan Aust: Diese Unternehmen versuchen sich in jeder Diskussion darauf hinauszureden, dass sie von den amerikanischen Behörden gehackt werden. Das ist aber nur begrenzt der Fall, weil die amerikanische Gesetzeslage eine Zusammenarbeit mit den Behörden vorschreibt und die Unternehmen verpflichtet, ihnen einen Einblick in diese Datenbestände zu gewähren. Das Problematische daran ist, dass es hier sehr viele personelle Überschneidungen gibt. Wie aus der Karriere von Edward Snowden hervorgeht, landen viele Leute, die aus dem Regierungsapparat (zum Beispiel aus der NSA) kommen, in einer Computerfirma oder in einem Beratungsunternehmen oder umgekehrt.

Wie sieht die rechtliche Situation in Deutschland aus? Müssten diese Konzerne in puncto Einhaltung der Datenschutzbestimmungen nicht von deutscher Seite überprüft und gegebenenfalls gemaßregelt oder bestraft werden?

Stefan Aust: Ich glaube, die Gesetzeslage hat nicht Schritt gehalten mit dem, was technisch machbar ist. Es muss neu darüber nachgedacht werden, was erlaubt ist und was nicht. In Wirklichkeit wird das Recht auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten, wie es das Verfassungsgericht im Urteil über die Volkszählung vorgeschrieben hat, längst jeden Tag millionenfach überschritten.

Man muss die Gesetzeslage an das anpassen, was heute technisch möglich ist. Das Wichtigste ist, dass die Menschen überhaupt kapieren, auf was sie sich hier einlassen. Vielleicht gibt es dann eine Bewegung wie beim Bio-Essen, wo es sich die Menschen etwas kosten lassen, dass ihre Datenschutzrechte, ihr E-Mail-Verkehr und ihre Telefonate nicht mehr so leicht überwacht werden können, wie bisher.

Inwiefern hängt diese Totalüberwachung der Menschen mit ihrer zunehmenden Unterordnung unter wirtschaftliche Belange zusammen?

Stefan Aust: Ich weiß nicht, ob das früher wirklich anders gewesen ist - auf alle Fälle erreicht diese Unterordnung eine völlig neue Dimension. Wir haben im Grunde die zweite große technische Revolution: Die industrielle Revolution ersetzte die Muskelkraft durch Maschinen und diese ersetzt die Kraft des Gedächtnisses durch Speicherkapazitäten und diese sind so weit durch Algorithmen miteinander verbunden, dass sie quasi wie menschliches Denken funktionieren. Das führt dazu, dass Menschen nicht Teil einer Maschine, sondern Teil eines Systems sind, das von Denk-Maschinen gesteuert wird. Sie müssen nur durch die Stadt gehen und sich ansehen, wie die Menschen wie gebannt auf ihr iPad starren und sich von dem zeigen lassen, wohin sie gehen müssen.

Wie massiv wird die Demokratie durch diese Prozesse beschädigt und warum steht die deutsche Politik dieser Entwicklung so hilflos gegenüber?

Stefan Aust: Ich glaube, dass die Politik den Eindruck hat, sie hätte den Anschluss verloren, weil die Zentren dieser neuen Entwicklung vor allem in Silicon Valley, also in den USA liegen. Deswegen denken sie im Wesentliche darüber nach, diese Entwicklung einzuholen - und nicht darüber, wie wir hier in Deutschland unseren persönlichen und staatlichen Sicherheitsbereich gegen die Allmacht der großen Computerfirmen abschirmen können.

Wenn die Politik zusieht wie die demokratischen Rechtsgrundlagen mehr oder weniger ad absurdum geführt werden: Wie muss die Gesellschaft reagieren?

Stefan Aust: Die Gesellschaft muss zuerst einmal realisieren, was alles überwacht und abgehört wird und für was man diese Datenbestände benutzen kann. Sie muss darauf achten, dass einzelne Firmen wie Google nicht total übermächtig werden. Der Zugriff auf die Daten muss auf alle Fälle erschwert werden. Vielleicht gibt es ja bald Angebote von Firmen, bei denen die Kommunikation nicht ohne weiteres überwacht werden kann (wie beispielsweise unser Telephongespräch jetzt). Es muss einen privaten Raum geben, bei dem man sich zumindest halbwegs sicher sein kann, dass dieser nicht ohne weiteres ausgespäht werden kann. Das ist aber eine Frage an den Gesetzgeber.

Müsste die Position von Whistleblowern rechtlich gestärkt werden?

Stefan Aust: Für die USA ist ein Whistleblower ein Verräter, der gegen die Gesetze seines Unternehmens verstößt. Aber es gibt ganz einfach Tatbestände, bei denen es notwendig ist, gegen Gesetze zu verstoßen und eine Information an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein Whistleblower muss sich hier rechtlich zu seiner Verteidigung auf höherwertige Dinge als die jeweilige Betriebsverfassung berufen können.

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