"Die Mutter alles Bösen ist die Spekulation!"
"Steroid Banking" in Zeiten des Untergangs: Zu viel Moral, zu wenig Gekko - die "Ninja"-Generation, Massenvernichtungswaffen und Oliver Stones "Wall Street"-Fortsetzung in Cannes
Dieser Film ist auch ein PR-Wunder: Die Fortsetzung von "Wall Street" nach 20 Jahren ist ein offen hochaktueller Film zur Finanzkrise. Stones Kino war schon öfters ein Seismograph seiner Zeit - man darf sehr gespannt sein, was bleiben wird von diesem Film, in dem Michael Douglas noch einmal in eine sehr prägnantesten Rollen schlüpft.
"What is the definition of insanity? Doing the same thing over and over again and expect a different result."
Dialogsatz aus "Wall Street 2 - Money Never Sleeps"
Es gibt einen besonders schönen Moment in "Wall Street 2 - Money Never Sleeps": Als Gordon Gekko, bekanntlich gespielt von Michael Douglas, sich einmal bei einem Londoner Edel-Herrenausstatter richtig gut einkleidet, sieht man im Hintergrund ein Photo an der Wand. Es ist Schwarzweiß, bestimmt schon 50 Jahre alt, und zeigt Michael Douglas Vater Kirk. Nur ein kurzer Moment, aber auch eine Hommage des Sohns an den Vater, dessen Erbe er angetreten hat als glamouröser Edelschurke des Kinos.
Irgendwie ist dieser Film selber auch einfach wieder eine klassische Vatersuche. Die Geschichte eines kleinen Jungen, der groß wird mithilfe eines Ersatzvaters und Mentors, der ihn fördert, ihm viel beibringt und ihn im richtigen Augenblick in die Welt entlässt. Und dann, als dieser Ersatzvater stirbt, zu Tode gehetzt von Hyänen, sucht sich der kleine Junge, welcher der junge Mann im Herzen noch ist, einen neuen Ersatzvater, stärker und mächtiger noch als der erste. Mit dessen Hilfe rächt er den Tod des ersten nun an den Hyänen.
Das klingt archaisch. Und ist es auch. Wie bei nahezu allen Filme von Oliver Stone geht es auch hier im Kern um einen Sohn und seine Väter, um den Tod des Vaters, der auch Befreiung ist, und doch die Abhängigkeit des Sohnes noch verstärkt.
Nullensummenspiele der Finanzhaie
"Wall Street", das war 1987 der ultimative Film zur neuen Finanzwelt, zum neokonservativen Gegenmodell zum Rheinischen Kapitalismus, zur Ablösung des Produktions-Paradigmas durch das Rendite-Paradigma, zur Welt der Broker und Yuppies, zu den neuen Werten, die mit der neokonservativen Revolution der Thatchers und Reagans gerade am Entstehen war. Die brachte Oliver Stone gerade auf den Punkt, als das Modell bereits wieder zu verschwinden schien, im Strudel des ersten großen Börsencrash von '87.
"Wall Street" war vor einem Vierteljahrhundert einer der repräsentativen Filme der Dekade. Michael Douglas als sardonisch-schurkischer, zugleich charmant-faszinierender Finanzhai Gordon Gekko war ein prophetischer Charakter, in vielem stilbildend, und das nicht selten gegen die Intentionen seines Schöpfer-Regisseurs: Die Hosenträger wie die Sprüche ahmten die Yuppies der 90er nach: "Greed is good" ("Gier ist gut"), wer kennt das nicht? Oder: "If you need a friend, get a dog." Oder: " It's a zero sum game, somebody wins, somebody loses. Money itself isn't lost or made, it's simply transferred from one perception to another." Vor allem aber die Analysen des Finanzmarkts, die der Film im Aphorismenstil bot, und die bis heute gültig sind, die oft wie Schönfärberei wirken:
The richest one percent of this country owns half our country's wealth, five trillion dollars. One third of that comes from hard work, two thirds comes from inheritance, interest on interest accumulating to widows and idiot sons and what I do, stock and real estate speculation. It's bullshit. You got ninety percent of the American public out there with little or no net worth. I create nothing. I own. We make the rules, pal. The news, war, peace, famine, upheaval, the price per paper clip. We pick that rabbit out of the hat while everybody sits out there wondering how the hell we did it. Now you're not naive enough to think we're living in a democracy, are you buddy? It's the free market. And you're a part of it. You've got that killer instinct.
Da mag sich der deutsche Regisseur Christoph Hochhäusler in seinem aktuellen Blog auch noch so sehr über Stone mokieren und "Wall Street" dramaturgische Defizite vorwerfen. Hochhäusler ist klug und macht tolle Filme, aber das muss er erstmal bringen, in so einer einzigen Szene die Essenz einer Ideologie und ihres Zeitalters auf den Punkt bringen, filmisch übrigens auch. Hochhäusler sagt gerne, Botschaften müsse man mit der Post schicken. Aber das ist nur ein Spruch, inhaltlich Unsinn, weil Filme immer Botschaften enthalten, auch im Verzicht auf sie. Der wäre dann zuende gedacht auch eine Selbstaufgabe des Mediums. Stone, und das ist ihm gar nicht hoch genug anzurechnen, versucht dagegen immer Botschaften per Kino zu transportieren. Das ist nicht subtil, aber die Probleme bei Stone liegen nicht in der Beschreibung, sondern im Moralismus, darin, dass er dem verfällt, was wer anklagt. Dazu unten mehr.
Blitzkrieger des Kapitalismus
Der Gekko von 1987 war ein Blitzkrieger des Kapitalismus, aus heutiger Sicht wirkt der Gekko der 80er aber weniger wie ein Vorbote unserer Gegenwart als wie ein nostalgisches Relikt.
Diese Figur war ein "Richard III." für unsere Gegenwart, charmant, dämonisch, einer der in diesem Fortsetzungsfilm von sich selbst sagt, er habe ein Ego "im Maßstab der Antarktis". Und in der Temperatur muss man hinzufügen: Für seine Kälte ist man ihm in Hassliebe verbunden. Psychologisch ist er getrieben von der Lust an der Selbstzerstörung, ein Mann, der sich gerne demontiert sieht. Ein Süchtiger, der um die Gefahren weiß, aber selber nicht loskommt. Davon handelt der Film, aber darum geht es auch bei Stone selbst. In der Figur Gekko liegt die Identifikation, und so ist "Wall Street 2: Money Never Sleeps" gewissermaßen auch eine Selbstthematisierung.
"Wall Street" war auch Panorama eines Milieus in dem Geld und Korruption regieren, und zugleich dessen Satire: Charlie Sheen als kleiner Ehrgeizling im Großraumbüro, seine penetrante Anbiederung, die Feinschmeckertempel, die Tavern on the Green im Central Park, die Auktionshäuser, wo man signierte Statussymbole erwirbt, die Luxusappartements als narzisstische Kathedralen aus Glas, Chrom und Schwarz - über all dem symbolhaft die Türme des World Trade Center. Stone setzte den Kontrapunkt zu einer Zeit, in der Hollywood den Yuppie zum Mythos erhob: Mit Filmen wie "Das Geheimnis meines Erfolges" und "Karriere mit links". Stone wusste, wovon er redet: Er ist der Sohn eines Börsenmaklers. Es geht daher in diesen beiden Filmen, mehr noch als sonst auch um Stones eigene Vatersuche. Und um die Revolte gegen die Berufswelt des Vaters, gegen die Jagd nach dem Geld, gegen das bloße "Geschäftemachen".
Auch dies ist Milieuschilderung: Das Geschäftemachen, das Unverständnis für Asiaten, die Fixiertheit darauf, dass der Kunde am Ende "on the hook" ist. Der Besuch einer New Yorker "Die Kunst der Samurai"-Ausstellung und die anschließende Dinner-Party: Da gehen alle hin aus Manhattans Upper Class. Die New Yorker Society mit Schmuck behängt, frisch geliftet, ihre Mode. Auch hier dann der permanente Männerhahnenkampf, ein permanentes verachtenswertes aber typisches Abklopfen auf Siegermentalität - Motorradrennen und Dekadenz -, der "hard talk" der Alphatiere, "You stop telling lies about me, then I stop telling the truth about you.", überhaupt der Jargon. Vierles ist grell, karikierend, die Fonds heißen "Hydra" und "Locust".
"Are we going under?" - "Who isn’t?"
Gekko ist hier nun nach 8 Jahren Knast wegen Insiderhandels und reingelegt von alten Kollegen ein Saulus, der den Paulus gibt: Er wendet sich an die Jugend von heute: "You’re all pretty much fucked. You’re the Ninja generation. No income, no jobs, no assets. You have a lot to look forward to." Er erinnert an die Tulipomania im 17 Jahrhundert - "but who remembers?".
Er erklärt uns Zuschauern das "Steroid Banking", das bankrotte Geschäftsmodell, das sich wie Krebs immer weiter ausbreitet und die ganze Erde zerstört. "The mother of all evil is speculation", hören wir. "Was Greed good? Today Greed is legal." Gekko sagt, was wir immer schon dachten: "Is everybody out there nuts?" Dieser Populismus birgt gewiß auch Gefahren, aber nicht alles ist falsch, bloß weil es einfach klingt. Die Spekulanten als Massenvernichtungswaffen - das hatte man in einem Hollywoodfilm noch nicht gehört.
Am vielleicht besten Dialog ist Gekko daher unbeteiligt: "Are we going under?" - "Who isn’t?" Nicht in das Szenario passt dagegen Shia LaBeouf als braver Lieblingsschwiegersohn: brav, zahm, kein Wolf, keiner Versuchung auch nur im Kopf nachgebend, entsprechend interessiert an sauberer all-amerikanischer Ehe… Das ist mindestens zu dick und zu unironisch aufgetragen.
Der Film weist auf Perversionen des Finanzmarktes hin: "We make the money with the losses? How can you make money with the losses?" und darauf, dass hier zunehmend die Maschinen das Handeln von Menschen steuern, und dass persönliche Geschäftsbeziehungen durch unpersönliche ersetzt werden. Dass man wahnsinnig viel Geld machen kann, wenn man gegen die Bubble wettet.
Und im Schnellkursstil erklärt der Film auch die Finanzkrise: Wie 1929, nur schneller sei das, erklärt ein alter Banker. Und zur Rettung durch den Staat gibt es folgenden, sehr schönen Dialog: "Selling this to congress is the problem." - "Scare them." - "How?" - "Tell them the truth." - "This is the biggest sellout in history." - "If we don't do it, there will be no history."
Das Reich zerfällt, die Reichen bleiben
Man sieht dem Film alles in allem jederzeit an, wie fasziniert Oliver Stone selbst von dieser Welt ist, die er in Form einer präzisen Sozialstudie zeigt und anklagt; wie fasziniert er von ihrer Energie und von ihrem Stil ist. So ist "Wall Street 2" zugleich deutlich von der Lust an seinem Gegenstand geprägt - was Stone dann mit viel Moralismus überkompensiert. Die Rahmenhandlung mit dem begabten jungen Broker (Shia LaBoef), der als Gekko-Schwiegersohn in Spe mit diesem ein Komplott gegen einen alten Feind schmiedet, bleibt überaus blass. Der Film entscheidet sich nicht recht zwischen Satire, Pamphlet und Moral-Kantate - mit dem Ergebnis, dass er am Ende ein wenig zwischen allen Stühlen zu sitzen scheint.
In der letzten Szene noch einmal Family Values: "We are all mixed beings." Man wird den Vater nicht los. Spätestens beim Geld knickt jede Moral ein. Wie hoch ist Dein Preis? Das kann sich jeder fragen. Oliver Stone zeigt Helden, die das Gleiche tun wie die Schurken. Auch sie machen Geld mit Spekulation, vernichten ihre Gegner durch Gerüchte. Nur eben für die richtige Sache. Für saubere Energie, ungeborene Kinder, die Familie - dirty old men's Kitsch.
Das weiß auch Stone besser. Die Antwort auf alle offenen Fragen gibt Gekko: "Just three words: Buy my book!". Buy my film!
"True capitalism is about desaster", heißt ein letzter Satz des Films. Stone zeichnet ein Untergangsszenario. Nicht Richard III. ist diesmal das Muster, sondern "King Lear". Das Reich zerfällt, die Reichen bleiben. Und die Väter.