Die NATO feiert mit
Am Dienstag findet mit der "Kiel-Conference" eine maritime NATO-Tagung quasi als Beiwerk der als Volksfest beliebten Kieler Woche statt
Es ist ein Event der Superlative: die weltgrößte Segelregatta, das größte Sommer-Volksfest in Nordeuropa, und nun auch noch die erste "Kiel Conference", eine NATO-Tagung mit Vertretern aus Wirtschaft, Hochschule, Politik und Militär. Diese unverhohlene Vermischung von Massen-Bespaßung und militärischen Interessen, einseitigen zumal, ruft Widerspruch hervor.
So ruft ein breites Bündnis für Dienstag zu einer Protest-Demonstration unter dem Motto War starts here - Keine Kriegs-Konferenz in Kiel! auf.
Kunst, Kultur und internationale Spezialitäten
Alljährlich in der letzten vollständigen Woche im Juni lockt die Kieler Woche mehrere Millionen Besucherinnen und Besucher an. Seit vielen Jahren bietet sie ein umfangreiches Programm, in diesem Jahr mit über 2.000 Einzelveranstaltungen, unter anderem Auftritte internationaler Künstlerinnen und Künstler, die in rund 300 Konzerten auf 16 Bühnen Live-Musik bieten. Daneben gibt es auf kleineren Bühnen Darbietungen zahlreicher lokaler Gruppen.
Der NDR hat dort ebenso eine Live-Bühne wie andere lokale Radio-Sender. Menschen aus 34 Nationen bieten Kunst, Kultur und kulinarische Genüsse, die von Menschen aus 70 Nationen konsumiert werden.
Das ist sicher im Sinne des damaligen Kieler Oberbürgermeisters Andreas Gayk (SPD), der 1948 den Anspruch der Kieler Woche 1948 folgendermaßen formulierte:
Über alle Grenzen der Nationen und Parteien hinweg soll die "Kieler Woche" uns ein Gemeinsames geben: Das Bekenntnis zur Humanität, das Bekenntnis zur Menschlichkeit und das Bekenntnis zum Frieden.
Gute Referenz für Olympia
Auch wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung größtenteils untergeht - oder zumindest stark vernachlässigt wird: die Kieler Woche ist die größte Segel-Regatta der Welt.
Am 23. Juli 1882 starteten 20 Yachten zu einer Regatta vor Düsternbrook. Des großen Erfolgs wegen wurde die Regatta in den folgenden Jahren wiederholt. So fanden zwei Jahre später die Segelwettfahrten bereits über eine ganze Woche verteilt statt. Der Name 'Kieler Woche' entstand durch einen Journalisten, der diese Veranstaltung 1894 in der Presse erstmals so benannte. … 1892 lagen erstmals 100 Anmeldungen zur Regattateilnahme vor.
Die Kieler Woche als Sportereignis wuchs und wuchs. Während des 1. Weltkriegs wurde sie indes ausgesetzt, erst ab 1920 wurde wieder gesegelt. Die Nazis wussten das zum sportlichen Großereignis angewachsene Event für ihre Zwecke zu nutzen. 1936 war Kiel erstmals Austragungsort der Olympischen Segel-Wettbewerbe.
Ab 1940 wurden diese erneut ausgesetzt. Nach dem Krieg erlangte die ursprüngliche rein sportliche Veranstaltung zunehmend Volksfest-Charakter, mit dem von Gayk formulierten Anspruch der Völkerverständigung.
1972 wurde zum zweiten Mal die olympischen Segel-Wettbewerbe in Kiel ausgetragen. Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD), der gemeinsam mit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) und dem Schauspieler Axel Prahl die Kieler Woche eröffnete, möchte gern an diese (unselige) Tradition anknüpfen.
Kiel hat sich im Wettstreit mit Cuxhaven, Lübeck und Rostock als Segel-Standort für die Olympischen Spiele 2024 durchgesetzt, die auszutragen die Hansestadt Hamburg sich beworben hat. Er möchte die Kieler Woche nutzen, um für Olympia zu werben, so Kämpfer im NDR. Trotz leerer Kassen hat die Stadt an der Ostsee sich die Olympia-Bewerbung einiges kosten lassen, und wird auch künftig in dieses Projekt, bzw. dessen Planung, investieren.
Wie übrigens Hamburg auch. Die Kosten allein für die Bewerbung als Olympia-Stadt bewegen sich in mehrstelliger Millionenhöhe: 50 Mio. € kalkuliert der Hamburger Senat für die Bewerbungskosten, und insgesamt etwa 1 Mrd € für die Durchführung der Spiele. In den Medien wird indes mehr als die zweifache Summe (vorsichtig) geschätzt.
Militärparade statt Völkerverständigung
Mit dem Sport ist es so eine Sache, dem Segelsport zumal. Schon längst laufen neben Schiffen von Vereinen und Initiativen sowie privaten Yachten alljährlich auch Kriegsschiffe ein. In diesem Jahr werden 30 ausländische Marine-Schiffe mit 3.000 Soldatinnen und Soldaten an Bord erwartet. Die russische Marine wurde davon allerdings ausgeschlossen.
Im Rahmen der Kieler Woche veranstaltet die Uni Kiel, bzw. das dort angesiedelte "Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel" (ISPK) in Zusammenarbeit mit einem "Exzellenzzentrum" der NATO erstmals die Kiel-Conference - quasi das maritime Gegenstück zur Münchner Sicherheitskonferenz. In geschlossener Runde diskutieren dabei Vertreter aus Militär, Industrie, Wissenschaft und Politik darüber, wie im Ostseeraum Krieg mit Minen geführt werden könne.
Damit wird die Kieler Woche immer mehr zur Kriegs-Show, in deren Rahmen die größten NATO-Manöver in der Ostsee seit Ende des Kalten Krieges stattfinden. Ein breites Bündnis hat sich zusammengeschlossen, um dagegen zu protestieren. "Wir wollen, dass die Kieler Woche nicht dem Krieg dient, sondern sich an dem orientiert, was der Kieler Oberbürgermeister Andreas Gayk 1948 formulierte", hießt es in dem Aktions-Aufruf, der u.a. vom DGB, DFG-VK und die Linke unterstützt wird.
"Die Konferenz, die bewusst zu einem Zeitpunkt durchgeführt wird, in der so viele Manöver in der Ostsee stattfinden, wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr, ist eine neue Stufe in der Militarisierung dieses Sport- und Kultur-Events", erläutert Lorenz Gösta Beutin, Historiker und Mitarbeiter der Linken-Fraktion im Bundestag im Regionalbüro Nord (Kiel), gegenüber Telepolis:
Konkret bedeutet das: Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Militär und Rüstungsindustrie sprechen über die sicherheitspolitische Situation im Ostseeraum und die möglichst effektive Anwendung von Waffensystemen, wie beispielsweise Minen. Dahinter steht die Idee, begrenzbare bewaffnete Konflikte im Ostseeraum seien wieder möglich und führbar geworden.
Insbesondere die Parteinahme der Wissenschaft für militärische Konfliktlösungen wird von dem Friedens-Bündnis kritisiert. "Die enge Verzahnung mit dem sicherheitspolitischen Institut der Universität Kiel, und damit die unmittelbare Einbindung von Forschung und Lehre in geostrategische und militärische Planungen, ist ein Novum", betont Beutin.
Problematisch sei, so der Friedens-Aktivist weiter, dass diese Konferenz in der weltpolitisch angespannten Lage eine eindeutige Positionierung zugunsten der NATO bedeutet. "Und das in einer Stadt, die sich als Mitglied in den Mayors for Peace eigentlich der Friedensarbeit verschrieben hat."
NATO-Exzellenz ... was?
Die Militarisierung der Zivilgesellschaft schreitet mit großen Schritten voran: Ein internationales Sport-Turnier, begleitet von einem Massen-Kultur-Event, wird als Bühne für die Präsentation militärischer Macht und als Startschuss für eine regelmäßige maritime NATO-Konferenz genutzt. Mit veranstaltet vom "Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters" (COE CSW) der NATO, das 2007 in Kiel gegründet wurde.
Die so genannten "Centers of Excellence" (COE) wurden 2002 auf dem NATO-Gipfel in Prag im Rahmen der Debatte über deren Umstrukturierung beschlossen.
"Diese Exzellenzzentren bezeichnen sich selbst als "internationale militärische Organisationen", die außerhalb der Kommandostruktur der NATO stehen und agieren", heißt es dazu in dem Newsportal pressejournalismus.com.
Gegenwärtig existieren 20 akkreditierte COE, die in verschiedenen Feldern Führungskräfte ausbilden, die Doktrin weiterentwickeln, Erfahrungen und Lehren aus den bisherigen Einsätzen identifizieren und Konzepte erproben sollen. Als erstes COE wurde das von Deutschland im Jahr 2004 eingerichtete Exzellenzzentrum Luftstreitkräfte (Joint Air Power Competence Centre - JAPCC) in Kalkar am Niederrhein im Jahr 2005 vom ACT mit Deutschland als Rahmennation zertifiziert.
Im Jahr 2006 folgten unter türkischer Führung das Exzellenzzentrum 'Verteidigung gegen Terrorismus' (Defence Against Terrorism - DAT), unter belgisch-niederländischer Führung das Exzellenzzentrum Minenkriegsführung (Naval Mine Warfare - NMW) in Belgien und unter US-amerikanischer Führung das Exzellenzzentrum für seegestützte Streitkräfte gemeinsame Operationen (Combined Joint Operations from the Sea - CJOS).
Im Jahr 2007 wurde unter deutsch-niederländischer Führung das Exzellenzzentrum für Zivil-Militärische Zusammenarbeit (Civil-Military Cooperation - CIMIC) in Enschede, im Jahr 2009 unter deutscher Führung das Exzellenzzentrum für Operationen in seichten Gewässern (Operations in Confined and Shallow Waters - CSW) in Kiel und im Jahr 2010 das Exzellenzzentrum Wehrtechnik (Military Engineering - MILENG) in Ingolstadt zertifiziert.
Zumindest am im Jahr 2008 zertifizierten Exzellenzzentrum zum Cyberspace (Cooperative Cyber Defence -CCD) und am im Jahr 2014 zertifizierten Exzellenzzentrum Militärpolizei (Military Police - MP) ist Deutschland als "Sponsoring Nation" beteiligt.
Apropos Olympia ...
Dass die NATO im Rahmen internationaler Sport-Veranstaltungen Konferenzen abhält, ist neu. Dass NATO-Verbände solche Events "schützen" hingegen nicht. Z.B. bei den Olympischen Spielen in Griechenland war die gesamte Mittelmeerflotte der NATO im Einsatz - unter Führung des deutschen Konteradmirals Hans-Jochen Witthauer.
Außerdem entsandte das Bundeskriminalamt (BKA) Beamte nach Athen, deren Aufgabe es war, für die Sicherheit der 730 deutschen Athletinnen und Athleten zu sorgen.
Im Vorfeld der olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 bot die NATO Russlands Präsidenten Putin Hilfe bei den Sicherheitsvorkehrungen an und stellte trotz Putins Ablehnung 2 Kriegsschiffe und mehrere Transportflugzeuge auf Abruf im Schwarzen Meer bereit.
Laut Handelsblatt kündigte Russlands Zivilschutzminister Wladimir Putschkow im Vorfeld eine Mannschaftsstärke von 23.000 Einsatzkräften an. Das Innenministerium hatte zuvor mitgeteilt, 37.000 Uniformierte abzustellen. Außerdem war das gesamte Stadtgebiet während der Spiele außer für Einwohnerinnen und Einwohner sowie Olympia-Touristinnen und -Touristen komplett gesperrt. Um das kontrollieren zu können, wurde ein Zuschauerpass ausgestellt, der gleichwertig mit den Ausweispapieren der Einheimischen den Zugang ermöglichte.
Protest in Zeiten der Terror-Hysterie
Für kommenden Mittwoch ruft das Bündnis zu einer Demonstration unter dem eingangs genannten Motto "War starts here" auf. Die Demo endet direkt in der Fun-Meile der Kieler Woche. Über ein Sicherheitskonzept seitens der Staatsmacht wurde bislang noch nichts bekannt. Auf dem Ordnungsamt wurde die Demo-Ankündigung indes gelassen aufgenommen:
Wenn die Kieler Woche politisch wird, müssen sich die Veranstalter nicht wundern, wenn darauf politisch reagiert wird.
Erst Mitte Mai 2015 wurde über die gesamte Kieler Innenstadt anlässlich des Besuchs des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin der Ausnahmezustand verhängt. Die 1.500 Beschäftigten von Staatskanzlei, Wirtschaftsministerium, Finanzministerium und Landtag waren von ihrem Dienst befreit worden. Für diejenigen, die trotzdem arbeiten wollten oder mussten, wurde eigens ein neuer Ausweis mit biometrischen Daten angefertigt.
Den Abgeordneten und Beschäftigten des Landtags wurde geraten, sich von den Fenstern des Parlaments besser fernzuhalten. Weil die im Regierungsviertel verteilten Scharfschützen im Zweifelsfall sicher nicht auf Anhieb zwischen Gut und Böse unterscheiden könnten …
Rivlin besuchte die TKMS-Werft (Thyssen-Krupp-Marine-Systems) am Förde-Ufer, um sich das 600 Mio. € teure U-Boot "Rahav" anzusehen. TKMS produziert seit Jahren U-Boote für Israel. Außerdem traf sich an der Uni mit 120 Studierenden und 40 Dozentinnen und Dozenten. 2000 Polizeibeamte waren im Einsatz für die Absicherung von "Israels Staatspräsident offenbar auf Shopping-Tour, mal eben ein paar U-Boote aussuchen", wie es NDR-Moderator Jan-Malte Andresen salopp nannte.
Das Sicherheits-Szenario stellte selbst das vom G7-Außenministertreffen in Lübeck in den Schatten. Die Kosten dafür betrugen ca. 30 Mio. €. Über die Kosten für das Rivlin-Spektakel gibt es indes nur Vermutungen.