Die Neue Hanse - alte Vorbehalte gegen Charlemagne?
Bündnis von baltischen und skandinavischen Ländern, der Niederlande und Irland gegen Deutschland und Frankreich
"Zurück ins Mittelalter" gilt nicht als vielversprechender Slogan, erst recht nicht für die Wirtschaft. Doch für ein Netzwerk innerhalb der EU soll dieser Appell Zukunft haben. "Neue Hanse" oder moderner: "Hanse 2.0" nennt sich der Verbund von baltischen, skandinavischen Ländern, der Niederlande und Irland, der vor einem Jahr von deren Finanzministern gegründet wurde.
Eine Referenz an den Verbund von Städten Nordeuropas im Späten Mittelalter, der den freien Handel in Nord- und Ostsee verteidigte und um das 14.-15. Jahrhundert den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte. Doch welche Rolle kann eine "Neue Hanse" spielen? Eine Initiative für einen freieren Handel oder vor allem ein Oppositionsverbund gegen Deutschland und Frankreich?
Die Idee ging von den Niederlanden aus. "Die Niederlande fühlte sich recht wohl im Dreieck zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien, nun sind wir eher am Rand", so ein niederländischer Diplomat in Polen angesichts des kommenden Brexits.
Gedacht ist die Neue Hanse auch als Gegenpol wirtschaftsliberaler Länder mit einer konservativen Steuerpolitik zu dem Entwurf des Eurozonen-Haushalt des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Den einzelnen Mitgliedsstaaten sollen in Finanzfragen mehr Mitspracherecht eingeräumt werden, es soll ein Europäischer Währungsfond geschaffen werden, der bedürftige Mitglieder unter die Arme greift. Die Mitglieder verlangen eine offenere Debatte um die Zukunft der Euro-Zone. Die Mitglieder der "Neuen Hanse" erwirtschaften derzeit 91 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Großbritannien. Möglicherweise wird die Neue Hanse in vielen wirtschaftspolitischen Fragen die Rolle des abgehenden Großbritannien "ersetzen".
Während Deutschland bislang verhalten reagiert, findet Frankreich die Initiative wenig lustig. Über einen "geschlossenen Club", über eine Schwächung der Einheit der EU, was sich auch auf das Auftreten gegen die Mächte USA und China auswirken könne, beschwerte sich Bruno Le Maire, der französische Finanzminister. Der Angegriffene, Wopke Hekstra, Initiator und Finanzminister der Niederlande, betonte jedoch, dass der Verbund allen offen sei, die seine Werte teilten.
Netzwerke gegen die Dominanz der starken Staaten
Vielleicht tritt auch Polen bald bei. Das regierungsnahe "Polish Economic Institute" äußert sich zumindest sehr angetan von der Initiative. Denn Polen baute stets auf Großbritannien als ein scheinbar unabhängigeres und Brüssel-skeptischeres Mitglied der EU. Nun wird von Warschau gefürchtet, dass viele internationale Firmen von London nach Paris und Frankfurt ziehen und die deutsch-französische Dominanz erstarken würde. Allerdings gilt auch Warschau als Finanzzentrum der östlichen EU-Staaten und als relativ attraktiver Standort.
Nach Sicht dieses Instituts werden Netzwerk-Leaderships die Zukunft Europas bestimmen und so die Dominanz starker Staaten, Deutschland und Frankreich ablösen. Die polnischen Wirtschaftswissenschafter glauben zudem, dass durch die Neue Hanse das Christentum in Europa als gemeinsames Erbe wieder stärker werde - auch dies steckt hinter dem Gedanke des "Neo-Mittelalters", den man in der Schrift des Instituts liest.
Es ist nicht das erste EU-Netzwerk. Es gibt bereits die "Drei Meere Initiative" innerhalb der EU, im Jahre 2016 von Polen und Kroatien gegründet, der 12 Staaten angehören. Sie hat einen Fokus auf Sicherheitsfragen angesichts der geographischen Nähe zu Russland. Zudem bekommt die Visegrad-Gruppe in den letzten Jahren wieder Gewicht, die 1991 von Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei (kurz vor der Auflösung) gegründet wurde. Dort besteht letztens vor allem Opposition zu einem "Kern-Europa" und zur Übernahme von Flüchtlingen. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte als besonderer Gast am Donnerstag in Bratislava die Differenzen etwas zu glätten.
Weiter gibt es noch das "Weimarer Dreieck", ein 1991 geschaffenes Forum für den Austausch zwischen Deutschland, Frankreich und Polen, deren "Wiederbelebung" immer mal wieder von hochrangigen deutschen Politikern versprochen wird, doch derzeit vor allem in Schüleraufsätzen und Jugendwettbewerben existiert.
Somit existieren innerhalb der EU drei Netzwerke oder Organisationen, die Gegengewichte zu Deutschland und Frankreich darstellen und ein deutsch-französisches-polnisches Netzwerk, das bezeichnenderweise nicht tätig ist. Dass Frankreich und Deutschland den "Weg weisen", wie Macron in Aachen kürzlich forderte, scheint immer mehr EU-Mitgliedern nicht zu gefallen.
Die Hanse als loser Städtebund existiert übrigens wieder seit 1980, dazu gehören auch drei englische Orte, die im Mittelalter mit der Hanse gehandelt hatten. Bei einem Besuch im Oktober 2016 im ostenglischen Boston wies ein konservativer Stadtrat, der für den Brexit gestimmt hatte, stolz darauf hin, dass 2015 Boston die Mitgliedschaft in der Hanse gewährt worden war.
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