"Die OPCW hat noch die Möglichkeit, sich selbst zu korrigieren"
Verhinderte Rede des ersten Generaldirektors der OPCW, José Bustani, über die Politisierung der Arbeit, Chemiewaffen in Syrien und einen Appell an seinen Nachfolger
Im UN-Sicherheitsrat haben die USA, Großbritannien, Frankreich und ihnen nahestehenden Mitgliedsstaaten am Dienstag eine Intervention von José Bustani, dem ersten Generaldirektor der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPVW), zu einem umstrittenen Bericht über einen mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien verhindert.
José Bustani sollte vor dem Sicherheitsrat zu einem mutmaßlich manipulierten Bericht (Der OPCW-Abschlussbericht und der angebliche Giftgasangriff in Duma) über einen Zwischenfall in der syrischen Stadt Duma am 7. April 2018 sprechen. Eine folgende Untersuchung der OPCW sorgt für anhaltende Konflikte in der Organisation. Autoren der Untersuchung werfen der OPCW-Leitung vor, die Aussagen so manipuliert zu haben, dass die syrische Luftwaffe verantwortlich gemacht werden konnte. Dafür seien eine Reihe von Erkenntnissen der Untersuchungsmission vor Ort beiseitegeschoben worden. Zahlreiche Leaks aus der OPCW haben die These inzwischen bestätigt.
Brisant ist die Debatte in der OPCW auch, weil die USA, Großbritannien und Frankreich nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff umgehend Ziele in Syrien bombardiert hatten. Die OPCW-Inspektoren fanden später Beweise, die gegen eine Täterschaft der syrischen Luftwaffe sprachen. Ihre Erkenntnisse wurden auf Druck der Organisationsleitung und der USA jedoch zensiert.
Vor dem UN-Sicherheitsrat stellte sich Bustani nun vor die OPCW-Inspekteure, die nach den Geschehnissen in Duma vor Ort waren. Zugleich drängte er den amtierenden Generaldirektor Fernando Arias die bislang zensierten Erkenntnisse öffentlich zu machen. Kritisiert worden war vor allem, dass der Bericht der OPCW über den mutmaßlichen Giftgasangriff in Duma im April 2018 von einem fast komplett neuen Autorenteam verfasst wurde, nachdem alle Mitglieder der Vor-Ort-Mission abgezogen worden waren. Nachdem diese Mitarbeiter mit ihrer Kritik intern nicht durchdrangen (Ex-OPCW-Inspekteur kritisiert Abschlussbericht über den Duma-Vorfall), kam es zu Leaks mehrerer interner Dokumente.
"Unter großem Risiko für sich selbst haben es (die Inspekteure) gewagt, sich gegen ein mögliches irreguläres Verhalten in Ihrer Organisation auszusprechen, und es liegt zweifellos in Ihrem, im Interesse der Organisation und im Interesse der Welt, dass Sie sie anhören", so Bustani zu Arias. "Unabhängig davon, ob die Bedenken, die im Zusammenhang mit dem Verhalten der OPCW bei der Duma-Untersuchung geäußert wurden, stichhaltig sind oder nicht, wäre es ein wichtiger erster Schritt zur Behebung des Imageschadens, den die Organisation erlitten hat, wenn Sie sich anhören würden, was Ihre eigenen Inspektoren zu sagen haben. Diese Inspektoren behaupten nicht, Recht zu haben, aber sie wollen eine faire Anhörung erhalten".
Telepolis veröffentlicht die Erklärung des ehemaligen OPCW-Generaldirektor in deutscher Übersetzung
Herr Vorsitzender, Herr Botschafter Vassily Nebenzia, Ihre Exzellenzen, verehrte Delegierte, meine Damen und Herren,
mein Name ist José Bustani. Ich fühle mich geehrt, eingeladen worden zu sein, eine Erklärung für diese Sitzung des UN-Sicherheitsrates zur Erörterung des syrischen Chemiewaffen-Dossiers und der (Arbeit der) Organisation für das Verbot chemischer Waffen abzugeben. Als erster Generaldirektor der OPCW, ein Amt, das ich von 1997 bis 2002 innehatte, habe ich natürlich weiterhin ein großes Interesse an Entwicklung und Schicksal der Organisation. Besonders interessiert haben mich die jüngsten Entwicklungen in Bezug auf die Arbeit der Organisation in Syrien.
Denjenigen unter Ihnen, die es nicht wissen, möchte ich sagen, dass ich nach einer von den USA initiierten Kampagne im Jahr 2002 meines Amtes enthoben wurde, ironischerweise, weil ich versucht hatte, das Chemiewaffenübereinkommen durchzusetzen. Meine Absetzung wurde später vom Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) für illegal erklärt. Trotz dieser unangenehmen Erfahrung liegt mir die OPCW nach wie vor am Herzen. Sie ist eine besondere Organisation mit einem wichtigen Mandat. Ich habe den Posten des Generaldirektors gerade deshalb angenommen, weil das Chemiewaffenübereinkommen allgemeingültig ist. Ich war sehr stolz auf die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Professionalität ihrer Inspektoren und des gesamten Personals bei der Umsetzung des Chemiewaffenübereinkommens. Kein Vertragsstaat sollte als über den anderen stehend betrachtet werden. Das Markenzeichen der Arbeit der Organisation war die Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer Größe, ihrer politischen Macht oder ihrem wirtschaftlichen Einfluss.
Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an der Spitze der Organisation stand, empfand ich große Freude, als der OPCW 2013 der Friedensnobelpreis "für ihre umfassenden Bemühungen um die Beseitigung chemischer Waffen" verliehen wurde. Es war ein Mandat, für das ich und zahllose andere ehemalige Mitarbeiter unermüdlich gearbeitet hatten. In den Anfangsjahren der OPCW standen wir vor einer Reihe von Herausforderungen, aber wir haben sie gemeistert, um der Organisation ihren wohlverdienten Ruf, effektiv und effizient zu arbeiten, zu verschaffen. Ganz zu schweigen von Autonomie, Unparteilichkeit und dem Widerstand gegen eine Politisierung. Die Entscheidung der ILO über meine Absetzung war eine offizielle und öffentliche Bekräftigung der Bedeutung dieser Prinzipien.
In jüngster Zeit haben die Untersuchungen der OPCW zu angeblichen Einsätzen chemischer Waffen die Organisation zweifellos vor noch größere Herausforderungen gestellt. Genau für solche Fälle hatten wir in strikter Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Chemiewaffenübereinkommens Arbeitsverfahren, Analysemethoden sowie umfangreiche Ausbildungsprogramme entwickelt. Wir hofften zugleich, dass unsere Vorbereitungen niemals erforderlich sein würden, um Vorwürfen des Einsatzes chemischer Waffen zu begegnen. Leider waren sie dafür erforderlich, und heute sind Behauptungen über den Einsatz chemischer Waffen eine traurige Realität.
Vor diesem Hintergrund steht nun die ernsthafte Frage im Raum, ob die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Professionalität einiger Arbeiten der Organisation nachhaltig beeinträchtigt wurden, möglicherweise unter dem Druck einiger Mitgliedstaaten. Besonders besorgniserregend sind die Umstände, unter denen die OPCW die Untersuchung des angeblichen Chemiewaffenangriffs in Duma, Syrien, am 7. April 2018 durchgeführt hat. Diese Besorgnis kommt aus dem Innersten der Organisation, von den Wissenschaftlern und Ingenieuren, die an der Untersuchung in Duma beteiligt waren.
Im Oktober 2019 wurde ich von der Courage Foundation, einer internationalen Organisation, die "diejenigen unterstützt, die ihr Leben oder ihre Freiheit riskieren, um einen bedeutenden Beitrag zur Geschichtsschreibung zu leisten", eingeladen, zusammen mit einer Reihe herausragender internationaler Persönlichkeiten aus den Bereichen Völkerrecht, Abrüstung, Militäroperationen, Medizin und Geheimdienst an einem Briefing teilzunehmen. Das Gremium wurde einberufen, um die Aussage eines besorgten OPCW-Funktionärs über die Durchführung der Untersuchung des Duma-Vorfalls durch die Organisation anzuhören.
Der Experte legte überzeugende Beweise für höchst fragwürdiges und möglicherweise betrügerisches Verhalten im Untersuchungsprozess vor. In einer gemeinsamen öffentlichen Erklärung äußerte das Gremium, und ich zitiere, "einstimmig seine Besorgnis über inakzeptable Praktiken bei der Untersuchung des angeblichen chemischen Angriffs in Duma". Das Gremium forderte die OPCW ferner auf, "allen Inspekteuren, die an der Duma-Untersuchung teilgenommen haben, zu gestatten, ihre abweichenden Beobachtungen in einem geeigneten Forum der Vertragsstaaten des Chemiewaffenübereinkommens in Übereinstimmung mit dem Geist des Übereinkommens vorzutragen und darüber zu berichten".
Ich war persönlich so beunruhigt über die dem Gremium vorgelegten Zeugenaussagen und Beweise, dass ich mich gezwungen sah, eine öffentliche Erklärung abzugeben. Ich zitiere: "Ich habe stets erwartet, dass die OPCW ein Musterbeispiel für Multilateralismus sein würde. Ich hoffe, dass die Bedenken, die das Panel in seiner gemeinsamen Konsenserklärung öffentlich geäußert hat, in einem Prozess münden, durch den die Organisation wieder zu der unabhängigen und fairen Einrichtung werden kann, die sie einmal war".
Die Forderung nach größerer Transparenz seitens der OPCW wurde im November 2019 lauter, als ein offener Brief zur Unterstützung der Erklärung der Courage Foundation an die Ständigen Vertreter bei der OPCW gesandt wurde, um "um (ihre) Unterstützung für Maßnahmen auf der bevorstehenden Konferenz der Vertragsstaaten zu erbitten, die darauf abzielen, die Integrität der OPCW wiederherzustellen und das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen".
Zu den Unterzeichnern dieser Petition gehörten Persönlichkeiten wie Noam Chomsky, emeritierter Professor am MIT; Marcello Ferrada de Noli, Vorsitzender der schwedischen Ärzte für Menschenrechte; Coleen Rowley, Informantin und Person des Jahres 2002 im Time Magazine; Hans von Sponeck, ehemaliger UN-Koordinator für humanitäre Fragen, und Filmregisseur Oliver Stone, um nur einige zu nennen.
Fast ein Jahr später hat die OVCW weder auf diese Anfragen noch auf die ständig wachsende Kontroverse um die Duma-Untersuchung reagiert. Vielmehr hat sie sich hinter einer unüberwindbaren Mauer aus Schweigen und Intransparenz verschanzt, die jeden sinnvollen Dialog unmöglich macht. Bei der einzigen Gelegenheit, bei der sie sich öffentlich mit den Bedenken der Inspekteure befasste, beschuldigte sie diese lediglich, ihre Geheimhaltungspflicht verletzt zu haben. Natürlich sind die Inspekteure - und tatsächlich alle OPCW-Mitarbeiter - verpflichtet, die Vertraulichkeitsregeln einzuhalten. Aber die OPCW hat die Hauptverantwortung, die getreue Umsetzung der Bestimmungen des Chemiewaffenübereinkommens zu gewährleisten (Artikel VIII, Absatz 1).
Die Arbeit der Organisation muss transparent sein, denn ohne Transparenz gibt es kein Vertrauen. Und Vertrauen ist das, was die OPCW zusammenhält. Wenn die Mitgliedstaaten kein Vertrauen in die Fairness und Objektivität der Arbeit der OPCW haben, dann ist ihre Wirksamkeit als globaler Kontrolleur für chemische Waffen stark beeinträchtigt.
Und Transparenz und Vertraulichkeit schließen sich nicht gegenseitig aus. Aber die Vertraulichkeit kann nicht als Vorwand für irreguläres Verhalten dienen. Die Organisation muss das öffentliche Vertrauen wiederherstellen, das sie einst hatte und das, wie niemand bestreitet, nun schwindet. Deshalb sind wir heute hier.
Es wäre unangebracht, wenn ich einen Rat oder auch nur einen Vorschlag machen würde, wie die OPCW das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückgewinnen könnte. Dennoch möchte ich als jemand, der mit der OPCW sowohl lohnende als auch turbulente Zeiten erlebt hat, eine persönliche Bitte an Sie, Herr Fernando Arias, als Generaldirektor der OPCW richten. Die Inspekteure gehören zu den wertvollsten Gütern der Organisation. Als Wissenschaftler und Ingenieure sind ihre Fachkenntnisse und ihre Beiträge für eine gute Entscheidungsfindung unerlässlich. Am wichtigsten ist jedoch, dass ihre Ansichten nicht von der Politik oder nationalen Interessen beeinflusst werden. Sie verlassen sich nur auf die Wissenschaft. Die Inspektoren der Duma-Untersuchung haben eine einfache Bitte: Sie wollen die Möglichkeit erhalten, sich mit Ihnen zu treffen, um Ihnen ihre Bedenken persönlich in einer sowohl transparenten als auch verantwortlichen Weise mitzuteilen.
Dies ist sicherlich das Minimum, das sie erwarten können. Unter großem Risiko für sie selbst haben sie es gewagt, sich gegen mögliches irreguläres Verhalten in Ihrer Organisation auszusprechen. Und es liegt zweifellos in Ihrem, im Interesse der Organisation und im Interesse der Welt, dass Sie sie anhören. Das Übereinkommen selbst hat große Weitsicht bewiesen, indem es den Inspektoren erlaubte, selbst bei Untersuchungen mutmaßlicher Einsätze chemischer Waffen abweichende Beobachtungen zu machen (Teil II, Ver. Anhang, Paragraph 62 und 66). Dieses Recht ist, ich zitiere, "ein konstitutives Element, das die Unabhängigkeit und Objektivität der Inspektionen unterstützt". Diese Formulierung stammt aus dem "Kommentar zur Verifikationspraxis im Rahmen des CWÜ" von Ralf Trapp und Walter Krutzsch, den die OPCW selbst während meiner Zeit als Generalsekretär veröffentlicht hat.
Unabhängig davon, ob die Bedenken, die über das Verhalten der OPCW bei der Duma-Untersuchung geäußert wurden, stichhaltig sind oder nicht, wäre es ein wichtiger erster Schritt zur Behebung des Imageschadens, den die Organisation erlitten hat, zu hören, was Ihre eigenen Inspekteure zu sagen haben. Diese Inspekteure behaupten nicht, Recht zu haben, aber sie wollen eine faire Anhörung erhalten. Von Generaldirektor zu Generaldirektor bitte ich Sie höflichst, ihnen diese Möglichkeit einzuräumen. Wenn die OPCW Vertrauen in die Verlässlichkeit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu Duma und in die Integrität der Untersuchung hat, dann hat sie bei der Anhörung ihrer Inspektoren wenig zu befürchten. Wenn jedoch die Behauptungen der Zensur von Beweisen, der selektiven Verwendung von Daten und des Ausschlusses wichtiger Ermittler, neben anderen Behauptungen, nicht unbegründet sind, dann ist es umso dringender erforderlich, dass die Angelegenheit offen und prioritär behandelt wird.
Die OPCW hat bereits Größe erlangt. Wenn sie auch in ein schweres Fahrwasser geraten ist, so hat sie doch noch die Möglichkeit, sich selbst zu korrigieren und weiter an Größe zu gewinnen. Die Welt braucht einen glaubwürdigen Kontrolleur für chemische Waffen. Wir hatten einen, und ich bin zuversichtlich, Herr Arias, dass Sie dafür sorgen werden, dass wir wieder einen haben werden.
Dafür danke ich Ihnen.