Ex-OPCW-Inspekteur kritisiert Abschlussbericht über den Duma-Vorfall
Auf einer von Russland organisierten Veranstaltung des UN-Sicherheitsrats erklärte Ian Henderson, der in Duma dem Untersuchungsteam angehörte, dass im Bericht die Befunde frisiert oder weggelassen wurden
In den westlichen Medien wurde praktisch nicht zur Kenntnis genommen, dass der der Öffentlichkeit im März 2019 vorgelegte Abschlussbericht der OPCW-Untersuchung des angeblichen Giftgasangriffs im syrischen Duma am 7. April 2018 offenbar von den Verantwortlichen politisch frisiert wurde, um indirekt die syrischen Streitkräfte und damit Russland dafür verantwortlich zu machen. Konstatiert wurde, dass "wahrscheinlich" Chlorgas zum Einsatz gekommen sei und dass die Kanister aus der Luft abgeworfen wurden.
Es gab immer wieder geleakte Dokumente aus den Reihen der OPCW-Inspektoren der Faktenfindungsmission (FFM) und auch Whistleblower, die erkennen ließen, dass Ergebnisse, die nicht ins vorgefasste Bild passten, unberücksichtigt blieben. Es wurde sogar die Löschung eines Berichts angeordnet.
In einem etwas peinlichen Versuch musste schließlich die westliche Allzweckwaffe Bellingcat einen Bericht veröffentlichen, in dem sie den OPCW-Abschlussbericht rechtfertigte und dabei ebenso selektiv wie die Autoren des Abschlussberichts verfuhr. Das wurde nun gegenüber Henderson wiederholt.
Wenn die OPCW unter Druck von Mitgliedsstaaten steht, bestimmte Ergebnisse zu liefern, dann wird das brisant, wenn das im Juni 2018 nach dem Vorfall in Duma gegründete Investigation and Identification Team (IIT) die ersten Ergebnisse vorlegt. Es soll im Unterschied zum bisherigen Vorgehen, bei dem nur ermittelt wurde, ob es sich um einen Giftgaseinsatz handelt, Vorfälle mit angeblichem Chemiewaffeneinsatz untersuchen, darunter Duma, und diejenigen identifizieren, die bei einem Einsatz von Chemiewaffen als "Täter, Organisateure, Unterstützer oder anderweitig beteiligt" waren. Das OPCW-Sekretariat ist für die Ausführung einer "unabhängigen Untersuchung über einen angeblichen Einsatz mit Blick auf eine Erleichterung der universellen Zuschreibbarkeit aller Chemiewaffenangriffe" (OPCW-Generaldirektor weist Vorwürfe gegenüber dem Duma-Abschlussbericht zurück).
Erstaunlich ist, dass die meisten Medien kein Interesse haben oder sich weigern, über neue Erkenntnisse zu berichten, die bislang gehegte Annahmen widerlegen oder korrigieren. In dem Fall hatten Washington, Paris und London kurz nach dem Vorfall in Duma syrische Ziele mit Raketen und Maschflugkörpern bombardiert. Duma wurde auch im Licht des ebenso noch nicht wirklich aufgeklärten Skripal-Anschlags gesehen, um Russland an den Pranger zu stellen. Selbst als der Spiegel eine Ausnahme machte und aufzeigte, dass die Darstellung des Magnitski-Falls von Bill Browder, der aus Russland an den Pranger stellte und zur Verabschiedung von Magnitski-Gesetzen führte, alles andere als schlüssig und stimmig ist, fand die anderen Medien dies kaum berichtenswert. Offenbar soll die vorherrschende Stimmung aufrechterhalten werden.
Jetzt hat der ehemalige OPCW-Inspekteur Ian Henderson noch einmal in einer Video-Erklärung Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats auf Einladung Russlands erklärt, dass es bei der Abfassung des Duma-Abschlussberichts nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Auf die Video-Ansprache musste er zurückgreifen, weil sein Visa-Antrag zur Einreise in die USA nicht genehmigt wurde. Er verstehe sich nicht als Whistleblower, sagte er, sondern als ehemaliger OPCW-Inspekteur, der Bedenken äußert, was eine angemessene Form sei. Für ihn gehe es dabei nicht um eine politische Angelegenheit, er sei sich aber der Debatte um den Vorfall bewusst. Es gehe ihm darum, Diskrepanzen wissenschaftlich und technisch zu lösen. Er wolle nicht die OPCW als Institution oder die Inspektoren kritisieren, sondern nur ihr Vorgehen in der Zusammenstellung des Berichts über den Vorfall in Duma.
Sein technischer Bericht über die zwei Zylinder vom Februar 2019 war von WikiLeaks veröffentlicht worden. In ihm werden verschiedene Hypothesen durchgespielt und mit den Befunden bewertet. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die beiden Zylinder mit einer "höheren Wahrscheinlichkeit" mit der Hand platziert, als dass sie von einem Flugzeug abgeworfen wurden. Angeordnet wurde, dass eben von diesem Bericht alle Spuren gelöscht werden sollen.
"Befunde, Fakten, Informationen oder Analysen" wurden nicht berücksichtigt
In dem Video sagte er, er sei besonders beunruhigt über die im Juli 2018 erfolgte Entlassung des gesamten Teams, das in Duma vor Ort Untersuchungen durchgeführt hatte, also zur Zeit der Veröffentlichung des Zwischenberichts. Die Darstellung der Befunde im Abschlussbericht waren "widersprüchlich, eine völlige Kehrtwendung zu dem kollektiven Verständnis des Teams während und nach der Untersuchung in Duma". Obgleich einige Inspektoren im Juli 2018 Zweifel geäußert hatten, ob überhaupt ein Giftgasangriff stattgefunden hat, heißt es im Abschlussbericht, der von einem Team verfasst wurde, das nie in Duma war, es gebe dafür "vernünftige Gründe".
Der Abschlussbericht enthalte nicht die abweichenden Argumente der Mehrheit der Team-Mitglieder, er lasse "Befunde, Fakten, Informationen oder Analysen" aus, die vom Team vor Ort über Zeugenaussagen und toxologische, chemische und ballistische Untersuchungen gewonnen wurden. Er habe auch weiter die Zylinder ballistisch untersucht, was die Vermutung bestärkt habe, dass es in Duma keinen Giftgasangriff gegeben habe.
"Das ist keine Desinformation"
Die russische UN-Botschaft ließ zudem Maxim Grigoriev, den Leiter der NGO "Stiftung für das Studium der Demokratie", auftreten. Die Stiftung hatte eine unabhängige Untersuchung des Vorfalls durch Befragung von über 300 Menschen aus Duma gemacht, die im Krankenhaus waren, Bewohner eines Hauses waren, in dem Leichen gefunden wurden, oder in der Nähe lebten. Danach kannten die Anwohner angeblich keinen der gefundenen Toten, sie sollen hier nicht gewohnt haben. Die Bewohner des Hauses waren nicht von dem Giftgas betroffen, auch keine der Menschen, die im Krankenhaus behandelt wurde, litt unter den Folgen von Giftgas. Der Vorfall sei inszeniert worden, so Grigoriev, der wieder dem OPCW-Team vorwarf, gar nicht mit den Bewohnern des Hauses gesprochen zu haben, in dem ein Giftgasangriff stattgefunden haben soll. Nachvollziehen lässt sich freilich nicht, ob die Befragten tatsächlich Bewohner von Duma sind und ob es stimmt, was sie berichten.
Zum Abschluss sagte Vassily Nebenzia, Ständiger Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat, sie seien nicht so naiv zu glauben, dass die Präsentation die Ansichten einiger Länder verändern werden: "But we wanted to give you evidence, evidence and facts, that are being neglected or silenced. And this is not disinformation. This is freedom of information. We know that those who do not want to hear will not listen to any arguments. "Full stop - and that’s it", as our US colleagues said today." Klar sei aber, dass die Integrität und Unparteilichkeit der OPCW in Frage stehe. Das sei auch durch die "Courage Stiftung" bestätigt wurden, die man schlecht als "russische Agenten" bezeichnen könne (Whistleblower: OPCW-Bericht zum Giftgasanschlag in Douma einseitig).