Whistleblower: OPCW-Bericht zum Giftgasanschlag in Douma einseitig
Ein international besetztes Panel, dem Dokumente vorgelegt wurden, sagt, es seien entscheidende Informationen über chemische Analysen, toxikologische Untersuchungen, ballistische Studien und Zeugenaussagen unterdrückt worden
Am 7. April 2018 hat sich nach Berichten der Weißhelme und der mit diesen verbundenen Syrian American Medical Society (SAMS) und des Violations Documentation Center ein Angriff mit chemischen Waffen in Douma (Duma) ereignet (Das lässt aufhorchen: Angeblicher Chemiewaffenangriff in Ost-Ghouta). Hubschrauber sollen sie abgeworfen haben.
Markant blieben im Gedächtnis die Bilder von vielen Toten, von mit Wasser abgespritzten Kindern mit Sauerstoffmasken und einem Zylinder mit Giftgas hängen, der das Dach eines Hauses durchschlagen und auf ein Bett gefallen sein soll. Noch bevor der Vorfall untersucht werden konnte, haben die USA, Großbritannien und Frankreich angebliche Einrichtungen des weiterhin bestehenden syrischen Chemiewaffenprogramms bombardiert. Die Bundesregierung begrüßte dies.
Im Abschlussbericht der OPCW, der im März 2019 vorgelegt wurde, wurde vorsichtig argumentiert. Aufgrund von Boden- und Blutproben, toxikologischen und ballistischen Analysen, Zeugenbefragungen und weiteren digitalen Dokumenten von Zeugen sei man Schluss gekommen, es gebe "gute Gründe, dass der Einsatz einer toxischen Chemikalie am 7. April 2018 stattgefunden hat". Bei der toxischen Chemikalie habe es sich "wahrscheinlich" um Chlorgas gehandelt. Die Behälter seien aus der Luft abgeworfen worden. Die auf den Bildern der Weißhelme zu sehenden Leichen konnten nicht untersucht werden, da sie gleich vergraben worden seien. So ist nicht nachgewiesen, wo, wann und an was sie gestorben sind (OPCW-Bericht: In Duma war wahrscheinlich Chlorgas als Waffe eingesetzt worden).
Zweifel bestanden immer daran, ob es tatsächlich einen Chemiewaffenangriff gegeben hat und von wem er ausging (Giftgasangriff? Was ist in Duma am 7. April 2018 passiert?). Wie üblich wurden Zweifel als Desinformationsversuche abgetan, zumal Russland versucht hatte, den Vorfall als eine Inszenierung der Weißhelme darzustellen. Im Mai tauchte dann aber ein geleakter Berichtsentwurf über die technische Bewertung der gefundenen Kanister auf, der zwar nicht geheim ist, aber als vertraulich eingestuft wurde und nicht zirkulieren sollte. Er wurde im Februar verfasst und war eine Grundlage des Abschlussberichts. In dem Bericht zogen die Inspektoren den Schluss aus ihren Untersuchungen, dass sie nicht sicher sagen können, dass die beiden Kanister von einem Flugzeug abgeworfen wurden.
Und sie kommen zu dem Ergebnis, der in keiner Weise im Abschlussbericht als Erwägung auftaucht, dass beide Kanister "mit einer höheren Wahrscheinlichkeit händisch an diesen beiden Orten platziert wurden, als dass sie von einem Flugzeug abgeworfen wurden" (Wurde ein Bericht von Inspektoren über den Giftgasangriff in Duma unterdrückt?).
Das hätte für die OPCW und den offiziellen Abschlussbericht eigentlich verheerend sein müssen. Aber der Bericht, der von der Working Group on Syria, Propaganda and Media veröffentlicht wurde, fand keine große Aufmerksamkeit, wohl weil er das weithin herrschende Narrativ nicht bestätigte. Der OPCW-Generalsekretär gab eine nicht recht überzeugende Erklärung dafür, warum die Ergebnisse dieses Berichts keinen Eingang in den Abschlussbericht fanden.
Sollte ein bestimmtes Ergebnis her auskommen?
Es scheint allerdings noch mehr unter den Tisch gefallen zu sein, was die Glaubwürdigkeit der OPCW untergraben könnte. Gestern berichtete IPPNW (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), dass ein "Whistleblower aus den Reihen der OPCW, der an dieser 'Fact Finding Mission' beteiligt war", am 15. Oktober 2019 einem international besetzten Panel der Courage Stiftung erklärt habe, dass wichtige Informationen zu chemischen Analysen, toxikologischen Gutachten, ballistischen Studien und Zeugenaussagen in dem Abschlussbericht unerwähnt geblieben seien. Mehrere an der Douma-Mission beteiligte Inspektoren seien bei der Erstellung des Abschlussberichts nicht einbezogen oder konsultiert worden.
Zu den Mitgliedern des Forums der Courage Stiftung, die sich für Meinungsfreiheit und Menschenrechte einsetzt, gehören José Bustani (erster Generaldirektor der OPCW und ehemaliger brasilianischer Botschafter in Großbritannien und Frankreich), Richard Falk (Professor für Völkerrecht, Emeritus, Princeton Universität), Cristinn Hrafnsson (Chefredakteur WikiLeaks), John Holmes (Generalmajor a.D.), Dr. Helmut Lohrer (Internationaler Councilor des IPPNW-Deutschland und Mitglied des internationalen Vorstandes der IPPNW), Prof. Dr. Günter Meyer (Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt (ZERAW), Universität Mainz) und Elizabeth Murray (ehem. stellvertretende Offizierin des US-Geheimdienstes für Nahost). In der Erklärung des Forums nach dem Bericht des Whistleblowers heißt es:
Ausgehend von der ausführlichen Darstellung des Whistleblowers - darunter interne EMails, Textnachrichten und unterdrückte Berichtsentwürfe - bringen wir einhellig unsere Beunruhigung über inakzeptable Vorgehensweisen zum Ausdruck, die bei der Untersuchung des angeblichen chemischen Angriffs in Douma, östlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, am 7. April 2018 aufgetreten sind. Durch die Aussage gelangten wir zu der Überzeugung, dass zentrale Informationen über chemische Analysen, toxikologische Untersuchungen, ballistische Studien und Zeugenaussagen unterdrückt wurden, anscheinend um eine vorbestimmte Schlussfolgerung zu begünstigen.
Die OPCW wird aufgefordert, allen Inspektoren, die eine abweichende Meinung geäußert haben, zu Wort kommen zu lassen, was auch dem "Geist der Konvention" entspreche. Zudem müsse die Untersuchung über den Vorfall in Douma wieder aufgegriffen werden, um zu "klären, was tatsächlich geschehen ist. Das würde dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der OPCW wiederherzustellen".
Der fragliche Giftgaseinsatz von Douma war der Anlass des Bombardements der USA, Frankreichs und Großbritanniens von Zielen in Damaskus und Homs am 13./14. April 2018. Dabei drohte eine unmittelbare Konfrontation zwischen den beteiligten Atommächten und Russland. Die Bundesregierung hat einen ständigen Sitz im Exekutivrat der OPCW und trägt - wenn die Vorwürfe zutreffen - eine Mitverantwortung, wenn die Arbeit dieser Organisation zur nachträglichen Rechtfertigung von Kriegshandlungen missbraucht wird. Daher muss sich die Bundesregierung für eine vollständige Transparenz im Hinblick auf die Vorwürfe einsetzen und dafür sorgen, dass die OPCW entsprechend ihrer Statuten arbeiten kann. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sie einen freiwilligen Beitrag in Höhe von einer Million Euro für die Syrien-Missionen der OPCW geleistet hat.
IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Helmut Lohrer
Sollte sich die OPCW weigern, auf die Kritik einzugehen oder Transparenz herzustellen, wird sie kaum mehr als unabhängige und vertrauenswürdige Institution auftreten können. Zudem werden andere Ergebnisse, beispielsweise im Skripal-Fall womöglich auch in einem anderen LIcht erscheinen.
Die kritischen Punkte
Das Forum der Courage-Stiftung kritisiert vernichtend das Ergebnis und konkrete Punkte des Abschlussberichts. Die entscheidenden Schlussfolgerungen der Untersuchung in der chemischen Analyse, der Toxikologie, der Ballistik und der Zeugenaussagen seien "mangelhaft" und hätten "kaum einen Bezug zu den Fakten".
- So seien viele der gefunden gechlorte organische Verbindungen, die nach dem OPCW-Bericht "nicht natürlich in der Umwelt vorhanden sind", überall natürlich oder durch menschliche Aktivitäten vorhanden. Zwar seien angeblich Kontrollproben gesammelt worden, aber es finden sich keine Analyseergebnisse. Der Bericht werte die Werte der gechlorten organischen Verbíndungen als Grundlagen der Ergebnisse, aber sie werden auch nicht angegeben und wurden möglicherweise zurückgehalten.
- Auch die tokologischen Untersuchungen würden Inkonsistenzen aufweisen. So sei nicht angegeben worden, welche Schlussfolgerungen die Inspektoren aus ihren Funden gezogen haben. Und obwohl es im Bericht selbst heißt, es sei "nicht möglich, die Ursache der Zeichen und Symptome mit einer bestimmten Chemikalie zu verbinden", werde die Schlussfolgerung gezogen, man müsse davon ausgehen, dass es Chlorgas sei. Das Panel habe auch Dokumente des Whistleblowers einsehen können, nach denen weitere Toxikologen vor der Veröffentlichung des Berichts einbezogen wurden, nach denen die Zeichen und Symptome nicht auf eine Aussetzung an Chlor hinweisen. Das sei aber im Bericht nicht erwähnt worden.
- Bei den ballistischen Untersuchungen kam es zu einander widersprechenden Ansichten der Inspektoren des FFM-Teams, was der geleakte technische Bericht belegt, dessen Existenz der OPCW-Generaldirektor auch bestätigt hat. Man sei überrascht, dass andere Hypothesen im Abschlussbericht so wenig gewürdigt wurden, könne dies aber technisch nicht überprüfen.
- Die Wiedergabe der Zeugenaussagen und das "Fehlen der sinnvollen Analyse" belege die "Parteilichkeit" des Berichts. Die Zeugen würden zwei klar unterschiedene und sich widersprechende Narrative berichtet, es sei aber nur das berücksichtigt worden, das den Einsatz von Chemiewaffen stützt. Erstaunlich sei auch
- Im Gegensatz zur Erklärung des OPCW-Generaldirektors sei es für das Panel offenkundig, "dass viele der Inspektoren der Douma-Untersuchung nicht mehr in der Phase nach dem Einsatz einbezogen oder befragt wurden, oder einen Beitrag oder überhaupt Kenntnis vom Inhalt des Abschlussberichts vor der Veröffentlichung hatten". Man sei besonders irritiert durch die organisatorischen Bemühungen, die Inspektoren daran zu hindern, "legitime Bedenken über mögliche Unregelmäßigkeiten im Kontext der Douma-Untersuchung zu erheben".
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