Bellingcat verteidigt OPCW-Abschlussbericht
Kritikern wird vorgehalten, um das Ansehen der OPCW zu retten, sie hätten den "Kontext" der geleakten Email und des Abschlussberichts nicht verstanden
Es war zu erwarten. Die Medien, die den Magnitski-Fall oder den angeblichen Giftgasangriff auf Duma Moskau angelastet haben, um das antirussische Bild im neuen Kalten Krieg zu pflegen, berichten nicht über neue Erkenntnisse. Der angebliche Mord am Whistleblower Magnitski wurde von Bill Browder, einem zwielichtigen ehemaligen Hedgefonds-Verwalter, der in den 1990er Jahren Geld in Russland scheffelte und dann zu einem Menschenrechtsaktivist mutierte, konstruiert. Alle glaubten ihm. Der OPCW-Bericht über den angeblichen Giftgasangriff wurde, so vage er formuliert war, zum Beweis für die Schuld von Damaskus und Moskau instrumentalisiert.
Dass Regierungen und Medien auf Regierungsdiskurs Fehler einräumen, scheint man nicht erwarten zu können. Zwar hatte Bidder im Spiegel die Browder-Erzählung vom heroischen Whistleblower Magnitski dekonstruiert, aber er enthielt sich jeder Medienkritik und tat auch so, als habe er die schon lange bekannten Inkonsistenzen der Erzählung selbst entdeckt. Natürlich ist es nicht abgesprochen, aber dass sich über die neuen Enthüllungen in den "Qualitätsmedien" nur ein Mantel des Schweigens ausbreitet, ist schon skandalös (Browder und das Magnitski-Narrativ: Ende einer Desinformationskampagne?). Lieber deckt man den chinesischen Gulag auf, was sein muss, aber das passt auch zum aufgehenden neuen Feind, und verdächtigt Huawei-Technik, weil sie dem Zugriff Chinas offenstehe, während man vergisst, dass nämliches auch für amerikanische Technik gilt. Der NSA- und früher Echelon-Skandal ist längst vergessen oder wird verdrängt, wenn es um einen neuen Feind geht, dann sind alle vereint, schließlich ist der Feind des Feindes der Freund.
Ganz missachtet blieb der neue Leak zum OPCW-Bericht nicht. Die Nato-Allzweckwaffe Bellingcat, ein angeblich unabhängiges internationales investigatives Recherchenetzwerk, sah sich oder wurde von seinen Finanziers genötigt, auf die von WikiLeaks veröffentlichte Email eines OPCW-Inspekteurs zu reagieren, die nur "oberflächlich" dem Ansehen der OPCW schaden könne. Aber nach Bellingcat wäre dies weit gefehlt, wo man die Äußerungen eines Whistleblowers und andere Dokumente wie den Berichtsentwurf über die technische Bewertung der Kanister schon mal lieber nicht zur Kenntnis nimmt.
In der geleakten Email hatte ein OPCW-Inspekteur moniert, dass viele Befunde in der Abschlussfassung des OPCW-Berichts entfernt wurden. Wie Bellingcat pariert, spricht Bände. Die Authentizität der Emails wird nicht beanstandet, aber es wird gesagt, dass die Email angesichts des endgültigen Abschlussberichts "veraltet" sei, der habe beispielsweise nicht mehr von "wahrscheinlich", sondern nur noch von "möglich" gesprochen, dass die Kanister Chlorgas enthielten. Das würde belegen, dass die OPCW die Kritik berücksichtigt habe, die bestand aber darin, dass dies nicht nachweisbar ist, was aus dem "möglich" ein höchstens theoretisches "möglich" macht. Das demonstriert, dass man an dem Nichtbeweisbaren festhalten will.
Zwar wird nicht mehr von "high levels of various chlorinated organic derivatives", aber die im Ungefähren bleibenden "levels of chlorinated organic derivatives" (9.1) sollen dann für die Anwesenheit von "substances containing reactive chlorine" an den beiden Orten, wo Kanister abgeworfen worden sein sollen, zeugen. Darauf, dass diese sowieso nur in Spuren von 1-2 ppb vorhanden waren, geht Bellingcat gar nicht ein. Die Anwesenheit von reaktivem Chlor wird im Abschlussbericht als plausibles (reasonable) Indiz für den Einsatz einer "toxischen Chemikalie als Waffe" betrachtet, die reaktives Chlor enthielt.
Bellingcat zitiert aus der Email den Passus über die fehlende Diskussion über die Inkonsistenzen bei der Beschreibung der Symptome der Opfer durch die Zeugen und dem, was die Bilder zeigen. Das sei zentral für die Argumentation über die "Identität einer möglichen Chemikalie" als Wirkstoff, bei Chlor sei dies fraglich. Bellingcat erwidert darauf letztlich, dass im Bericht eine Diskussion der Symptome enthalten sei. Dort wird aber nicht auf die in der Email erwähnten Inkonsistenzen eingegangen. Festhalten kann man aber, dass im Abschlussbericht gesagt wird, dass die Beobachtungen von einem weiten Spektrum an Chemikalien verursacht worden sein können.
Bellingcat verweist darauf, dass das in der Email erwähnte Fehlen von Analysen über die Kanister im Abschlussbericht durch ebensolche widerlegt wurde, die aber erst lange nach der Email im Dezember 2018 erfolgt seien. Die bestätigen, dass die Schäden an den Kanistern und den Gebäuden mit der Hypothese übereinstimmen, dass sie aus der Luft abgeworfen wurden. Man kann allerdings aus der Email auch schließen, dass solche technischen Bewertungen gemacht wurden, die wahrscheinlich die Hypothese nicht bestätigten, was auch aus dem schon früher geleakten technischen Entwurf hervorgeht.
Die Entgegnung ist schon deswegen peinlich und zeugt davon, dass Bellingcat ein Instrument von Interessen ist, weil damit nicht darauf eingegangen wird, warum der Entwurf des Abschlussberichts, auf den sich der Inspekteur bezieht, offenbar erst einmal unter Weglassung entsprechender Befunde vor allem darauf aus gewesen war, die Hypothese eines Giftgasangriffs mittels aus der Luft abgeworfener Kanister zu belegen, aber alternative Szenarien gar nicht zu erörtern. Dass in der Endfassung einige "Verbesserungen" vorgenommen wurden, bedeutet, dass die Kritik zur Kenntnis genommen wurde, aber die Einwände nur insoweit berücksichtigt wurden, manche Formulierungen etwas abzuschwächen, aber an dem gewünschten Szenario festzuhalten.