Die Piloten sind tot und wir erfrieren
Eine makabere Falschmeldung macht die Runde um die Welt
Für eine frei erfundene Sensationsmeldung steht ein 32jähriger Grieche vor Gericht. Über die Verantwortung der Medien an der Verbreitung der Falschmeldung schweigen sich diese allerdings aus
Medien in aller Welt verbreiteten die Nachricht: Die Piloten sind tot und wir erfrieren! Leb wohl, hatte angeblich ein Passagier der am 15. August bei Athen abgestürzten Boing 737 der privaten Zypriotischen Fluglinie Helios wenige Minuten vor seinem Tod per SMS seinen Cousin informiert. Das jedenfalls erklärte der Cousin des angeblichen Passagiers, der die Meldung empfangen haben wollte, gegenüber griechischen Radio- und Fernsehsendern. Ungeprüft übernahmen Nachrichtenagenturen und Fernsehsender in aller Welt die Sensationsmeldung, der angebliche Empfänger der SMS, ein 32jähriger Angestellter aus Thessaloniki wurde im griechischen Fernsehen von einem Kanal zum anderen weitergereicht.
Erst als die Passagierliste des Unglücksfluges bekannt gegeben wurde, stellte sich heraus, dass der angebliche Absender der Telefonbotschaft gar nicht an Bord des Luftschiffes gewesen war. Der „Empfänger“ der SMS gestand, die Nachricht frei erfunden zu haben. Er habe damit Aufmerksamkeit erregen und auch einmal im Mittelpunkt des Medieninteresses stehen wollen...
Sehen und gesehen werden, einmal im Rampenlicht stehen, „berühmt“ sein, scheint ein Bedürfnis von immer mehr Menschen zu sein. Für seine Verwirklichung wird jede Scham über wunden, schlucken Menschen buchstäblich jede Kröte. Zeuge davon sind nicht nur die überall in Europa und anderen Teilen der Welt auf Fernsehkanälen flimmernden „Big Brother“ Exhibitionisten und ihre „Surviver“, „Insel“ und was auch immer Nachfolger. Es genügt, in einer beliebigen Nachrichten- oder Magazinsendung auf die Ansammlung von Menschen zu achten, sobald eine Kamera zu sehen ist. Und selbst bei Kindern wird mit ebenfalls weltweit etablierten „Talentshows“ der Marke „Deutschland sucht den Mini-Superstar“ die Sucht nach Bekanntheit gefördert.
Der Erfinder der makaberen letzten Nachricht wurde am Mittwoch in Thessaloniki wegen Falschaussage gegenüber den Behörden zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Von einer Bestrafung wegen „Verbreitung von Falschaussage“ sah das Gericht ab, da durch die Meldung keine Angst verbreitet worden sei, was als Strafvoraussetzung im entsprechenden Gesetz verankert ist. Der Angeklagte hatte sich unter Tränen bei den Angehörigen der 121 bei dem Absturz ums Leben gekommenen Menschen entschuldigt. Er habe sich nicht vorstellen können, so der Angeklagte, dass seine Aktion eine dermaßen große Verbreitung finden würde.
Auch wenn es seine eigene Verantwortung am gelinde gesagt unsensiblen Umgang mit den Unglück nicht mindert, so trifft seine „Rechtfertigung“ dennoch nicht ins Leere. Den die Nachricht verbreitenden Medien ist zumindest eine Mitschuld anzulasten. Kaum eines der Medien sah sich verpflichtet, die Glaubwürdigkeit der Nachricht zu überprüfen. Statt dessen begann der Wettlauf der Fernsehkanäle, wer wohl der erste Überbringer der Sensationsbotschaft an das vor den Bildschirmen klebende Publikum sei. Nur wenige Fernsehsender meldeten Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt an, etwa ob es in 10.000 m Flughöhe überhaupt möglich sei, SMS-Botschaften zu versenden. Auch die Zeitungen im Ausland machten sich nicht die Mühe, beispielsweise bei der Airline den Namen des angeblichen Absenders zu checken. Die wahrscheinlich mehrheitlich durch Agenturmeldungen von der SMS informierten Printmedien verzichteten wohl zugunsten der „gruseligen Schauersensation“ auf eine Überprüfung der Meldung. Gedruckt wird eben, was den Verkauf ankurbelt....
Mit einer lapidaren Korrektur der Falschmeldung am nächsten Tag gingen die meisten Zeitungen und Fernsehsender dann zur Tagesordnung über. So, als sei es nichts Besonderes, dass man eine Falschmeldung verbreitet, für die der Erfinder empfindlich bestraft werden kann. Die bittere Wahrheit ist nur, dass dies heute tatsächlich nichts mehr Besonderes ist.