"Die SPD mutet uns in diesen Tagen und Wochen so einiges zu"

Der CDU-Politiker Kai Whittaker über die Ostprogramme von CDU und SPD, verloren gegangenes Vertrauen in die Politik sowie die bevorstehenden Landtagswahlen im Osten

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Kai Whittaker appelliert an die Sozialdemokraten, sich an den Koalitionsvertrag zu halten und die Pläne zur Grundrente entsprechend zu ändern. Der 33-Jährige sitzt seit 2013 für die CDU im Bundestag. Er ist Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Herr Whittaker, sowohl im CDU-Programm als auch im SPD-Strategiepapier Ost wird gleich zu Beginn das Ziel formuliert: "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland". 30 Jahre nach dem Mauerfall drängt sich die Frage auf: Bis wann soll das Ziel erreicht sein?

Kai Whittaker: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, wir sollten die Angleichung spätestens im Laufe des nächsten Jahrzehnts hinkriegen.

Welcher Vorschlag gefällt Ihnen am besten im 12-Punkte-Programm der SPD?

Kai Whittaker: (lacht) Unter dieser Kategorie schaue ich mir die Papiere anderer Parteien nicht an. Nur so viel: Der Forderungskatalog der Sozialdemokraten erinnert derzeit eher an eine Traumata-Bearbeitung.

Was haben Sie gegen eine Angleichung der Löhne in Ost und West?

Kai Whittaker: Wir alle wissen doch, dass wir derlei politisch nicht verordnen können. Ein solcher Satz weckt Erwartungen, die die Sozialdemokraten nicht erfüllen können. Löhne werden nun mal ausgehandelt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dass auch ich mir wünsche, dass es bald keine Lohnunterschiede mehr gibt, steht außer Frage.

Doch was folgt daraus?

Kai Whittaker: Wir haben in den vergangenen Jahren einige Gesetze verabschiedet, die zur Folge haben, dass Unternehmen mit Tarifverträgen flexibler und freier agieren könne als jene ohne Tarifverträge. Eben dies hat die SPD damals ganz bewusst als Strategie angelegt, um die Tarifpartnerschaft zu stärken. Aber welchen Effekt hat das? Keinen. Die Politik kann die Attraktivität von Tarifpartnerschaften nicht herbeireden oder verordnen, denn die Einzelunternehmen wollen ihre individuellen Interessen abgedeckt sehen in einer solchen Partnerschaft. Und das ist sowohl im Osten als auch im Westen offensichtlich zunehmend nicht der Fall.

Unternehmen mit Tarifvertrag sollen nach den Plänen der SPD künftig weniger Steuern zahlen als Unternehmen ohne Tarifvertrag ...

Kai Whittaker: ... Wir haben ein paar bemerkenswerte Wochen erlebt, in denen die SPD großzügig Kamelle unters Volk gebracht hat. Eine sozialpolitische Forderung nach der anderen, vieles davon weder finanzierbar noch sozial. Dabei immer der Sound: Wenn die Union nicht mitmacht, steigen wir halt aus. Ich habe den Eindruck, es handelt sich dabei um den verzweifelten Versuch, mit möglichst vielen Mitteln möglichst viele Menschen zu erreichen. Ich glaube, dass das am Ende nach hinten losgeht.

Was meinen Sie damit?

Kai Whittaker: Ich halte diese Art der Politik, also den Ansatz: Was muss ich tun, damit meine Partei gut dasteht und super ankommt, für falsch. Die Frage muss doch lauten: Was tut dem Land gut?

Wollen Sie allen Ernstes behaupten, der CDU sei es egal, wie sie dasteht und wie sie ankommt?

Kai Whittaker: Natürlich nicht, aber wir sind uns immer bewusst, dass wir Verantwortung tragen für alle Bürger im Land. Die SPD will Geld ausgeben, sagt aber nicht, wo sie es hernehmen will.

Ihr Koalitionspartner sagt auch, der Mindestlohn müsse perspektivisch auf 12 Euro steigen.

Kai Whittaker: Der Mindestlohn wird ja bekanntlich von den Tarifpartnern ausgehandelt. Wir haben die Mindestlohnkommission ganz bewusst unabhängig gemacht. Wir waren uns mit der SPD einig, dass wir den Mindestlohn nicht zum Wahlkampfthema machen wollen. Denn ein Mindestlohn, der im Bundestag beschlossen wird, wird keinen sozialen Frieden bringen - im Gegenteil. Würden wir den Mindestlohn politisch festlegen, machte das den Wirtschaftsstandort Deutschland unattraktiv.

Aber Sie haben doch trotzdem eine Meinung zur Höhe des Mindestlohns?

Kai Whittaker: Ich halte es für äußerst problematisch, wenn die Politik den Mindestlohn festlegen will. Soll die SPD doch klar sagen, dass sie es sich anders überlegt hat und die Mindestlohnkommission abschaffen will. Das hätte dann allerdings mit einer Stärkung der Tarifpartner nichts mehr zu tun, sondern wäre eine Entmachtung von Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern.

Anders gefragt: Wie würden Sie reagieren, wenn die Kommission zum dem Schluss käme, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro sei sinnvoll und nötig?

Kai Whittaker: Wenn das die Mindestlohnkommission beschließt, dann ist das so in Ordnung.

"Der Osten gewinnt an Attraktivität"

Viele Ökonomen halten die Ostdeutschland-Pläne für Symbolpolitik. "Die Maßnahmen, die CDU und SPD vorschlagen, werden nicht dazu führen, dass der Osten gegenüber dem Westen wirtschaftlich aufholt", sagt zum Beispiel Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik am Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Kai Whittaker: Das sehe ich anders. Ein kleines Beispiel: Der Osten hat seit der Wiedervereinigung jedes Jahr mehr Menschen verloren, als dass neue hinzugekommen sind. Das hat sich 2018 zum ersten Mal geändert. Das zeigt, dass der Osten an Attraktivität gewinnt. Unser Vorhaben, Bundesbehörden nur noch im Osten zu errichten und dort auch Forschungszentren zu schaffen, kann ein wichtiger Schritt sein, um die Wirtschaft in Ostdeutschland zu stärken.

An welche Behörden und Forschungszentren denken Sie da?

Kai Whittaker: Schaue ich auf meinen Arbeitsbereich, Arbeit und Soziales, fällt mir sofort die einheitliche Renteninformation ein. Viele Bürger verstehen nicht, was ihnen im Alter zusteht und wie sich die verschiedenen Faktoren zusammensetzen. Hier sehen wir Handlungsbedarf. Eine Darstellung aller Rentenansprüche über alle drei Säulen der Altersvorsorge - gesetzlicher, betrieblicher und privater - wäre daher eine sinnvolle Sache. Wir müssten folglich Kompetenzen bündeln und eine neue Behörde schaffen.

Aber glauben Sie, solche Projekte würden Ostdeutschland massiv stärken?

Kai Whittaker: Ich denke schon, ja. Ein anderer Punkt ist die Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung. Sie könnte ordentlich was in Gang setzen im Osten.

Eine Frage, die man in diesen Tagen häufig hört: Warum haben CDU und SPD auf einmal den Osten für sich entdeckt?

Kai Whittaker: Das ist mir zu plakativ. Wir als CDU befassen uns schon lange mit den Problemen in Ostdeutschland. Wir haben den Osten weder vergessen noch aufgegeben. Dass meine Partei sich nun verstärkt mit ihm beschäftigt, liegt schlicht daran, dass neue Herausforderungen anstehen und - zugegebenermaßen - nicht alle Pläne aufgegangen sind.

Zum Beispiel?

Kai Whittaker: Es gibt Regionen im Osten, vor allem ländliche Räume, in denen es in nahezu allen wichtigen Feldern rückwärtsgeht. Viele Menschen dort haben das Gefühl, sie seien abgehängt und die Politik nehme ihre Alltagssorgen nicht wahr. Das ist ein großes Problem, das wir nicht schönreden sollten. Fakt ist aber auch: In einigen Bereichen sind ostdeutsche Länder mittlerweile vorne mit dabei, ich nenne nur die Bildungspolitik, da liegt Sachsen inzwischen vor meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen.

Und weshalb sprechen Sie dann von "dem Osten"?

Kai Whittaker: Ostdeutschland ist in der Tat heterogener als vor 20 Jahren. Es gibt starke Städte wie Leipzig, Dresden und Magdeburg, die sich ausgezeichnet entwickeln. Allerdings ist die Zahl derer, die der Musik hinterherlaufen in den ostdeutschen Ländern, wesentlich größer als im Westen.

"Der Ostdeutsche nimmt sein Wahlrecht sehr viel brutaler in Anspruch als der Westdeutsche"

Was antworten Sie Kritikern, die Ihrer Partei vorwerfen, sie redete nur deshalb so viel und engagiert über Ostdeutschland, weil im Herbst in drei Ost-Ländern gewählt wird?

Kai Whittaker: Das ist Unfug.

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt die AfD in den Umfragen derzeit nur knapp hinter der CDU.

Kai Whittaker: Ich glaube nicht, dass es die AfD gebraucht hat, damit wir uns stärker mit dem Osten befassen. Wir haben als Union, und ich glaube, das trifft auch auf die SPD zu, lernen müssen, dass der Wähler in Ostdeutschland seine Unzufriedenheit anders, ja deutlicher artikuliert als der Westdeutsche, was in einer Demokratie übrigens völlig okay ist.

Wie meinen Sie das?

Kai Whittaker: Der Ostdeutsche nimmt sein Wahlrecht sehr viel brutaler in Anspruch, als es der Westdeutsche tut. Er wählt konsequent etwas anderes, wenn ihm der bisherige politische Kurs nicht gefällt. Ich kann nachvollziehen, dass, wenn zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern in einem Landkreis ein Krankenhaus geschlossen wird, die nächste Arztpraxis Dutzende Kilometer entfernt ist - und der Bus nur einmal am Tag fährt, ja dass der Frust dann wächst. Dass nun viele Bürger mit dem Gedanken spielen, ihren Frust zu zeigen, indem sie die AfD wählen, ist kein Geheimnis. Unsere Aufgabe besteht darin, aufzuzeigen, dass wir dran sind an den Themen.

Warum tun sich die beiden Volksparteien so schwer damit zu sagen: Wir haben die Stimmung in den ostdeutschen Ländern lange falsch eingeschätzt und reagieren nun mit neuen Konzepten auf die dortige Stärke der AfD?

Kai Whittaker: Wir erstellen keine Positionspapiere, um eine andere Partei klein zu halten. Dass die Landtagswahlen bei all dem eine Rolle spielen, ist doch klar. Natürlich wollen wir gute Wahlergebnisse erzielen. Das klappt aber nur, wenn wir den Menschen in Ostdeutschland klar machen, dass der Vorwurf, wir hätten sie vergessen, absolut falsch ist. Im Gegensatz zur AfD haben wir klare Ideen, wo es langgehen soll. Wir wollen Sachsen auf Kurs halten - und Brandenburg und Thüringen auf Kurs bringen.

Üben Sie auch Selbstkritik?

Kai Whittaker: Wir haben kein Problem damit zu sagen, dass wir einige Dinge in den vergangenen Jahren falsch eingeschätzt haben. Ich glaube, die AfD hätte Ende der Neunziger nicht ansatzweise diese Prozentzahlen bekommen. Das spricht für sich.

Herr Whittaker, Ihr Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkaus sagte kürzlich, wir alle sollten der Lebensleistung vieler Ostdeutscher mehr Respekt entgegenbringen. Was heißt das für Sie persönlich?

Kai Whittaker: Ich kann das gut nachvollziehen. Ich bin zwar kein Ostdeutschland-Kenner, aber mir haben Freunde, Bekannte und auch Kollegen, die aus dem Osten kommen, immer wieder anschaulich erklärt, dass das Leben und die Leistung vieler Ostdeutscher nicht ausreichend gewürdigt wird in Westdeutschland.

Können Sie das genauer erklären?

Kai Whittaker: Die Ostdeutschen haben binnen eines Jahres erlebt, was es heißt, wenn ein ganzer Staat zusammengebricht. Viele derer, die sich voller Zuversicht für die Wiedervereinigung eingesetzt hatten, erlebten in den Jahren danach einen wirtschaftlichen und sozialen Abstieg, der bis heute Spuren hinterlassen hat. Einige Ostbürger haben fast alles verloren, sie mussten sich Schritt für Schritt ein neues Leben aufbauen. Wenn diese Menschen nun im Alter feststellen, dass sie kaum Rentenanwartschaften erworben haben, schmerzt das schon sehr. Deshalb wollen wir ja auch die Grundrente für Geringverdiener einführen. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, aber aufgrund des niedrigen Lohns nur eine geringe Rente bekommt, der ist zurecht enttäuscht und wütend. Ich weiß, dass viele Ostdeutsche das als eine doppelte Bestrafung empfinden.

"Deutschland besteht nicht nur aus Hartz-4-Empfängern"

Sie haben der SPD in den vergangenen Minuten mehrmals vorgeworfen, sie würde sich nur mit sich selbst beschäftigen und mache unseriöse Vorschläge. Was heißt das für die Zukunft der Koalition?

Kai Whittaker: Wir als Union sind vertragstreu. Wir halten uns an den Koalitionsvertrag. Wenn allerdings die SPD glaubt, sie könne da bei jedem Punkt noch was draufsetzen, wie beispielsweise bei der Grundrente, und zudem immer neue Felder aufmachen, mit dem Anspruch, das solle die Koalition doch nun bitte schleunigst umsetzen, dann haben wir in der Tat ein Problem.

Angesprochen auf die Grundrente sagte Vizekanzler Olaf Scholz der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er halte es für möglich, dass das SPD-Konzept die Union überzeuge. "Es sollte doch nicht so sein, dass die große Mehrheit der Bürger einen Vorschlag gut findet, und die Regierung setzt ihn dann nicht um."

Kai Whittaker: Es gehört nicht zu einem guten Umgang miteinander, wenn man immer wieder über jene Vereinbarungen hinausgeht, die man zuvor mühsam ausgehandelt hat. Die SPD mutet uns in diesen Tagen und Wochen so einiges zu. Ich empfinde das als unangemessen. Und ich glaube auch nicht, dass die Wählerinnern und Wähler es honorieren, wenn wir uns, wie im vergangenen Sommer, dauernd öffentlich streiten und mit einem Koalitionsbruch drohen.

CDU-Vize Thomas Strobl sagte vor wenigen Tagen: "Reisende soll man nicht aufhalten. Wenn die SPD meint, dass es ihr hilft, wenn sie aus der Verantwortung flieht, soll sie das versuchen." Sehen Sie das ähnlich?

Kai Whittaker: Die Bürger wollen Ergebnisse sehen. Die SPD muss sich sehr wohl fragen, ob sie den Populisten eine Steilvorlage geben möchte, indem sie Deutschland schlecht redet. Plakativ gesagt: Deutschland besteht nicht nur aus Hartz-4-Empfängern. Ich hoffe, die Damen und Herren besinnen sich und kommen an den Verhandlungstisch zurück. Die Details, die bei der Grundrente noch offen sind, sollten wir schleunigst klären. Und dann bitte weiterarbeiten.

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