Die Stärke des Internet

Im Krieg mit Jugoslawien scheint das Internet zum primären Medium zu werden

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Das Internet beweist dieser Tage einmal wieder seine Stärke als Kommunikationsmedium. Aus der Bundesrepublik Jugoslawien erreichen uns auch über Websites, Foren oder Mailing-Listen die Mitteilungen und Berichte von einzelnen Menschen aus Serbien, dem Kosovo, Montenegro oder anderen Regionen, die in den Krieg verwickelt sind. Das läßt manche wieder das Internet feiern, das in der Tat eine wichtige Rolle als öffentliches Medium übernommen hat und nicht nur offizielle Propaganda der Kriegsparteien verbreitet. Es ist nicht nur eine Plattform für den E-Commerce oder für die etablierten Nachrichtenagenturen, sondern auch ein globales, Grenzen und Parteilichkeiten überspringendes Medium der Bürger auf der ganzen Welt.

Gleichwohl sollte man bei der überschwenglichen Feier des Internet - der Telegraph spricht schon vom "ersten Internetkrieg" - vorsichtig sein, denn in diesem Fall kann das Internet nur diese Rolle auch wirklich spielen, solange es anscheinend noch nicht wirklich Ernst genommen wird, zumal die Verbreitung innerhalb des Kriegsgebietes auch nicht allzu groß ist. Man müßte sich nur einmal vorstellen, daß die USA angegriffen würde ... Gleichwohl haben alle kriegführenden Parteien in Jugoslawien und außerhalb das Internet für sich entdeckt und Websites eingerichtet. Das unterscheidet die Situation radikal vom Krieg mit dem Irak, der bekanntlich noch immer schwelt. Noch scheint das Internet jedenfalls einen relativ freien Fluß der Informationen zu garantieren - zumindest aus Jugoslawien heraus. Wie weit die nicht von den offiziellen Medien publizierten Internet-Nachrichten auch in Jugoslawien zirkulieren können, ist unbekannt, zumal der weitaus größte Teil des überwiegend ländlichen Staates keinen Zugang zum Netz hat. Zwar wurde etwa die Reichweite des unabhängigen Radiosenders B92 beschränkt und kann dieser noch über das Internet Nachrichten verbreiten, unterstützt etwa durch xs4all, wo das Programm gespiegelt und zur Unterstützung des Senders aufgerufen wird sowie seit dem 26.3 auch über das von BBC durch Satellit übertragene digitale Signal vom österreichischen Rundfunk auf Mittelwelle (1476 KHz) wieder regional im Radio zu empfangen ist, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die jugoslawische Regierung den Zugang zum Internet und das Versenden von Emails noch nicht verboten und blockiert hat.

Milosevich und das Informationsministerium versuchen offenbar lediglich, die Hoheit im Raum der traditionellen Massenmedien zu gewinnen, indem kritische Medien geschlossen und ausländische Journalisten ausgewiesen werden sowie eine direkte Übertragung von Bildern und Nachrichten unmöglich gemacht wurde. Die Regierung führt einen Medienkrieg (s.a. Das serbische Informationsministerium), den sie zu gewinnen versucht, indem die eigenen Bürger nur die strategisch für richtig gefundenen Nachrichten erhalten, in denen beispielsweise nicht vorkommt, wie die Armee gegen die Menschen im Kosovo vorgeht, wohl aber alles Mögliche und auch Erfundene, was gegen die Serben gerichtet ist. Die albanische Bevölkerung wird mit der UCK gleichgesetzt und des Terrorismus bezichtigt (die UCK versucht natürlich ebenso, lediglich die wirklichen und fiktiven Greuel der Serben zu brandmarken, während sie tatsächlich ebenso wahllos gegen Serben und "Verräter" vorzugehen scheint). So kann man Dörfer dem Erdboden gleichmachen und Menschen willkürlich als Terroristen einsperren oder erschießen. Der serbische Ministerpräsident bezeichnet die Angriffe der NATO denn auch als barbarischen, kriminellen und faschistischen Akt der Aggression. Auch das Wort Genozid wird der NATO vorgeworfen, während das serbische Informationsministerium natürlich nichts über die eigenen Taten schreibt.

Schon lange wurde vom Informationsministerium den westlichen Medien vorgeworfen, die Wahrheit einseitig zu manipulieren. Das sei in Bosnien der Fall gewesen und habe jetzt dazu gedient, durch verzerrte und gefälschte Nachrichten den Krieg der NATO zu legitimieren. Das ist freilich lediglich ein Spiegelbild des eigenen Verhaltens. Die Menschen sollen ausgesperrt werden vom Zugang zu Informationen aus vielen Quellen und sich kein eigenes Bild machen können. Diese alte Strategie greift aber möglicherweise im Zeitalter des Satellitenfernsehens und des Internet nicht mehr so wie einst im Zweiten Weltkrieg.

Mittlerweile ist Jugoslawien zu einem Land geworden, in dem vor allem Gerüchte zirkulieren, die von niemandem mehr wirklich verifiziert werden können. Während die offiziellen jugoslawischen Medien vor allem zu suggerieren suchen, daß die NATO auch die Zivilisten bombardiert oder daß man einen Kampfjet der NATO abgeschossen habe, müssen sich westliche Medien entweder vermehrt auf die offizielle Berichterstattung der NATO oder auf Berichte oder Emails von Einheimischen verlassen, die von Greueltaten strotzen. Während Hussein gelernt hatte, die westlichen Medien im Kampf gegen die USA und Großbritannien für sich einzusetzen und sie nicht als Feind zu betrachten - allerdings war für Hussein das Internet kein Problem, da die Menschen im Irak keinen Zugang haben - , könnte Milosevich sich durch den Ausschluß der westlichen Journalisten eher selbst schaden. Niemand wird einfach von offiziellen Medien etwa Meldungen über Zerstörungen ziviler Gebäude oder den Tod von Zivilisten durch Bomben übernehmen. Da jedoch Kriege über die Medien Zuhause entschieden werden, die Medien zwar nicht, wie Milosevich behauptet, allesamt manipuliert sind, aber doch in ihrer Gesamtheit die einzigen Informationskanäle sind, haben die meisten Staaten gelernt, daß es darauf ankommt, wie man die Medien selbst manipuliert. Immer stärker sind sie darauf angewiesen, neue Bilder und Nachrichten möglichst unterbrechungslos 24 Stunden am Tag zu liefern. Das Internet hat diesen Druck der permanenten Produktion von Neuheit nur noch verstärkt, was leicht oft Kosten der Wahrheit geht. Lieber benutzt man Gerüchte und zeigt die Bilder, die man eben erhält, als daß man auf wirklich verläßliche Informationen wartet.

Wurden jetzt beispielsweise über Bosnien zwei jugoslawische MIG 29 abgeschossen, die angeblich dort gegen die UN-Truppen zur Friedenssicherung eingesetzt werden sollten? Nahm man die beiden Piloten gefangen? Von offizieller jugoslawischer Seite ist das alles nur eine "Erfindung". Aber würden nicht auch die NATO-Truppen möglichst Nachrichten zu verhindern suchen, die den Abschuß eines eigenen Flugzeugs zum Inhalt haben? Im Kosovo gehen Gerüchte von serbischen Gruppen um, die Albaner ermorden und Häuser anzünden, während man an den Häusern von Serben Zeichen anbringt, damit sie verschon werden. Flüchtlinge aus Kosovo berichten von Massakern der jugoslawischen Armee an Zivilisten. So habe man in einem Fall 20 Lehrer und den Direktor vor den Augen der Schüler ermordet, bevor diese über die albanische Grenze getrieben wurde. Männer werden von Frauen und Kindern getrennt und dann erschossen. Angeblich wurden 2000 Albaner, so die UCK, als menschliche Schutzschilde in eine Waffenfabrik getrieben. Aber durch das Fehlen unabhängiger Journalisten bleibt alles ein Gerücht, das von jedem nach Gutdünken ausgewertet werden kann.

Wie lange das Internet, auch wenn die jugoslawische Regierung es nicht zu blockieren sucht, noch eine Verbindungsschnur zum Westen sein kann, ist nach einem Bericht von Wired ungewiß. Zumindest die vier großen Internetprovider haben nur eine einzige Satellitenverbindung und drei Kabelverbindungen zur Verfügung. Das Telefonnetz scheint überlastet zu sein, so daß das Internet tatsächlich noch die einzig verläßliche Verbindung nach außen ist. Werden aber eine oder mehrere Leitungen unterbrochen, könnte es damit vorbei sein. Eunet Yugoslawia beispielsweise verkündet, daß man wegen der NATO-Angriffe den Kunden keine Zahlungsdienste und Beratung mehr anbieten könne.

Es gehen Gerüchte um, daß möglicherweise die jugoslawische Regierung nun doch wieder ausländische Journalisten berichten lassen will. Schränkt man deren Bewegungsfreiheit ein und gibt ihnen nur die Informationen, die man ihnen geben will, so würde das weniger totalitär wirken und hätte man besser die Möglichkeiten, die Nachrichten indirekt zu beeinflussen.

Nicht viel anders ist die Situation der Journalisten auf Seiten der kriegführenden NATO-Staaten, denn sie erhalten natürlich auch nur die Informationen aus dem Kriegsgebiet, die sie verbreiten sollen. Angreifende Staaten, die einen Telekrieg wie jetzt in Jugoslawien führen, haben sowieso den Vorteil, daß sie die Medien im Heimatland nicht regulieren müssen, schließlich wird auch kein Notstand ausgerufen. Insofern kann man die Informationspolitik der westlichen Staaten und die der jugoslawischen oder zuvor der irakischen Regierung auch nicht direkt vergleichen. Vietnam war allerdings bekanntlich der Krieg der USA, in der deutlich wurde, daß die Präsenz der Medien sich mindestens ebenso "negativ" auswirken kann wie eine zu starke Knebelung.

Seitdem verfährt man möglichst nach einer anderen Strategie, die durch die Tele- oder Tomahawkkriege unterstützt wird, die überdies stets so gelagert sind, daß es einen "bösen" (rogue) Staat mit möglichst einem "bösen" Herrscher gibt, daß die Aktionen auf bestimmte Ziele beschränkt sind und möglichst keine Zivilisten treffen sollen und daß man vor allem nicht mehr machtstrategisch, sondern primär moralisch den Angriff rechtfertigt. (Derzeit gäbe es ja noch mehr Bürgerkriege, die auch ein moralisches Eingreifen rechtfertigen würde, wenn man dies zum Prinzip einer Weltpolizei machte, doch der Krieg in Jugoslawien läßt alles andere in den Hintergrund treten und lenkt die Aufmerksamkeit davon ab.) Die Medien werden von vorneherein in die Aktionen einbezogen, indem man ihnen etwas zum Fressen gibt. Sie werden dauernd zu Pressekonferenzen eingeladen, in denen man ihnen Karten, Fotografien oder die berühmten Bilder zeigt, wie ein Ziel von Marschflugkörpern oder Kampfflugzeugen anvisiert und zerstört wird. Sie dürfen auch auf Flugzeugträgern fern des feindlichen Landes filmen, wie Flugzeuge starten oder Raketen abgeschossen werden. Aber es ist dennoch eine Propaganda, auch wenn sie meist nicht lügt, sondern nur selektiv sagt und vor allem mit Bildmaterial zeigt, was die "Wahrheit" ist. Auf diese "demokratische" Weise kann man nicht so schnell über Lügen ins Straucheln geraten und auch nicht so leicht kritisiert werden, was der noch der totalitären Form der Propaganda zuneigende Milosevich, schließlich kommt er auch aus der kommunistischen Partei, offenbar noch nicht verstanden hat.

Auf die wirklichen Infokriege oder die onomastischen Cyberkriege, wie sie von Stanislaw Lem beschrieben werden, dürfen wir also noch ein wenig warten.