Die Türkei zündelt auch im Irak
Seite 2: Der kurdische Bruderkrieg
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Im Nordirak gibt es nach wie vor zwei rivalisierende Clans, die ihre antiquierten Stammesstrukturen nicht überwinden können. Das ist ein entscheidender Unterschied zur kurdischen Bevölkerung in Nordsyrien, der Türkei und dem Iran. Der Barzani-Clan mit seiner Partei KDP unterhält enge - unter anderen auch wirtschaftliche einschließlich finanzieller Beziehungen zum türkischen Staat.
Der Talabani-Clan mit seiner Partei PUK, zweitstärkste Partei im Nordirak pflegt enge Beziehungen zum anderen großen Nachbarn, dem Iran. Die Rivalität zwischen KDP und PUK resultiert einerseits aus diesen ideologischen Differenzen, aber auch aus alten Ressentiments zwischen zwei mächtigen kurdischen Clans.
Die KDP hat aufgrund ihrer besonders konservativen Ausrichtung den bewaffneten Aufstand der PKK gegen den türkischen Staat und den Einsatz für Demokratie in den Grenzen der bestehenden Nationalstaaten stets abgelehnt, während die PUK durchaus auch inhaltliche Sympathien für den Einsatz der PKK für das kurdische Volk in allen vier Ländern hat.
Die scheinbar unüberwindbare Stammesrivalität zwischen dem Barzani- und Talabani-Clan hat dazu geführt, dass es zweierlei Peschmergas, also kurdische Armeen im Nordirak gibt, die auch gegensätzliche Strategien, z.B. im Umgang mit der PKK oder den Eziden, verfolgen.
Zwar haben die Kurden im Nordirak nach der Jahrtausendwende auf den Trümmern des irakischen Staats ein Stück Selbstbestimmung erreicht, von dem Kurden in der Türkei, in Syrien oder im Iran nur träumen können. Aber um überlebensfähig und einigermaßen unabhängig von der irakischen Zentralregierung in Bagdad zu sein, sind sie auf Exporte von Öl und Gas in die Türkei angewiesen.
Professor O’Leary von der Universität von Pennsylvania, der sich mit den verschiedenen Gesellschaftsmodellen der Kurden in ihren angestammten Siedlungsgebieten beschäftigt, konstatiert ein großes Dilemma der Kurden: Sie seien umgeben von Mächten, die ein Interesse haben, sie möglichst schwach zu halten. Und diese Mächte seien geschickt darin, sie gegeneinander auszuspielen. "Die Kurden sind im Grunde ihre eigenen ärgsten Feinde", fasst O’Leary die bittere Situation zusammen.
Womit er recht haben dürfte. Denn während in der Türkei, in Syrien und auch im Iran oppositionelle, linke Kurden sich für Demokratie, Minderheiten- und Frauenrechte einsetzen und damit ihr Leben oder jahrelange Gefängnisstrafen riskieren, versinkt die kurdische Autonomieregierung immer mehr im Korruptionssumpf. Die Gehälter der Beamten des aufgeblähten Beamtenapparates werden nicht mehr bezahlt, was zu zunehmenden Unmut in der Bevölkerung führt.
Ein Fünftel der sechs Millionen Einwohner der Region ist im öffentlichen Dienst beschäftigt.Monatlich muss die Autonomieregierung nach ihren Angaben 727 Millionen Dollar für deren Gehälter aufbringen. Die irakische Zentralregierung bezweifelt jedoch die Angaben der KRG und erkennt nur 260 Millionen Dollar für eine weit geringere Zahl von realen Staatsbediensteten an.
Die anderen Bediensteten betrachtet die irakische Regierung als Pseudobeamte, die dem Klientel des Barzani- oder Talabani-Clans angehören. Das Problem ist jedoch, dass die Einnahmen vor allen aus Ölverkäufen in die Türkei nicht in die Region fließen, sondern vor allem in die Türkei. 2019 machte die KRG einen Bruttogewinn aus den Ölverkäufen von 8,4 Milliarden Dollar.
Monatlich bedeutet das einen Nettogewinn von 241,8 Millionen Dollar, zu denen noch monatlich 200 Millionen Dollar aus Zolleinkünften und Steuern hinzukommen. Die irakische Zentralregierung zahlt seit März 2019 monatlich 368 Millionen US-Dollar an die kurdische Regionalregierung. Das heißt, es ständen 813 Millionen Dollar an Einnahmen 727 Millionen Dollar an Ausgaben für Staatsbedienstete gegenüber, glaubt man den Angaben der KRG. Die Löhne wären also gesichert.
Trotzdem fehlt das Geld. Wo ist es geblieben? Ein Grund ist, dass die Einnahmen aus den Ölverkäufen vor allem an die Türkei nicht in den nordirakischen Haushalt zurückfließen. Es gibt ein fünfzigjähriges Öl-Abkommen zwischen der Türkei und dem Nordirak, dessen Inhalt weitgehend geheim ist.
Weil die irakische Zentralregierung nicht an den Öl-Deals mit der Türkei beteiligt war, senkte die Zentralregierung die Zahlungen an die KRG um 17 Prozent. Die Milliardengewinne aus dem Ölexport landeten letztendlich bei der türkischen Halkbank, statt in der Infrastruktur für die Bevölkerung.
Der vergebliche Kampf der türkischen Armee in den irakischen und türkischen Bergen
Seit 1986, also seit über 30 Jahren gibt es immer wieder Angriffe der Türkei nicht nur im Irak gegen die PKK. Bis heute konnte der Widerstand trotz militärischer Überlegenheit der Türkei nicht gebrochen werden. Im Gegenteil: je mehr die Türkei gegen die kurdische Befreiungsbewegung vorgeht, desto mehr Zuspruch und Unterstützung erfährt diese.
Dass die PKK ein Ergebnis der kurdenfeindlichen Politik, der seit Jahrzehnten andauernden Unterdrückung und Demütigungen ist, wird im Westen kaum wahrgenommen. Da gilt das Framing, PKK gleich Terrororganisation, gleich Ursache allen Übels. Anders als bei anderen Befreiungsbewegungen wird meist verschwiegen, dass die PKK wegen der inzwischen fast schon 100 Jahre andauernden Unterdrückung der kurdischen Kultur erst entstehen konnte.
Man muss kein Freund der PKK sein um zu erkennen, dass es hier um das Überleben einer Ethnie geht, die nach dem Willen der Türkei ausgelöscht gehört. Und das ist nicht nur in der Türkei so, sondern auch in Syrien,dem Irak und dem Iran. Das Narrativ heißt: nicht die Türkei, die seit Jahrzehnten völkerrechtswidrig gegen die kurdische Bevölkerung militärisch vorgeht, ist verantwortlich für den seit 30 Jahren andauernden Krieg im Südosten des Landes, sondern die angegriffene, diskriminierte und gedemütigte kurdische Bevölkerung, die sich gegen ihre Auslöschung wehrt.
Diese kurdenfeindliche Politik der Türkei reicht bis nach Deutschland. Die Bundesregierung spielt in diesem Konflikt eine unrühmliche Rolle, indem sie die Narrative der türkischen Regierung übernimmt und kurdische Organisationen und Aktivisten, die sich in Deutschland für Demokratie, Autonomie, oder einfach nur dafür, als ethnische Minderheit wahrgenommen zu werden, einsetzen, kriminalisiert. So werden Opfer zu Tätern gemacht und in Sippenhaft genommen.
Diese Erkenntnis scheint auch in den türkischen Truppen teilweise angekommen zu sein. Es gibt Berichte, nach denen sich die Soldaten absichtlich einen Finger oder Arm brechen, um aus dem Kampfgebiet herauszukommen.
Zudem ist die Versorgungslage auf den Stützpunkten auf den Berggipfeln katastrophal. Dort gibt es kein Wasser, zu den weiter unten gelegenen Quellen können sie nicht, weil dort die Guerilla lauert. Die Wasserversorgung aus der Türkei über Hubschrauber funktioniert schlecht, weil diese von der Guerilla immer wieder angegriffen werden.
Daher sollen die Wasserrationen trotz sengender Hitze auf anderthalb Liter pro Person reduziert worden sein. Kürzlich besuchte der türkische Außenminister Hulusi Akar die Region, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Über diese Probleme berichten die türkischen Medien nicht.
Stattdessen wird das Bild einer heroischen, erfolgreichen türkischen Armee gezeichnet. Dass dieses Bild nicht der Realität entspricht, darüber berichten die Einheimischen.
Aber die Türkei hat mit Erdogan ihren Zenit überschritten. Wenn die Bundesregierung klug und weitsichtig genug wäre, wüsste sie, dass spätestens jetzt international auf die Opposition von CHP und HDP gesetzt werden müsste. Wünschenswert wäre ein Diskurs dieser beiden Parteien und eine Abkehr der CHP von ihrem nationalistischen Atatürk-Leitsatz: ein Volk, eine Sprache, ein Vaterland.
Erdogan hat sich davon längst verabschiedet. Er setzt auf: ein Volk (der Turkvölker), eine Sprache, ein Vaterland in den Grenzen des Osmanischen Reiches und eine Religion - die der Muslimbruderschaft: der politische Islam.