Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft

Seite 2: Sadomasochismus als Freiheit

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Sadomasochismus als Freiheit...

Michael Hirsch: Für mein Buch war Loic Wacquant mit seinem Buch Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit sehr wichtig, weil er diese Gefängnislogik des Sozialstaats, die fließenden Übergänge zwischen Sozial- und Gefängnissystem gut beschrieben hat und dies als die Einführung eines sozialdarwinistischen Realitätsmodells von oben darstellt:

Es ist eben nicht der Kapitalismus, der quasi aus sich selbst heraus solch ein neues System schafft, sondern dieses wurde erst durch staatliche Reformen vollzogen. Die neoliberale Propagierung des Kampfes aller gegen alle ist nicht Resultat veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse, sondern Ergebnis eines staatliches Erziehungsprogramms.

Sobald ein formal demokratischer Staat sich der Wirtschaft in dieser Weise unterordnet, entwickelt er eine massiv repressive und antidemokratische Logik, was nie ohne gewaltsame Anpassungsprozesse vonstatten geht. Das war im Faschismus so und ist es auch heute.

"Auch die kulturelle Arbeit wurde umcodiert"

Sie schreiben in einem Ihrer Bücher, dass wir die Entdemokratisierung von Politik, eine Lähmung des Denkens und eine Abdrängung der großen gesellschaftlichen Fragen ins Private erleben: Wie hängt das alles zusammen?

Michael Hirsch: Diese drei Phänomene hängen mit der Schwächung intellektueller Macht zusammen: Der Zustand des kulturellen Feldes der Gesellschaft, der organisatorische Zustand der Intellektuellen, der Zuschnitt, wie Universitäten und Medienanstalten heute konfiguriert sind und das Personal, das auf eine neue Weise dabei rekrutiert wird, ist so miserabel, dass eine solche Entwicklung nicht verwunderlich ist. Man kann sich davon keine wesentlichen Impulse erwarten. Eine freie Gesellschaft hängt idealtypisch von progressiven Kämpfen sozialer Bewegungen genauso ab wie von progressiven intellektuellen Kämpfen im Kulturbereich, den Medien und den Hochschulen.

Einer der wesentlichen Punkte ist hierbei, dass man in den letzten Jahrzehnten auch die kulturelle Arbeit umcodiert und unter wirtschaftliche Prämissen gestellt hat. Auch hier hat sich eine bedeutende Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse eingestellt. Durch die Bologna-Reform wurde die mangelnde Kreativität des Hochschulpersonals noch einmal kodifiziert. Das alte Autonomie-Ideal der Professorin und des Professors wurde durch bürokratische Rechtfertigungspflichten und Output-Steuerung ersetzt.

Teil 2 des Gesprächs: Michael Hirsch äußert sich zum Feminismus und der Krise als Resultat der Zersplitterung der Linken

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