Die Vollstrecker
Mit Paul Ryan und Mitt Romney hat sich ein republikanisches Dream-Team gefunden. Sollten sie ins Weiße Haus einziehen, könnten sie die Vision des republikanischen "New Deals" vollenden
Mitt Romney hat gezeigt, wie es geht: Arbeite hart und der Erfolg kommt automatisch, lautet seine Predigt. Er hat ein Privatvermögen von geschätzten 250 Millionen angehäuft, als Chef der eiskalt kalkulierenden Investmentfirma Bain Capital, er lagert seine Millionen in Steueroasen und zahlt 13 Prozent Steuern. Seine Frau Ann führt ihr Hobby, das Dressur-Pferd Rafalca, als Unternehmen und setzt Teile davon steuerlich ab. Der freie Markt als Freund und Helfer.
Jeder könnte es ihnen gleichmachen ist Mitt Romney überzeugt. Einzig der Staat, dieser regulierungswillige und aufgeplusterte Apparat, der die Mächte des freien Marktes in Ketten legen will und seine Bürger animiert Almosen zu empfangen statt zu arbeiten, steht zwischen den Menschen und ihrem persönlichen Erfolg. Mit Paul Ryan hat sich der Praktiker Romney nun den Architekten ins Boot geholt, der diesem Dogma den theoretischen Unterbau zimmert.
Paul Ryans "Weg zum Wohlstand"
Der 42-jährige Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses für Wisconsin und Chef des Haushaltsausschusses gilt als Vordenker seiner Partei für die weit reichende Neugestaltung der USA. The Path to Prosperity: A Blueprint for American Renewal, sein Budgetentwurf für den US-Haushalt, den Ryan im Frühling vorstellte, zeigt, warum seine Idee von der Umgestaltung des Landes vor allem eins ist: radikal.
5.3 Billionen US-Dollar sollen demnach über die nächsten zehn Jahre eingespart werden. Der Plan sieht vor, die Sozialversicherung zu privatisieren, ebenso wie die staatliche Krankenversicherung für Rentner, Medicare; Senioren müssten mit einer Preissteigerung von 6.400 US-Dollar bis 2022 rechnen, analysiert das Center on Budget and Policy Priorities. Es soll Steuersenkungen geben, von denen allerdings diejenigen am meisten profitieren, die im Jahr über 1 Millionen US-Dollar verdienen. Für sie gibt es Einsparungen von 265,011 US-Dollar verglichen zu 246 Dollar für Bürger, die zwischen 20.000 und 30.000 US-Dollar nach Hause bringen.
Damit nicht genug. Ryan will 2.4 Milliarden US-Dollar heraus kürzen bei Medicaid, dem Gesundheitsfürsorgeprogramm für Familien mit geringem Einkommen, und anderen Gesundheitsversorgungen—bis zu 44 Millionen Menschen könnten damit nicht mehr abgedeckt sein. SNAP, das Programm für Essensmarken, müsste mit 143 Milliarden, oder 17 Prozent, weniger auskommen. Und verglichen zum Haushaltsplan von Obama will Ryan bis 2022 für "education, training, employment, and social services" 33 Prozent weniger ausgeben, bemerkt die Washington Post (Budgetplan Weißes Haus vs. Ryans)
Der ewige Kampf
Sozialabbau und Privatisierung von Gesundheitsprogrammen - so will Ryan sein Land gesundschrumpfen und zurück zu alter wirtschaftlicher Stärke führen. Zusammen mit Romneys Glauben an die Freiheit der Märkte und Steuererleichterungen für Firmen, bilden sie den Kern der innenpolitischen Parteiideologie dieser Tage: die Reichen belohnen, die Armen bestrafen und der Rest muss sehen, wie er überlebt.
Zwar kämpft die Grand Old Party seit Jahrzehnten den gleichen Kampf, seitdem Roosevelt auf die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre erfolgreich mit Wirtschafts- und Sozialreformen antwortete, Hilfe für Arbeitslose, die Sozialversicherung und Gesetze zur Regulierung der Finanzmärkte einführte. Als dann auch noch Johnson mit Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik und Programmen wie Medicare und Medicaid seiner Vision von einem gerechteren Amerika Ausdruck verlieh, stieg der Unmut innerhalb der Partei weiter. Doch selten waren die Ideen so nah am Sozialdarwinismus und selten stand die Chance zugleich so gut, dass sie umgesetzt werden könnten.
Die Krise als Chance
Die Wirtschaftskrise, die massive Verschuldung des Landes und die Wahl Obamas zum Präsidenten hat nicht nur die Politik radikalisiert, sondern auch die Wähler. Obamacare ist da nur einer, wenn auch der prominenteste Streitpunkt im Land.
In einer Umfrage von Purple Strategies vom 15 August, also kurz nach der Nominierung Ryans zu seinem Vizepräsidenten, konnte Romney in 12 Swing States zwei Prozentpunkte dazu gewinnen und liegt jetzt quasi gleich auf mit dem Präsidenten. Auch in einer aktuellen Datenerhebung von der Quinnipiac University/CBS News/New York Times holt Romney weiter auf während Obama Prozentpunkte verliert.
Die Gründe sind vielfältig und zeigen, dass sich die USA nicht mehr nur in einer Wirtschafts-, sondern längst auch in einer Identitätskrise befinden. Manche fürchten nach wie vor die Mär vom "Sozialisten" Obama, andere bereits am Existenzminimum lebende Menschen wollen schlicht eine Veränderung, wieder andere ärgert es, dass der Staat unter Obama angeblich so viel Sozialhilfe verteilt, dass es sich für manche mehr lohnt, die Hand aufzuhalten, statt arbeiten zu gehen.
Es geht nicht vorwärts, sondern auch mit Obama weiter bergab, worauf soll man also noch hoffen? "Unser Land braucht einen Schub", sagt Romney-Unterstützer Clint Eastwood, womit er die Gefühlslage im Land anspricht. Paul Ryan hat die dafür scheinbar nötige Rosskur im Angebot. "Es scheint, als ob (seine Wahl) einen kleinen positiven Effekt für Romney eingebracht hat", meint Peter Brown, stellvertretende Leiter der Quinnipiac-Umfrage auf "Face to Face" von CBS.
Fetisch für Tax-Cuts
Aber es gibt auch kritische Stimmen aus den eigenen Reihen. Der ehemalige Leiter des Office of Management and Budget unter Ronald Reagan, David A. Stockman, beschreibt Ryans Budgetentwurf vor kurzem in einem Artikel der New York Times als "Märchen". Der Plan würde in keiner Weise den wirtschaftlichen Niedergang des Landes aufhalten, so Stockman. Das größte Problem wären weiterhin die Banken an der Wall Street, die wie Warzen auf dem Staat heften würden und zu anfällig seien für Spekulationen. Im Grunde zeige der Plan nichts weiter als Ryans "Fetisch" für Steuererleichterungen für die Superreichen und angeblichen Erschaffer von Arbeitsplätzen.
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman nennt den Entwurf gar einen "Witz", dessen Zahlenspiele hinten und vorne nicht stimmen. Die unterhaltsamste Ohrfeige liefert Ralph Nader: "Paul Ryans Gehirn", schreibt er, "ist so randvoll mit kognitiven Dissonanzen, dass es einen normalen Menschen um den Verstand bringt."
Aber um die "normalen" geht es seit dem Erfolg der Tea Party nicht mehr. Im US-Wahlkampf geht es um Wut, Ohnmacht, fiskalpolitischer Fanatismus, Wunschträume, und immer weniger um rationale Argumente. Für den zwischenmenschlich steif und kalt erscheinenden Romney wird Ryan die gewünschte Rolle des Einheizers spielen und die Skeptiker hinter sich vereinen.
Konservativer "New Deal"
Achtzig Jahre nach Roosevelts New Deal und über 40 Jahre nach Johnsons Great Society, Programme, die das Gesicht der USA als freie und faire Gesellschaft entscheidend prägten, ist die GOP so nahe dran wie nie zuvor, diese Errungenschaften zurückzudrehen.
Erst George W. Bushs neokonservative Muskelspiele in der Außenpolitik und jetzt Romney und Ryans innenpolitischer Neoliberalismus: Der Kreis schließt sich, die Republikaner stehen vor der Erfüllung ihres Traums vom eigenen konservativen "New Deal": gnadenlose Marktfreiheit und sozialer Kahlschlag, dazu die erzkonservativen Leitlinien, die auf dem Parteitag in Tampa, Florida vorgestellt werden sollen.
Dabei ist ein Grund für staatliche Verantwortung, vor allem mit Blick auf die heutige Finanzwirtschaft, die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens. Mit diesem könnte es gleichwohl vorbei sein, sollten die beiden ins Weiße Haus einziehen, ihre Ideen aber nicht fruchten. Doch selbst auf diese Möglichkeit scheint das Team vorbereitet zu sein: Eins der wenigen Programme, in dem statt Kürzungen tatsächlich Erhöhungen vorgesehen sind, ist das Verteidigungsbudget.