Die Vorbereitung der "Führungskräfte von morgen"

Die Abwanderung aus dem staatlichen Bildungssystem geht weiter. Seit 2000 hat sich nicht nur die Anzahl der privaten Hochschulen, sondern auch die ihrer Studierenden vervielfacht

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"Our goal is to prepare the leaders of tomorrow to responsibly meet global challenges." Diesen markigen Leitsatz könnte man einer us-amerikanischen Elite-Universität zuordnen. Er steht allerdings über der "Philosophy" der Jacobs University in Bremen, die sich ganz unvoreingenommen als "highly selective" präsentiert.

In den Bachelor-Programmen sind derzeit 677 Studierende eingeschrieben. Die Studiengebühren liegen nach Angaben der Hochschule bei 20.000 € pro Studienjahr. Dazu kommen Kosten für Unterbringung und Verpflegung in Höhe von 500 € im Monat. Die Gründung einer privaten Hochschule kann sich lohnen.

Gründungsboom

Folgerichtig registriert der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in einer aktuellen Studie einen "Gründungsboom privater Hochschulen". Zwischen 2000 und 2008 blieb die Zahl der staatlichen (266) und kirchlichen (38) Hochschulen gleich, während 49 private neu hinzukamen. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Studierenden von 25.000 auf 85.000.

Die Einnahmen, in deren Berechnung nicht die Grundmittel (Zuweisungen der jeweiligen Träger) einfließen, konnten zwischen 2000 und 2008 ebenfalls annähernd vervierfacht werden – von 123 auf 445 Millionen Euro.

Der Verband der Privaten Hochschulen hat diese Angaben im vergangenen Monat weiter nach oben korrigiert. 2011 existieren demnach bereits über 100 private Hochschulen, an denen rund 110.000 Studierende eingeschrieben sind. In Berlin gibt es inzwischen mehr private als staatliche und kirchliche Hochschulen, trotzdem sieht der Stifterverband Hamburg und Hessen als "Vorreiter" der Bewegung. In der Freien und Hansestadt hat sich die Zahl der privaten Hochschulen von zwei (2000) auf sieben (2008) und der Anteil der Studierenden an sämtlichen Nachwuchsakademikern von drei auf 16 Prozent erhöht. Hessen steigerte sich von sechs (2000) privaten Hochschulen auf acht (2008) und den entsprechenden Anteil der Studierenden von 1,8 auf sieben Prozent.

Aber auch die Jacobs University wird sich nicht beklagen können. Sie gehört zu den drei nichtstaatlichen Hochschulen mit den höchsten Einnahmen in Deutschland und verbuchte 2008 mit der Frankfurt School of Finance and Management und der Steinbeis-Hochschule Berlin zusammen 120 Millionen Euro. Die Einnahmen aus Studiengebühren, Drittmitteln, Sponsoring oder Mietverträgen sind allerdings denkbar ungleich verteilt.

25 Prozent der Einnahmen werden von den drei, 50 Prozent von den zehn einnahmestärksten Hochschulen erzielt. (…) Die Hälfte der privaten Hochschulen erzielte weniger als 2,7 Millionen Euro Einnahmen pro Einrichtung, ein Viertel der 81 privaten Hochschulen nahm 2008 sogar weniger als eine Million Euro ein.

Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Studienangebot und Forschung

Rund 60 Prozent aller Studiengänge an den privaten Hochschulen haben im engeren oder weiteren Sinne mit Wirtschaftswissenschaften zu tun. Die sogenannten MINT- und die Ingenieursfächer (16 Prozent) oder die an staatlichen Hochschulen beliebten Sprach-, Kultur-, Kunst- oder Sportwissenschaften (sechs Prozent) fallen dagegen kaum ins Gewicht. Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften kommen auf zehn Prozent - auch durch Studiengänge, welche die Untersuchung gewissenhaft "an der Schnittstelle von Medizin und Management" ansiedelt.

Unter organisatorischen Gesichtspunkten ist das Angebot der Privaten gleichwohl erstaunlich flexibel. Immerhin sind hier 36 Prozent aller Fernstudien- und 29 Prozent aller Teilzeitstudiengänge beheimatet. Auch in Sachen Internationalität ist der private Hochschulsektor offenkundig besser ausgestellt. Es gibt nicht nur mehr internationale Studiengänge, sondern auch überdurchschnittlich viele Studierende aus dem Ausland (in Bremen sind es rund 50 Prozent) und eine deutlich höhere Zahl englischsprachiger Unterrichtsangebote.

Positiv zu werten ist sicher auch die geringe Abbrecherquote. Joachim Treusch, Präsident der Jacobs University in Bremen, verkündete im Juli die allemal beachtliche Erfolgsbilanz von 94 Prozent Abschlüssen im abgelaufenen Studienjahr.

Völlig anders sieht es im Bereich Forschung aus, der an den staatlichen Hochschulen traditionell einen hohen Stellenwert genießt. 2008 sammelten neun private Anbieter 86 Prozent aller Drittmittel ein. Drei Jahre später hatten nur zehn von ihnen das Recht, ihre Studierenden überhaupt zu promovieren. 2009 wurden hier 230 und damit weniger als ein Prozent aller Doktorarbeiten abgeschlossen.

Forschung an privaten Hochschulen entwickelt sich in geringem Umfang, nur in einzelnen Bundesländern und an wenigen forschungsorientierten privaten Hochschulen. Eine ausdifferenzierte starke Forschungslandschaft ist mittelfristig nicht zu erwarten. Forschung ist kein prägendes Profilmerkmal der privaten Hochschullandschaft insgesamt.

Stifterverband für die deutsche Wissenschaft

Die meisten privaten Hochschulen "betreiben Bildung vorrangig als Dienstleistungsgeschäft", stellte auch Jan Martin Wiarda im Juni 2011 fest. Mit universitärer Exzellenz hätten sie "so viel zu tun wie der Pizzabäcker von nebenan mit einem Sternekoch".

Eliteförderer oder Lückenfüller?

Der Stifterverband hatte sich bereits im vergangenen Jahr intensiv mit dem Thema beschäftigt und dabei auf die Expertise von McKinsey & Company gesetzt. Ein Fazit dieser sehr viel umfangreicheren Studie verstand sich deshalb von selbst:

Entgegen der verbreiteten Meinung liegt der wesentliche gesellschaftliche Beitrag der privaten Hochschulen in Deutschland nicht in der Elitenausbildung, sondern vielmehr in Angeboten für Zielgruppen, die von staatlichen Hochschulen nicht oder nur unzureichend angesprochen werden.

Stifterverband für die deutsche Wissenschaft/ McKinsey & Company

Ob sich an den privaten Hochschulen eine intellektuelle, wissenschaftliche oder auch nur wirtschaftliche Elite tummelt, sei einmal dahingestellt. Die Studiengebühren aber sind für den durchschnittlichen Nachwuchsakademiker in der Regel unerschwinglich.

An der zur "Universität für Wirtschaft und Recht" gekürten "EBS European Business School", die sich in all ihren Leistungsbereichen "zur Exzellenz verpflichtet", zuletzt aber vornehmlich durch die Verhaftung ihres (Ex-)Präsidenten Christopher Jahns und diverse Falschbuchungen für Schlagzeilen sorgte, belaufen sich die Gebühren für ein Masterstudium, die - im Gegensatz zu den staatlichen Hochschulen – gar nicht erst "Beiträge" genannt werden, auf 6.500 € pro Semester, sprich 13.000 € im Jahr. Bei der Einschreibung müssen überdies "Inskriptionsgebühren" in Höhe von 575 € gezahlt werden.

Deutschland erste Privatuniversität Witten-Herdecke stand 2008/09 kurz vor der Insolvenz. Hier dürfen die entsprechenden Kosten auch nach dem Studium beglichen werden. Für 48.000 € gibt es den Vollstudiengang Zahnmedizin allerdings nur bei Sofortzahlung.

An der "Frankfurt School of Finance and Management" kostet der Studiengang "Betriebswirtschaftslehre (B.Sc.) Intensive Track” 5.950 € pro Semester. Eine "Abschlussrate" in gleicher Höhe wird mit der Abgabe der Bachelorarbeit fällig. Die "Inskriptionsgebühren", die hier nur "Einschreibegebühren" heißen, sind immerhin 475 € günstiger als an der EBS European Business School und belaufen sich nur auf 100 €.

Stipendien

Vertreter und Befürworter der privaten Hochschulen weisen den Vorwurf der einseitigen Eliteförderung in nahezu jeder Stellungnahme weit von sich. Sämtliche Interessenten haben angeblich die Möglichkeit, von dem Studienangebot Gebrauch zu machen, denn schließlich gibt es zahlreiche Finanzierungsformen, etwa Stipendien oder Studienkredite.

Auch an der Frankfurt School of Finance and Management? Selbstverständlich! Hier legt man besonderen Wert darauf, "begabten Bewerbern - unabhängig von ihrer finanziellen Situation - die Aufnahme eines Studiums zu ermöglichen". Pro Jahr kommen 12 Studierende in den Genuss des hauseigenen Förderprogramms.

Eine separate Bewerbung um ein Stipendium ist nicht notwendig. Die Auswahl der Stipendiaten nimmt eine Kommission der Frankfurt School Stiftung bis spätestens 31. Juli vor. Die Entscheidung der Kommission ist endgültig; es besteht kein Rechtsanspruch auf ein Stipendium. Die Stipendien sind zunächst auf zwei Semester befristet und werden nur verlängert, wenn die Stipendiaten die dem jeweiligen Programm entsprechenden geforderten Leistungen erbringen.

Frankfurt School of Finance and Management

Überdies beteiligt sich die Hochschule an dem bekanntermaßen äußerst großzügigen Deutschland-Stipendium des Bundes. Fünf Studierende bekommen dadurch einen Zuschuss von monatlich 300 €. Das macht im Idealfall 1.800 € pro Semester, und schon könnten die Gebühren für den Studiengang "Betriebswirtschaftslehre (B.Sc.) Intensive Track” auf schnäppchenverdächtige 4.150 € sinken.

Private Hochschulen, staatliche Gelder

Schon der Begriff "private Hochschulen" ist vielerorts eine Mogelpackung. Denn die Einrichtungen streben nicht nur nach der staatlichen Anerkennung durch das jeweilige Bundesland und eine institutionelle Akkreditierung durch den Wissenschaftsrat. Es geht auch um staatliche Gelder.

Nach Angaben der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD), die grundsätzlich keine "Vorreiterfunktion privater Hochschulen erkennen" kann, bekommt der Sektor aufgrund der massiv steigenden Studentenzahlen 50 Millionen Euro für neue Studienplätze. Auch in anderen Bundesländern werden nichtstaatliche Hochschulen seit Jahren mit Millionenbeiträgen gefördert, wenn auch nicht allerorten so üppig wie in Hessen, wo die EBS European Business School zum Unwillen der Opposition von der Landesregierung mit knapp 25 Millionen für den Aufbau einer juristischen Fakultät unterstützt wird.