Die Vorzeigestadt
Der als Vorbild nachhaltigen Städtebaus gelobte Freiburger Stadtteil Vauban zieht Besucher aus aller Welt an
„Is this the greenest city in the world?“ titelte der britische „Observer“ im März 2008 in einem Bericht über Freiburg im Breisgau. Gemeint war damit eigentlich nicht die Stadt insgesamt, sondern der auf einem ehemaligen Kasernengelände am Stadtrand entstandene neue Stadtteil Vauban. Nicht nur für Journalisten, auch für ökologisch interessierte Besucher ist das heute rund 5500 Einwohner zählende Viertel mit seinen bunten, drei- und vierstöckigen Niedrigenergie-, Passiv- und Plusenergiehäusern ein attraktives Ziel. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein Bus mit französischen Kommunalpolitikern, italienischen Architekten oder koreanischen Studenten eintrifft, die wissen wollen, wie nachhaltiger Städtebau aussieht. Auch im kürzlich erschienenen "State-of-the-World"-Report des Worldwatch Institute wird Vauban als Vorbild gelobt, wie „Städte in der Zukunft gebaut werden“ sollten, und ab Mai dieses Jahres darf sich Vauban auf der Urban Best Practices Area der Expo 2010 in Shanghai präsentieren.
Was ist so besonders an diesem Stadtviertel, dass ihm so viel internationale Aufmerksamkeit zuteil wird? Viele Eigenheiten hängen mit der Entstehungsgeschichte des Viertels zusammen: Im Jahr 1992 räumten die französischen Streitkräfte das am südlichen Stadtrand gelegene, nach dem Festungsbaumeister Sébastien le Prestre de Vauban (1633-1707) benannte Gelände. Schon bald entstand die Idee, hier einen neuen Stadtteil zu entwickeln, da es damals in Freiburg an Wohnraum mangelte. Wie bei dem etwa gleichzeitig entstandenen Neubauviertel Rieselfeld war das Ziel, keine reine Wohnsiedlung, sondern ein „urbanes“ Quartier mit guter Infrastruktur zu schaffen. 1993 wurde eine entsprechende städtebauliche Entwicklungsmaßnahme eingeleitet, 1994 ein Ideenwettbewerb durchgeführt und schließlich 1996 der erste Bebauungsplan aufgestellt.
„Erweiterte Bürgerbeteiligung“ bereits in der Planungsphase
Der Bebauungsplan entstand nicht – wie sonst üblich – auf dem Reißbrett im Stadtplanungsamt, sondern in enger Abstimmung mit dem kurz zuvor gegründeten Bürgerverein „Forum Vauban“. Wesentliche der heute als vorbildlich angesehenen „nachhaltigen“ Merkmale wie das autoreduzierte Verkehrskonzept, die Oberflächenversickerung des Regenwassers oder auch die überwiegende Vergabe der Grundstücke an Baugruppen gehen auf die Initiative dieses Vereins zurück. Die weit gehende Einflussnahme des Forum Vauban wurde durch die in Freiburg entwickelten und in den Neubauvierteln Vauban und Rieselfeld erstmals praktizierten Konzepte der erweiterten Bürgerbeteiligung und „lernenden Planung“ ermöglicht.
Über die Grenzen der erweiterten Bürgerbeteiligung war man sich zwischen Vauban-Bewohnern und der Stadtverwaltung allerdings nicht immer einig, sodass Konflikte nicht ausblieben. So konnte der Stadt die Umwandlung eines alten Kasernengebäudes in ein Bürgerzentrum und die Nichtbebauung des davor liegenden Platzes erst nach langen Auseinandersetzungen abgetrotzt werden. Der von vielen ebenfalls gewünschte Erhalt weiterer noch nicht umgenutzter Kasernen war hingegen nicht erfolgreich, die Altbauten fielen im Interesse einer besseren Grundstücksverwertung nach langem Hin und Her letztlich der Abrissbirne zum Opfer. Durchsetzen konnte sich hingegen ein Projekt, für das die Stadt anfangs auch keine überschwängliche Sympathie hegte: Noch bevor ab 1998 die ersten Neubauten entstanden, richtete sich in vier alten Kasernen eine „Selbstverwaltete Unabhängige Siedlungsinitiative“ (SUSI) ein, dämmte und renovierte die Häuser in Eigenregie und Eigenarbeit. Auf diese Weise entstand günstiger Wohnraum für 260 Bewohner (die aktuellen Kaltmieten liegen unter 5 Euro/qm). Heute ist das SUSI-Projekt mit seinen originell umgebauten Kasernen und einer dazwischen gelegenen Wagenburg ein lebendiges Beispiel für alternative Wohnformen inmitten der mittlerweile dominierenden „bürgerlichen“ Wohnblock- und Reihenhausbebauung. Neben SUSI entstand in weiteren umgenutzten Kasernengebäuden ein Studentenwohnheim. Dass es auch zwischen den verschiedenen Bewohnergruppen des Quartiers nicht immer konfliktfrei zuging, kann man an alten Inschriften wie „Häuslebauer go home“ ablesen.
Das Verkehrskonzept, das die meisten Autos in zwei Sammelgaragen konzentriert, war ebenfalls nicht unumstritten, sorgt jedoch heute für eine hohe Qualität des öffentlichen Raums. „Gerade ausländische Besucher sind von den stellplatzfreien und von Kindern bevölkerten Wohnstraßen beeindruckt“, erzählt die Italienerin Irene Pacini, die seit Ende 2000 überzeugte Vauban-Bewohnerin ist und ihr Viertel hin und wieder interessierten Landsleuten zeigt. Nur zum Be- und Entladen dürfen die Wohnstraßen befahren werden, und jeder Autobesitzer muss einen der rund 18.000 Euro teuren Stellplätze in einer Sammelgarage kaufen (eine Ausnahme gab es nur für Bauträger, die Tiefgaragen bauen durften).
Wer kein Auto hat, kann einen Großteil dieser Kosten sparen, indem er sich „autofrei“ meldet. Von dieser Möglichkeit haben viele Bewohner Gebrauch gemacht: In Vauban waren im Jahr 2009 nur 167 PKW pro 1000 Einwohner gemeldet, in der Gesamtstadt Freiburg waren es 392, im Bundesdurchschnitt 503. Ein Auto braucht man hier auch nicht unbedingt: Seit April 2006 führt eine Straßenbahnlinie durch die Vaubanallee, die zentrale Verkehrsachse des Quartiers. Darüber hinaus warten 16 Carsharing-Fahrzeuge auf rund 400 Gelegenheits-Autofahrer. Nicht zu vergessen natürlich das Fahrrad, das hier, wie generell in Freiburg, ein gern und viel genutztes Verkehrsmittel ist.
Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.
Aufschrift auf einem umgenutzten Kasernengebäude in Vauban
Nicht nur der Verkehr, auch der Energieverbrauch im Viertel sollte möglichst gering gehalten werden. So war für alle Neubauten generell Niedrigenergiebauweise vorgeschrieben, auf Anregung des Bürgervereins wurden darüber hinaus Grundstücke in Nord-Süd-Richtung für die Bebauung mit Passivhäusern ausgewiesen. In der ebenfalls zum Vauban-Viertel gehörenden „Solarsiedlung“ des Architekten Rolf Disch wurden sogar so genannte Plusenergiehäuser realisiert, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Der Energieplaner Andreas Delleske, der 1998 am ersten Passivhaus in Vauban mitbaute und heute nahezu täglich Besuchergruppen durchs Viertel führt, verblüfft diese gern mit seinen niedrigen Energiekosten: „Ich wohne in einer 90-Quadratmeter-Wohnung und habe 90 Euro Heizkosten – und zwar nicht im Monat, sondern im Jahr!“ Die Heizenergie wird zentral in einem holzbefeuerten Blockheizkraftwerk erzeugt und über Fernwärmeleitungen an die Haushalte verteilt. Andere Heizungsarten sind im Viertel nicht zugelassen.
Das etwas über 40 Hektar große Gelände wurde fast ausschließlich an private Investoren, darunter zahlreiche Baugruppen, verkauft. Von den Grundstückserlösen (180 bis 450 Euro/qm) wurden die Erschließung sowie die Grundschule im Viertel finanziert. Knapp die Hälfte der Fläche diente der Wohnbebauung, der Rest sind Gewerbe-, Verkehrs- und Grünflächen. Die Baugemeinschaft oder Baugruppe, heute ein weithin bekanntes und etabliertes Wohneigentumsmodell (vgl.: Besser bauen in der Gruppe), war Mitte der 1990er Jahre ebenfalls eine Neuerung, die maßgeblich von Freiburg (und Tübingen) ausging. Insbesondere für kinderreiche Familien war das gemeinsame Bauen in der Gruppe eine Möglichkeit, relativ günstig Wohneigentum zu erwerben. Quadratmeterpreise unter 2000 Euro ließen sich auf diese Weise realisieren, einige hundert Euro weniger als bei vergleichbaren Bauträgerangeboten.
Architektonisch konnten sich die Bauherren (und -frauen) weitgehend selbst verwirklichen, da im Bebauungsplan nur wenige Vorgaben festgeschrieben waren. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – vermittelt Vauban heute einen recht harmonischen baulichen Eindruck, mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil architektonisch ansprechender Gebäude. Die kleinteilige Reihenhausbebauung mit Parzellenbreiten von sechs bis sieben Metern sorgte für „bunte“ Abwechslung zwischen den größeren Geschosswohnungsbauten. Dass der Stadtteil eher einen gewachsenen Charakter als übliche Neubauviertel aufweist, liegt nicht zuletzt auch am alten Baumbestand, der weitgehend erhalten werden konnte.
Die „nachhaltige Stadt“ lebt vom Engagement ihrer Bewohner
Kleinteilige Bebauung, attraktive öffentliche Räume (fast) ohne Verkehr, kurze Wege im Quartier und die gute ÖPNV-Anbindung zum Stadtzentrum – jede dieser Eigenschaften stellt schon für sich einen Fortschritt zur klassischen Neubausiedlung auf der grünen Wiese dar. Doch erst die Verbindung dieser Einzelmaßnahmen zu einem integrierten Konzept macht das Modellhafte des Viertels aus. Die „nachhaltige Stadt“ wird so für die Bewohner ganz persönlich erfahrbar – sie stellen fest, dass all dies nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern letztlich ein Mehr an Lebensqualität bedeutet. Als tragendes Element hat sich hierbei – trotz oder gerade wegen der zahlreichen Konflikte – die frühzeitige Einbindung der künftigen Bewohner in die Entwicklung des Viertels anstelle der sonst üblichen „Stadtplanung von oben“ erwiesen. Auch wenn die erweiterte Bürgerbeteiligung aus der Anfangsphase viel an Elan verloren hat, interessieren sich nach wie vor viele Bewohner dafür, was in ihrem Viertel geschieht, und melden, manchmal auch recht lautstark, ihre Ansprüche an (was den Vauban-Bewohnern in der restlichen Stadt den Ruf eingetragen hat, selbst etwas „besonders“ zu sein). Für Passivhausbewohner Delleske ist dieses Engagement noch wichtiger als energiesparende Häuser und autofreie Straßen: „Alle haben hier die Möglichkeit, ihre eigene Stadt mitzugestalten.“
Tipps zum Weiterlesen:
Expo-Website Freiburg Green City
Carsten Sperling/Forum Vauban e.V./Öko-Institut e.V. (Hrsg.): Nachhaltige Stadtplanung beginnt im Quartier, 1999