Die Wirtshausrevolution
Das geplante Rauchverbot in Bayern erregt nicht nur die Stammwähler der CSU
Die Bayern sind zwar ein beinahe monarchisch gesinntes Alpenvolk, das sich unter Potentaten wie Franz Josef Strauß besonders wohl fühlt. Wenn aber per politischer Verordnung versucht wird, der sogenannten bayerischen Gemütlichkeit den Garaus zu machen, hört sehr bald dieselbe auf: War es 1995 eine Sperrstundenverordnung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, die Zehntausende zur Münchner Biergartenrevolution auf die Strasse trieb, ist es nun das geplante Gesetzesvorhaben des Landesregierung zum Nichtraucherschutz in Wirtshäusern, Restaurants und Bierzelten, das die Massen mobilisiert und sogar die absolute Mehrheit der CSU in Bayern kippen könnte.
Am Montag hatte der vor einer Woche von Gastronomen gegründete “Verein zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur“ in den Münchner Löwenbräukeller geladen und dieser war rappelvoll: Rund 2000 krebsrote Spanferkelgesichter, Schnauzbart- und Karosakkoträger sowie ihren Mausis den Hintern tätschelnden Baseballkappen-Vokuhilas, Menschen also wie ich und du, denen man ohne weiteres zutraut, die Basis der CSU zu bilden, füllten den Saal und ließen ihren volkstümlichen Protest („Die Zigaretten hoch!“) freien Lauf.
Nachdem die Oktoberfestband Die Derbys die Gäste populärstmusikalisch aufgepeitscht hatte, betraten mehrere Groß- und Kleinwirte die Bühne und schimpften (teilweise von stehenden Ovationen unterbrochen) wie aus Maschinengewehren: Hatte die CSU noch unter Stoiber ein „erträgliches Nichtrauchergesetz“ auf den Weg gebracht, wurde dies nach dessen Abschied „in unerträglicher Arroganz vom Tisch gewischt“, womit nun mit der Abstimmung am 12.12. im Landtag „das strengste Nichtrauchergesetz in ganz Europa droht“. In der Tat bewegen sich die Bußgelder für die Wirte in einer Größenordnung von fünf bis tausend Euro.
„Mörder des bayerischen Dorfwirtshauses“
Mehrfach kochte die Volksseele hoch („Nieder mit CSU!“), als auf einer Videoleinwand das Antlitz des für das Verbotsfiasko verantwortlich gemachten CSU-Fraktionschef Georg Schmidt (am Abend aufgrund seines vielen Händeschüttelns mehrfach als “Schüttel-Schorsch“ geschmäht) mit dem Spruch “Georg Schmid – Mörder des bayerischen Dorfwirtshauses“ eingeblendet wurde.
Nach einer Umfrage sind 72 Prozent der CSU-Wähler gegen ein solches Gesetz, so dass das Kalkül der Wirte, der CSU bei den im nächsten Jahr folgenden Landtagswahlen ein Bein zu stellen, nicht ohne Berechtigung ist: Wenn jeder der 20.000 bayerischen Wirte fünfundzwanzig Personen überzeugen kann, ihr Kreuzchen nicht bei der CSU zu machen, würde dies einem Stimmenverlust von zehn Prozent ausmachen und die absolute Mehrheit der Christsozialen wäre dahin: „Dann heißt es gute Nacht Beckstein, adios Huber, aus is!“ - Denn „woanders sind denn die Stammtische, über welche die CSU die Lufthoheit behaupten will, als in den Wirtshäusern?“
Interessanterweise wurde auf der Veranstaltung die übliche Legitimation von politischen Diskursen und Handlungen durch wissenschaftliche Gutachten („Die Passivrauchlüge“) in einem Maße in Zweifel gezogen, welches dem deutschen Volke auch in anderen Belangen nicht schlecht anstehen würde. Auch der Präventionsleiter der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten und Professor für die Prävention an der Universität Jena, Professor Romano Grieshaber, wurde ins Feld geführt. Er stellte die Seriosität einer Studie in Abrede, nach der jährlich in Deutschland 3.300 Menschen an Passivrauchen sterben würden. Grieshaber, so die Wirte, habe festgestellt, dass es sich bei drei Viertel der Toten um Menschen über 85 Jahre handelt.
In diesem Zusammenhang wurde auch auf die staatliche Tolerierung der mannigfachen Verstöße gegen die Feinstaubregelung hingewiesen und behauptet, dass das Warten auf dem Bus am Münchner Verkehrsknotenpunkt Donnersberger Brücke um ein Vielfaches ungesunder wäre als ein Abend Passivrauchen im Wirtshaus. Überdies befürchtet man in Sachen Nichtrauchergesetz auch ein drohendes Denunziantentum, das man mit der Vorratsspeicherung, der Gesundheitskarte und der Videoüberwachung in Zusammenhang bringt: „Diesen Polizei- und Überwachungsstaat wollen wir nicht, Herr Beckstein! Heute ist es das Rauchverbot, morgen das Alkoholverbot und übermorgen will man uns den Schweinebraten verbieten!“
Ein Kleinwirt, der sich Franz Josef nannte, erinnerte an die Sendlinger Mordweihnacht, einen „Aufstand gegen die Obrigkeit“, und forderte: „Erhebt euch gegen den Wahnsinn! Und wenn die da oben nicht hören wollen, dann treten wir Wirte halt auch in den Generalstreik wie bei der Bundesbahn!“ - was mit frenetischem Beifall und Gejohle kommentiert wurde.
Repressive Seite des Gemeinwesens
Prominenten-Rechtsanwalt Martin Scheele setzte das Gesetzesvorhaben einer “Quasi-Enteignung“ gleich und erwägt wegen der fehlenden Balance zwischen Nichtraucherschutz und der ernsthaften Beschneidung von Grundrechten (Eigentum und Selbstbestimmung der Wirte) eine Verfassungsklage. Er forderte: „Raucher und Nichtraucher, vereinigt euch!“
Der amerikanische Wirtschaftsjournalist Tim Cole, der hier eher den Eindruck eines konservativen Zigarrenrauchers machte, berichtete, wie er als unbescholtener Normalbürger mit 30 rauchenden Gesinnungsgenossen am 5. November in der Nähe des Maximilianeums unliebsame Bekanntschaft mit der repressiven Seite des hiesigen Gemeinwesens machte: Die friedliche Versammlung wurde als verbotene Demonstration mit zehn Streifenwagen der Polizei aufgelöst, die Personalien sämtlicher Teilnehmer wurden festgestellt, worauf allen ein Ordnungswidrigkeitenbescheid ins Haus flatterte. Ihm selbst wird ein Verstoß gegen das Versammlungsverbot angelastet.
Als ein Wirt ausrief: „Liebe EU, beschütze uns nicht vor dem Leben selbst, sondern beschütz uns vor amerikanischen Verhältnissen!“ und fünf offenbar einschlägig geschulte junge Männer diese Vorlage für antiamerikanische Abschweifungen nutzen wollten, schrie der Vokuhila am Nachbartisch: „Zwick di, Nazi!“1, worauf dieser antwortete: „I bin doch koa Nazi neda, wir sind Menschen wie ich und du! Wir werden bloß in den Medien falsch dargestellt." Da diese Argumentation dem gut gebauten Proleten nicht einleuchtete, stellte er daraufhin dem dicken Kahlkopf eine körperliche Konfrontation in Aussicht – worauf von dieser Seite keine Zwischenrufe mehr zu vernehmen waren.
Ebenfalls wurde die äußerst theatralische Ausführung des FDP-Landtagsspitzenkandidaten Martin Zeil - "Jetzt kommt wahrscheinlich noch der Mindestlohn im Gastgewerbe! - mit nullkommanull Applaus quittiert. Eine erfolgreiche politische Instrumentalisierung von Seiten der Liberalen steht also eher nicht zu erwarten - allerdings wurde der CSU mit einiger Vehemenz die Unterstützung entzogen („Wir wollen, dass die sehen, dass in Bayern an der Basis anders gesprochen wird als bei den oberen Dreitausend!“) Am 14.2. will man den “Faschingsscherz der CSU“ mit einer Großaktion öffentlichkeitswirksam beerdigen. Bis zur Landtagswahl am 18.9. sind dann noch gut sieben Monate Zeit.
Telepolis hat dazu eine Umfrage gestartet: Rauchverbot in Gaststätten - sinnvoller Schutz oder unsinnige Gängelei? Wir bitten um lebhafte Beteiligung.