Die Zeichen stehen auf Urbanität
Vittorio Lampugnani ist noch immer für das Dauerhafte und gegen die telematische Stadt
Weltweit boomen die Städte - keine selbstverständliche Feststellung im Zeitalter der telematischen Revolution. Bereits in den sechziger Jahren hatte Marshall McLuhan einen Ausbau der elektronischen Medien mit einer völligen Dezentralisierung in Zusammenhang gebracht und ein entspanntes Leben im Grünen für alle prophezeit: eine Mega-City wie New York werde unter diesen Bedingungen nicht mehr lange stehen, meinte der Medientheoretiker.
Die Informationstechnologien sind weder die erste noch die einzige Erschütterung, welche die Stadt und das urbane Leben in jüngerer Zeit betreffen. Doch obwohl gerade sie einen beschleunigten Wandel des Lebensstils anzeigen, macht es der widersprüchliche Umgang mit unserer gebauten Umwelt schwer, Aussagen über die Zukunft der telematischen Stadt zu treffen. Nur eines scheint sicher zu sein, nämlich dass es eine medienbedingte Reorganisation, aber kein Zurück zu früheren Zuständen geben wird.
Wie also ist diese Zukunft zu gestalten? Wenn jemand wie Vittorio Lampugnani, Mailänder Architekt und Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich, zu dieser Frage Stellung nimmt, dann öffnet sich ein komplexer Diskursraum. Erinnert sei an die von ihm ausgelöste deutsche Architekturdebatte der 90er-Jahre rund um die Berliner Hauptstadtplanung, und an Worte, die hängen geblieben sind. So bezeichnete Lampugnani in einer seiner polemisch gegen die postmoderne Beliebigkeit des Bauens gerichteten Wendungen die Stadt als "anarchischen Müllhaufen egoistischer Selbstbehauptungen" von Architekten und Bauherrn.
Gegen die Monumente der Architekten klagt er nachhaltige Strategien der Gestaltung ein. Gegen eine sich heroisch gebärdende Architektur setzt Lampugnani auf die Werte des Dauerhaften, die Besinnung auf Grundlagen und beschwört neue kollektive Werte. Gerade weil wir uns in historischen urbanen Räumen bewegen, von denen wir aber anderen Gebrauch machen, ist Bedachtsamkeit angesagt - Umbau statt Neubau (Eine feste Burg).
Gestaltung von Nicht-Orten
Dabei geht es nicht allein um Gebäude, sondern einen durch die elektronischen Verkehrswege veränderten Arbeits- und Lebensstil. Er betont dabei vor allem die hedonistische Dimension, denn gerade die Arbeitskultur der New Economy und der institutionalisierte Dauerstress, der flexible und mobile Menschen immer und überall im Büro sein lässt, verstärkt den Wunsch nach Orten, an denen es - wie Lampugnani mit den Worten Robert Musils formuliert - "Stil hat zu verweilen".
Die telematischen Medien sind Erbe der Kommunikationen, wie im 19. Jahrhundert noch die Verkehrswege hießen und an deren Kreuzungen und Knoten die Städte entstanden. Entstehen nun telematische Städte, gibt es bald die Stadt am Netz? Das sind, in dieser Form, wohl nicht mehr ganz aktuelle Fragen. Als Effekt der Computervernetzung sind viele Einrichtungen der Verwaltung und des öffentlichen Lebens nicht länger auf räumliche Zusammenhänge angewiesen. Dennoch bleibt der urbane Ballungsraum attraktiv, der Autor ortet definitiv einen Trend zur Urbanität. Gegen alle Phantasmen einer Verflüssigung wird sich die Stadt nicht von ihrer Tradition lösen, die in einer Kontinuität von Orten und Lokalitäten besteht.
Das Zeitzalter der extensiven Netznutzung erzeugt in den Ballungszentren eine Neustrukturierung der Lebenswelt mit neuen Kommunikationschancen und neuen soziale Begegnungsräumen. Medien organisieren die räumliche Organisation von Kollektiven, wobei Raum nicht unwichtig wird. Die Gestaltung von sogenannten "Nicht-Orten", die dabei entstehen, ist die vielleicht größte Herausforderung für den Planer.
So richtig all dies ist, so stellt es doch keineswegs eine neue Einsicht dar, dass zeitgenössischer Städtebau eine Reibungsfläche zwischen der Substanz der alten und der Idee der neuen Stadt darstellt. Und auch nicht, dass die neuen Kommunikationstechnologien Veränderungen mit sich bringen. Sicher tritt Lampugnani nicht mit dem großen Gestus des Theoretikers auf, doch wenn er seine Thesen als "Gedankensplitter" überschreibt, dann ist das auch kein Understatement.
Dass penetrante städtebauliche Inszenierungen mit ungestalteten Resträumen und "architektonischen Emblemen der Globalisierung" aufeinandertreffen, ist eine treffende Beobachtung. Dass solche Probleme als Ergebnis falscher Politik nicht mit aufgepfropfter Ästhetik zu lösen sind, ist eine richtige Analyse. Ansonsten lässt es dieser Essay aber an Pointiertheiten zugunsten vager Andeutungen fehlen.
Ist es denn nicht das Silizium, das die architektonische Monumentalität aus Stein in Frage stellt? Die gegenwärtige Reorganisation von Datenträgern, die das zentrale Speichern von Wissen gerade hinter sich lässt - und damit die symbolischen Repräsentationen in Form etwa von Hochschulen und Bibliotheken fragwürdig macht - würde geradezu ideale Anknüpfungspunkte bieten.
Was die Rolle der neuen telematischen Medien für die Zukunft der Stadt angeht, bleibt in diesem Diskurs also weiterhin unklar. Dazu passt ironischerweise die Bebilderung dieses Essays mit Film Stills, die aus dem bildsprachlichen Fundus einer verstaubten Hypermodernität schöpfen. Dass das filmische Phantasma von der kulturellen Innovationsbesessenheit auf eine vergangene Medienkultur verweist, die mit der Transformation von Datenträgern gar nichts zu tun haben, wird nirgends so offensichtlich wie an solchen Beispielen.
Vittorio Magnago Lampugnani: Verhaltene Geschwindigkeit. Die Zukunft der telematischen Stadt. Wagenbach Verlag 2002, 112 Seiten, EUR 19,50