Die auserwählte Generation in der von der Geschichte berufenen Nation
In seiner gestrigen, auf den Krieg einstimmenden Rede machte Bush noch einmal den globalen Führungsanspruch der USA und die der UN zugewiesene Rolle als Erfüllungsgehilfe deutlich
Während in Berlin Bundeskanzler Schröder noch einmal nachhaltig den Versuch einer friedlichen Lösung verteidigte, die auf Entwaffnung durch verstärkte Inspektionen setzt, hat Präsident Bush den bellizistischen Ton vor den blau gekleideten Matrosen der Mayport Naval Air Station in Jacksonville, Florida, noch einmal gesteigert, aber auch klar gemacht, worum es ihm geht: um den Eingang in die Weltgeschichte und die Erfüllung des geschichtlichen Auftrags an seine Generation und an seine Nation. Besonders Deutsche werden bei solchen "leadership"-Allüren hellhörig. Und Bush hat es zwar geschafft, viele Regierungen mit Druck, Versprechungen und dem Anbieten von Vorteilen auf seine Seite zu bringen, was aber die Mehrzahl der Menschen im alten und neuen Europa anbetrifft, so ist mit der Ablehnung der Bush-Politik möglicherweise der Grund für eine neue Einheit gelegt worden.
Vor Soldaten redet der oberste Befehlshaber der USA gerne und natürlich besonders schneidig. Hier gibt es eine besonders hörige Kulisse, aus der gewiss keine Kritik und kein Buh-Ruf kommt. Kriege kennt Bush wie die meisten Politiker seiner Generation nur aus der Ferne, als eine Art Medienspektakel und Machtdemonstration, jedenfalls weit weg, weswegen der 11.9. auch so schrecklich empfunden wurde. Und Bush weiß, dass man durch Kriege, sofern man sie gewinnt, groß wird. Bush, einmal wieder in Kampfkluft auftretend, ließ noch einmal deutlich werden, was er seit den Anschlägen des 11.9. unermüdlich in die Köpfe "seines" Volks einhämmern will, nämlich dass die Bedrohungen ein Aufruf der Geschichte an die jetzt lebende, von Bush selbst vertretene Generation sind, den Kurs der Welt nachhaltig zu ändern und zu verbessern.
Mit Bush zusammen schreiben sich die Amerikaner und alle, die sich hinter der führenden Macht einreihen, in die Geschichte ein. Eine auserwählte Generation, die wohl auch eines auserwählten Führers bedarf, die sie dann wohl in Bush gefunden hat. Für das Land sei jetzt eine "herausfordernde Zeit", vor dem Militär "liegen große Aufgaben". Der zur "leadership" auserwählten Nation und der zu Großem berufenen Generation folgen die treuen Vasallen oder werden zu unbedeutenden Kräften oder zu Schurken, gelten aber auch die Vereinten Nationen nichts, wenn sie nicht dem amerikanischen Schicksalsruf gehorchen.
"Heute, am Beginn eines neuen Jahrhunderts, ist Amerika noch immer Führer in der Sache der Freiheit. Und unsere Generation ist zu einer zentralen Rolle in der Geschichte dieser Nation aufgerufen."
Die geschichtliche Aufgabe der USA
Was den Interessen der USA gut tut, so die Gewissheit, ist auch für den Rest der Welt gut, denn die Vereinigten Staaten haben nicht nur die mächtigste Armee der Welt, sie sind auch ein von Gott ausersehenes Land, das als Führer in Sachen Freiheit aufzutreten hat. Die Verschmelzung der nationalen und globalen Interessen, der darin liegende Sendungsauftrag der amerikanischen Nation und das aus ihm entspringende Heilsversprechen ist dem christlichen Fundamentalisten durchaus abzunehmen, auch wenn viele, ganz "rationale" Interessen dem Krieg gegen den Irak zugrunde liegen.
Was auch immer die Amerikaner machen werden, das "amerikanische Militär kämpft nicht, um zu erobern, sondern um zu befreien". Die derart Befreiten sollten aber dann schon auch weiterhin ihren Befreiern hörig sein. Der Hegelsche Kampf zwischen Herr und Knecht, der im Augenblick zwischen Europa und den USA ausgefochten wird, geht denn auch nicht einzig um Macht, sondern vor allem um Anerkennung. Als Führer einer Welt von freien Nationen und Bürgern ist jedoch diese US-Regierung weit entfernt von eben jenen Anerkennungsverhältnissen, die eine freie Welt kennzeichnen würden.
"Wir wollen mehr als die Niederschlagung des Terrors, wir wollen einen Fortschritt der Freiheit und eine friedliche Welt erreichen. Das ist die Aufgabe, die die Geschichte uns gegeben hat - und das ist eine Aufgabe, die wir behalten werden."
Diese Aufgabe, das mach Bush deutlich, kann nur durch militärische Macht zum Erfolg gebracht werden. Soldaten haben nämlich etwas, was dem Geist der Aufgabe enstpricht, nämlich dass sie den Idealen gehorchen, das Land lieben und sich einem Zweck widmen, der größer als sie selbst ist, also dass sie nicht von Egoismen geleitet werden, sondern gehorsame Handlager der Schicksalsaufgabe sind, die "die Macht und die Mission Amerikas bis in die abgelegensten Orte dieser Welt tragen".
Wo Schicksals- und Jahrhundertaufgaben für Auserwählte warten, spielen Wahrheit und Reflektion der eigenen Position keine Rolle mehr. Bush wiederholt denn auch nur mal kurz die "Beweise" für die Schuld des Irak und baut ansonsten sein lange gepflegtes, offenbar erfolgreiches Weltbild von Guten und Bösen auf. Kontext, Hintergründe, Geschichte gibt es hier nicht. Es gibt nur die "kaltblütigen Killer", für die es "keine Kriegsregeln" gibt und die nur durch "die Macht und den Willen der USA und unserer Freunde und Alliierten" gestoppt werden können.
Und genauso ohne Regeln verfolgt dann die "zivilisierte Welt", angeführt von den USA, die Terroristen, die man "Mann für Mann über die ganze Welt jagt. Mit unseren Alliierten haben viele der obersten Kommandierenden der al-Qaida gefangen oder haben uns anderweitig mit ihnen beschäftigt". Das soll heißen, man hat sie getötet, was zufriedenes Lachen bei den Soldaten auslöst, die sich als Jäger der flüchtenden Beute verstehen sollen.
"Bislang wurden mehr als 3000 verdächtige Terroristen in vielen Ländern eingesperrt. Genau so viel haben ein anderes Schicksal gefunden. Sie sind kein Problem mehr."
Natürlich, eine Rede vor einem geplanten Krieg ist kein politischer oder philosophischer Diskurs. Sie soll die Soldaten und die Nation aufheizen, kriegsbereit machen, Gründe für das Vorgehen liefern, Mitleid mit dem Feind ausradieren, der eliminiert werden muss, der keine Nachsicht verdient, weil er durch und durch böse ist. Gründe, warum Menschen "böse" werden und gar die vom Schicksal ausersehene Nation angreifen, können nur ablenken, da sie eine Spur von Selbstreflexion, gewissermaßen eine Schusshemmung einführen. Sind die irgendwie vom Himmel gefallenen Bösen weggesperrt oder gekillt, dann, so die Suggestion, steht das Himmelsreich des amerikanischen Friedens vor der Tür.
Vor dem Scherbenhaufen
Hussein hat chemische und biologische "Programme", er hat versucht, die Mittel zu erhalten, um Nuklearwaffen zu produzieren, er hilft und schützt Terroristen, auch al-Qaida-Mitglieder, er versteckt Massenvernichtungswaffen und er betreibt "Täuschung". Er rüstet nicht ab und er bedroht die USA. Und weil all das so ist, wird Amerika mit der "größten Armee der Welt" erfolgreich handeln.
Es war schon seit Monaten klar, dass Bush den Krieg, die Invasion, die Befreiung des Irak will, dass er sich nur mühsam zum Umweg über die Vereinten Nationen und eine Resolution des Sicherheitsrats überreden ließ, dass er immer demonstriert hat, wie wenig ihm internationale Abkommen und Resolutionen gelten, wenn sie seinen Interessen zuwiderlaufen (ob das die Interessen der USA sind, müssten natürlich die US-Bürger selbst entscheiden). Bush und seine Regierung sind diejenigen, die die UN erpresst haben und sie ohne Bedenken der Bedeutungslosigkeit ausgesetzt haben. Wer von Anfang an sagt, dass er, egal ob mit oder ohne Beschluss der UN, seine Ziele durchsetzen wird, hat die internationale Gemeinschaft der Macht ausgeliefert. Das Spiegelbild der USA unter der "Führung" der Bush-Regierung ist nicht der Irak, sondern Nordkorea, das fast mimetisch, wenn auch ohne die Macht dasselbe Spiel spielt.
Bush versucht die UN und ihre Mitgliedsstaaten weiter zu erpressen. Nur dann, wenn sie entscheidet, was die USA wollen, kann sie auf Gnade der auserwählten Nation noch weiterhin eine gewisse Rolle spielen. Ansonsten ist sie eine "Schwatzbude" - auch das erinnert an eine Kritik, die in Deutschland eben von jener Seite wohlbekannt ist, von der uns das alte Amerika neben Großbritannien und Russland mit befreit hat -, die nichts bewirkt und "in die Geschichte verschwindet".
Wenn der Sicherheitsrat jetzt sich nicht gegen den Kriegsentschluss der USA auflehnt, dann ist er tatsächlich der Bedeutungslosigkeit preisgegeben. Dann wird wieder einmal, wohl aber lange Zeit deutlich, dass einzig Macht und Interessen den Lauf der Welt bestimmen, dass Vernunft und Ideale, trotz aller Beschwörung, keine Bedeutung haben, dass der Kampf aller gegen alle herrscht und sich der darwinistisch durchsetzt, der der Stärkere ist. Die US-Regierung wird irgendeinen Grund finden, und sei es dass die irakischen Raketen 10 Kilometer fliegen, nachdem andere Gründe niemanden überzeugen konnten, um einen Krieg zu "legitimieren".
Auch mit dieser von Beginn an demonstrierten Wahllosigkeit der Mittel und Missachtung internationaler Gremien hat die Bush-Regierung der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt einen schweren Schaden zugefügt. Die Mehrzahl der amerikanischen Bürger steht nicht hinter dieser Bush-Politik, sondern favorisiert, wie gerade eine Umfrage von CBS und New York Times zeigt, die von Deutschland und Frankreich vertretene Option, die Inspektionen zu verlängern (59%), während 56 % sagen, die US-Regierung müsse im Falle eines Krieges die Zustimmung der UN haben. Und ganz realistisch haben die Amerikaner mehr Angst vor weiteren Terroranschlägen als vor dem Irak. Mit dem Krieg ist Bush allerdings dabei, selbst die Verbindung zwischen dem Irak und Terroristen herzustellen.
Die über den Irak-Konflikt von der US-Regierung bewirkte Spaltung in Europa und der Nato ist ebenfalls nur ein Ausdruck für die Weltordnung des amerikanischen Internationalismus. Und all das ist zweifellos nicht der "amerikanische Traum", dem immer noch viele nachhängen, sondern schon eher der amerikanische Albtraum. Bush hat es in kurzer Zeit geschafft, einen Scherbenhaufen anzurichten. Und er scheint weiter entschlossen zu sein, die Welt noch unsicherer zu machen, da einzig dann seine Politik der Stärke nach innen und nach außen überlebensfähig ist.
Wenn allerdings die UN mit Nordkorea - das Problem würde die US-Regierung im Gegensatz zum Irak gerne delegieren und fordert trotz unmittelbarer Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Nordkorea und der Existenz von Massenvernichtungswaffen und einem fortgeschrittenen Atomwaffenprogramm nicht einmal Sanktionen -, auch auf die Methode umgeht, dass verschoben wird, anstatt es anzugehen, dann hätte sie womöglich ihre Hilflosigkeit doch belegt. Nichtstun ist tatsächlich keine Alternative zum Losschlagen.