Die deutsche Tradition der manipulativen Wortschöpfung
Von der Leyen: Wenn nichts mehr hilft, wird getrickst
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist nicht wirklich das, was man eine begnadete Rhetorikerin nennen möchte. Zaudernd, oft ohne Linie und wenig konkret hören sich die meisten ihrer Reden vor dem Deutschen Bundestag an. Und ausgerechnet sie will jetzt in die rhetorische Trickkiste greifen, um schlechte Politik gegen einen neuen Begriff zu ersetzen. Allerdings: Daran haben sich schon ganz andere Politiker versucht - und sind gescheitert.
Manipulative Wortschöpfungen haben in der deutschen Politik eine lange und wenig rühmliche Tradition. Begriffe wie "Einheitsfront", "Volkskörper" oder auch "gesundes Volksempfinden" (das auch heute immer noch Verwendung findet) stammen aus der Zeit des Nationalsozialismus, dessen Vertreter vom Schlage eines Joseph Goebbels wahre teuflische Meister der Sprache waren und mit wenigen konstruierten Wörtern entweder ein starkes Wir-Gefühl oder aber psychische Ausnahmezustände bei ihren Zuhörern hervorrufen konnten. Davon ist Ursula von der Leyen wahrlich Welten entfernt. Allerdings setzt sie mit ihrem Vorhaben fort, was besonders in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Hochkonjunktur hatte.
Damals war es der CDU-Politiker Heiner Geißler, der mit dem Begriff der "neuen sozialen Frage" dem damals noch starken politischen Gegner SPD auf dem Gebiet der Sozialpolitik das Wasser abgraben wollte. Die "neue soziale Frage" sollte bei den Wählern die Assoziation zur von der Sozialdemokratie vertretenen "alten" sozialen Frage hervorrufen, wobei der Begriff "Alt" seine Fortsetzung in "nicht mehr aktuell", "überholt", "ungültig" und "der Zeit nicht mehr angemessen" fand. Im Ergebnis war geplant, die Sozialpolitik der SPD als ewig gestrig und den modernen Anforderungen ungenügend darzustellen. Wer in den 70-ern auf der Höhe der Zeit sein wollte, musste CDU wählen - meinte Heiner Geißler, übrigens ehemaliger Jesuitenschüler, aus deren Reihen schon immer sehr gute Rhetoriker kamen. Indes, die Bemühungen des Mannes zahlten sich nicht aus, was die Bundestagswahlergebnisse aus jener Epoche unter Beweis stellen.
Von der Leyen wird sich in diesen Tagen Kurt Biedenkopf, eines alten Freundes ihres Vaters und Ex-Ministerpräsidenten von Niedersachsen Ernst Albrecht (der mit dem "Celler Loch"), erinnert haben. Biedenkopf, das haben jetzt Studenten der Julius-Maximilians-Universität Würzburg um den Sprachwissenschaftler Dr. Oliver Herbst untersucht, hatte noch genauere Vorstellungen davon, wie Sprache manipulativ in der Politik eingesetzt werden sollte. Auf dem 22. Bundesparteitag der Christdemokraten im Jahr 1973 ließ der Professor in einer Rede die Katze aus dem Sack und forderte eine "Revolution durch Sprache". Durch die Schöpfung von neuen Begriffen, so Biedenkopf, müssten Politik und Partei das eigene Versagen relativieren. Sprache sei Strategie, mit der die Medienlandschaft in Deutschland besetzt werden müsste.
Solche Tricks werden nach Erkenntnissen von Wissenschaftlern am häufigsten in politischen Umbruchsituationen angewandt, in denen ungewohnte Härten auf die Bevölkerung zukommen. Die neuen Wortkombinationen für ein Hartz-IV unter noch schlechteren Bedingungen wie aktuell soll beim Deutschen Michel die angebliche Attraktivität der Maßnahmen in den Vordergrund rücken. Gern ersetzen Manipulatoren bei solchen Gelegenheiten die im Sprachgebrauch beschriebenen Gegensätze durch Partnerschaften. So wurden bereits vor Jahren aus den "Tarifgegnern" die "Tarifpartner".
Ursula von der Leyen allerdings hat beim Griff in die Trickkiste schon daneben gelangt und den Kardinalfehler begangen: Sie hat ihre Manipulation durch Wortneuschöpfung zuvor angekündigt.