Die eiserne Logik der Eskalation: Weiterspielen oder die Notbremse ziehen?

In fast regelmäßigen Abständen droht Russland direkt oder indirekt mit Atomkrieg. Die Mainstream-Medien beschwichtigen: Leere Drohungen. Hunde, die bellen, beißen nicht?

Seltsam: Nur wenige scheinen sich erinnern zu können, dass Drohen zum Geschäft der atomaren Abschreckung gehört und keineswegs gesagt ist, dass sich hinter solchen Kampfansagen keinerlei Absichten verbergen.

Sollen Atomwaffen zu etwas nütze sein, so muss mit ihnen ein politischer oder militärischer Effekt erreichbar sein. Wenigstens sollte es möglich sein, den Gegner damit unter Druck zu setzen.

Dahinter steht ein Spiel, das zur Abschreckungslogik so selbstverständlich gehört wie der Hammer zum Nagel. Abschreckung ist keineswegs nur Gebell, sondern in der Regel ein Wettstreit im Risikoverhalten, ein Spiel mit dem Untergang.

Aktuell ist der Westen an diesem Spiel ebenso beteiligt wie die russische Seite. Die Frage, wer am meisten zu riskieren bereit ist und dabei auch sein eigenes Leben in die Waagschale wirft, wird erst mit der Abschaffung und Ächtung von Atomwaffen aufhören. Oder aber mit dem Ende der Zivilisation auf diesem Globus.

Das Feiglingsspiel

Verglichen wurde das fragliche Spiel zwischen atomar bewaffneten Gegnern mit dem game of chicken, auf Deutsch: dem Feiglingsspiel. Der Politikwissenschaftler und Abschreckungsexperte Dieter Senghaas schildert es so1:

"Chicken" spielen zwei Rennfahrer, die mit ihren Wagen, einer Mittellinie auf der Straße folgend, mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zurasen. Derjenige, der die Nerven verliert und in die eigene Fahrbahn abschwenkt – und damit dem Zusammenprall aus dem Weg geht –, ist das "chicken". Er wird verachtet und verspottet, weil er das Spiel verloren hat.

Obwohl das game of chicken in den USA unter Banden beliebt war, um den Führer einer Gang zu ermitteln, findet ein solcher Wahnsinn auch auf höchster politischer Ebene statt, heute aber, ohne dass die Gefährlichkeit dieses Spiels öffentlich besonders thematisiert wird. Als Putin in das Spiel einstieg, trat er aufs Gas und stieß heftige Drohungen aus2:

Wer auch immer versucht, uns zu behindern, geschweige denn eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben.

Entsprechend den Spielregeln im game of chicken hätten sich nun die USA bzw. die Nato ebenfalls an der Mittellinie einfinden und ebenfalls volle Pulle aufs Gas treten müssen. Doch das taten sie zunächst nicht. Sie wählten eine andere Taktik. Den ersten Spielzug hatte also Putin gewonnen, er marschierte in der Ukraine ein, und das wäre ihm auch ohne ausdrückliche Drohung gelungen.

Atomare Abschreckung schafft einen begrenzten Freiraum für Kriege auf der nicht-nuklearen Ebene, unter ihrem Schirm können Spielzüge ausgeführt werden, die ohne Nuklearbewaffnung so nicht möglich wären. Noch nicht einmal eine Nato-Flugverbotszone wurde eingerichtet, was dem game of chicken entsprochen hätte. Es kann nur sein, dass wir dann alle nicht mehr leben würden.

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