Die eiserne Logik der Eskalation: Weiterspielen oder die Notbremse ziehen?

Seite 3: Putins Schwäche wird gefährlich

Nicht nur die russische Nukleardoktrin, sondern auch der Zwang, um der Glaubwürdigkeit willen dem Drohen auch Taten folgen zu lassen, sollten aber ernst genommen werden. Es fragt sich ganz ernsthaft: weitermachen wie bisher oder aus dem tödlichen Spiel aussteigen? Leider scheint unser politisches Personal, speziell die grüne Außenministerin, nicht zu verstehen, worum es hier geht. Es gibt Teilnehmer am chicken-game, die bei solchen Spielen von vorneherein nur Hühner sind, und die Konsequenzen nicht begreifen.

Bei informierten und kritischen Beobachtern sieht das ganz anders aus. Der prominente US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer, Professor an der Universität von Chicago und Spezialist für internationale Beziehungen, weist neben vielen anderen darauf hin, dass Putin erst so richtig gefährlich werden könnte, wenn er sich in einer Position der Schwäche befindet.7

Was ist schlimmer, so mag sich Putin fragen: dass ich wie ein begossener Pudel den Schwanz einziehe und abtrete oder dass ich das Äußerste wage? Weshalb sollte er nicht "Selbstmord aus Angst vor dem Tod" begehen? Dass so etwas im Kontext nuklearer Abschreckung passieren könnte, wird von der Politikwissenschaft schon lange diskutiert.8

Es ist doch keineswegs gesagt, dass Putin durchgehend rational reagieren wird, dass er also Nutzen und Schaden berechnend gegeneinander abwägt. Die von den Psychologen Kahneman und Tversky entwickelte "Prospect Theorie", die auf psychologischen Experimenten beruht, legt nahe, dass Menschen gerade in Situationen drohenden Verlusts irrational reagieren und sehr viel mehr in die Waagschale werfen und riskieren, als wenn es um Gewinne geht. Oft wird ihre Fähigkeit zu einem nüchternen Kosten-Nutzens-Kalkül dadurch lahmgelegt.9

Die Situation vor dem Knall

Das ist die Situation kurz vor dem Knall. Deutlicher könnte kaum werden, wie vernunftwidrig der Glaube an die dauerhafte Wirksamkeit nuklearer Abschreckung ist. Immer wieder führt sie in lebensgefährliche Situationen, mehr oder weniger im Stil der Kuba-Krise.

In Russland liegt die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen in den Händen von Putin und zwei hochrangigen Militärs. Geben sie den Einsatzbefehl, auch nur eine einzige taktische Atomwaffe zu zünden, verwandelt sich das game of chicken in blutigen Ernst. Wir alle sind dann bloß noch gerupfte Hühner, die auf ihre Abschlachtung warten.

Mitleidig könnte man auch auf jenen alten Mann auf der anderen Seite des Atlantiks blicken, der entscheiden muss, was nun zu tun wäre. Obwohl es schon geknallt hat, noch heftiger aufs Gas steigen? Also selbst atomar reagieren und sich vielleicht in eine nicht mehr aufzuhaltende Eskalationsspirale begeben? Die Welt verloren geben, weil am Ende der Spirale der interkontinentale Schlagabtausch steht? Oder – Vernunft legt das nahe, aber welchen Wert hat sie im nuklearen Zeitalter? – einfach gar nichts tun, jedenfalls nichts unter Anwendung von Waffen?

Und wieder stellt sich die absurde Glaubwürdigkeitsfrage. Sind wir bereit, im äußersten Fall, Völkermord zu begehen und uns auch selbst zu opfern? Dann geht es nicht mehr um apolitisches Moralisieren, wie es in Deutschland gerade Mode ist. Es geht um die nukleare Realität. Und diese verlangt, sich eindeutig zu positionieren. Entweder der Einsatz von Nuklearwaffen oder das Leben.

Ist es sinnvoll, hier Einstein zu zitieren? Denn erreichen wird es die verblendeten Raser auf der Mittellinie nicht. Einstein10:

Die erste Atombombe hat nicht nur die Stadt Hiroshima zerstört. Sie hat auch unsere traditionellen, längst überholten politischen Ideen endgültig vernichtet.

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