Die geschönte Vergangenheit als politische Vision

Das Parlament, wichtiges Aktionsfeld der Wahren Finnen. Bild: Jens Mattern

Finnlands "Wahre Finnen"

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Die Partei der "Wahren Finnen" sorgte mit ihren euroskeptischen Forderungen für einen Imagewandel des "EU-Musterschülers". Inwieweit kann die Oppositionspartei die finnische Politik beeinflussen?

Unter den rund 105.000 Menschen, die am 26. Mai 2013 in Paris gegen die Homoehe protestierten, marschierte auch ein korpulenter Herr, der mit seiner nach hinten gekämmten 50er Jahre-Frisur, dem schlecht sitzenden Anzug und den Cowboystiefeln ein wenig aus der Zeit gefallen schien. Es war Timo Soini, der Vorsitzende der finnischen Oppositionspartei Perussuomalaisset, kurz "Perus" genannt, der "Wahren Finnen".

Seine Partei gilt als Hüterin der Traditionen und alten Werte und wenn sich dieser Konservatismus eigentlich auf Finnland bezieht, so kann man ein Jahr vor den Europawahlen auch mal in französischen Belangen mitmischen. Vor allem wenn man bereits Prominentenstatus auf Europa-Ebene hat - und den haben die "Wahren Finnen" 2011 durch die Parlamentswahlen erreicht.

Der hohe Stimmenanteil von 19,1 Prozent für die "Wahren Finnen", die vehement gegen den Stabilitätspakt, die Hilfeleistung an Portugal wetterten, den die Vorgänger-Regierungskoalition ausgehandelt hatte, schreckte Europa damals auf. Denn lange hatte Finnland als konsensorientierter EU-Musterknabe gegolten, der mit dem Wandel in eine Dienstleistungsgesellschaft und dem bekannten Mobiltelfonunternehmen den Beweis für seine Weltläufigkeit und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit erbrachte. Die "Perussuomalaisset" und ihr Begehren nach nationaler Unabhängigkeit erschienen so als Antipode zum leichter auszusprechenden "Nokia".

Die "Wahren Finnen", die seit 2003 im Parlament vertreten sind, erreichten gerade knapp 1.500 Stimmen weniger als die Sozialdemokraten; die konservative Nationale Sammlungspartei erreichte mit 20,1 Prozent knapp das beste Ergebnis und führte die Regierungsverhandlungen. Doch die "Wahren Finnen" schieden letztendlich als Koalitionspartner aus, da sie definitiv den Bailout für Portugal nicht mittragen wollen.

Dabei sind Mehrparteienkoalition in Finnland üblich, das Land ist bekannt für seine Konsenspolitik. Doch auch die Übereinstimmungs-Verweigerer haben ihre Tradition.

Die Konsensdemokratie entstand durch die Erfahrungen mit dem finnischen Bürgerkrieg 1918 als Folge der Revolution in Russland. In der Auseinandersetzung siegte das "weiße" bürgerliche Finnland mit Hilfe des kaiserlichen Deutschlands gegen die "Roten". In der Zwischenkriegszeit war das Land darum tief gespalten, als jedoch die Rote Armee 1939 Finnland angriff und Helsinki bombardierte, einte dies die Finnen, eine Verbundenheit mit der Sowjetunion kam für die meisten finnischen Linken nicht mehr in Frage. Finnland schloss 1948 einen Vertrag mit dem östlichen Nachbar ab, der zur Neutralität verpflichtete. Konsens nach Innen und Außen bestimmte somit Finnlands Politik. Bekanntester Vertreter dieser finnischen Neutralitätspolitik (im Westen als Finnlandisierung geschmäht) war Urho Kekonnen, der Staatspräsident von 1956 bis 1982.

An dieser "weichen" Linie stieß sich Veikko Vennamo, der politische Ziehvater von Timo Soini. Er gehörte ursprünglich wie Kekonnen zum "Landbund", der Vorgängerpartei der moderaten Zentrumspartei und war in der Nachkriegszeit als Beamter mit der Ansiedlung der 400 000 Karelier betraut, die die finnischen "Ostgebiete" verlassen mussten, die an die Sowjetunion verloren gingen.

Aus Protest gründete der Antikommunist 1959 die "Finnische Bauernpartei", die für die Belange kleiner Leute in den strukturschwachen Gebieten eintrat. Im Jahre 1983 wurde die Protestpartei unter Pekka Vennamo, dem weniger charismatischen Sohn, in die Regierungsverantwortung eingebunden - sie lief mit ihrem Populismus auf, an den Arbeitslosenzahlen hatte sie nichts ändern können. Im Jahre 1995 - parallel zum EU-Beitritt des Landes, den die Partei ablehnte, wurde aus der marginalisierten und bankrotten "Finnischen Bauernpartei" die Partei der "Wahren Finnen" gegründet, denen Timo Soini seit 1997 vorsteht.

Soini, 1962 geboren, ist "vom Fach" - seine Magisterarbeit befasst sich mit jener Bauernpartei, die er beerbte. Zudem bestand sein berufliches Leben allein aus Partei-Verantwortung im Stadtrat sowie im nationalen und Europa-Parlament. Das Charisma und das Sendungsbewusstsein ist vielleicht mit seinem katholischen Glauben verbunden, den er auf einem Irlandtripp annahm. Das Land im Nordosten wird vor allem von Lutheranern bewohnt. Doch ansonsten entspricht er dem Bild des "einfachen Finnen", dem Mann aus dem Volk, der mit seiner berufstätigen Frau und zwei Kindern seit langem in einer bescheidenen Wohnung bei Helsinki lebt.

Mit seiner EU-Skepsis konnte er anfangs nur wenige überzeugen

Durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union kam das Land aus der tiefen Rezession,durch die Einführung des Euro erhielt es einen Zugang zu großen Märkten. Die Elektronikbranche konnte ihren Umfang seit 1995 mehr als vervierfachen. Das Land gilt als attraktives Ziel für Investoren, die mit wenig Risiko in der Euro-Zone Geld anlegen wollen.

Der Wandel zur Technologie- und Dienstleistungsgesellschaft forderte aber auch Verlierer: Die Holz- und Papierindustrie, die in den siebziger Jahren die finnische Wirtschaft dominierte, hat noch einen Anteil von zwölf Prozent - und der geht aufgrund billiger Holzimporte aus Russland und Brasilien weiter zurück. Dabei konnte nicht jede ehemalige Papierfabrik in ein tolles Vorzeigeprojekt wie ein Google-Rechenzentrum umgewandelt werden.

Soinis Kurs, als Anwalt der Verlierer des Wandels, ging immer dann in die Höhe, wenn Nachteile der EU-Mitgliedschaft und Modernisierung zum Tagesthema wurde. So schaffte seine Partei den Einzug in das finnische Parlament im Jahre 2003 - damals war der EU-Beitritt osteuropäischer Staaten im Gespräch und somit die Angst vor Billigjobbern aus Estland und Co. Als die Wirtschaftskrise das Exportland Finnland im Jahr 2009 hart traf, Nokia schwächelte und zu einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 7,5 Prozent führte, fuhren die "Wahren Finnen" überraschende 9,8 Prozent bei den Europawahlen ein. Für den Stimmenerfolg bei den letzten Parlamentswahlen sorgten Korruptionsskandale in der regierenden Zentrumspartei - ein skandalöses Novum in einem Land, in dem das Wort "Lüge" im Parlament verboten ist.

Ein idealisiertes Finnland von gestern, das weit souveräner über seine Geschicke bestimmen kann und in dem der ehrliche Kleinunternehmer wenig Steuern zahlen muss und die "korrupten" Großkonzerne besser kontrolliert werden, ist Soinis Utopie zum real existierenden Finnland. Seine Wähler hat Perus darum in ländlichen Regionen und in den Vorstädten, wo es mit Migranten zu Konflikten kommt.

Soini-Wähler Vekko. Bild: Jens Mattern

Angesichts der Modernisierung in der finnischen Gesellschaft werde zudem das alte Rollenbild in Frage gestellt, so sieht es Roman Schatz, ein deutscher Autor, der in Helsinki lebt: Der Mann als Ingenieur, der ohne lange Worte zu machen, Dinge baut, die die Frau erfreuen soll, scheint immer weniger anzukommen. Die heutigen Finninnen hingegen erscheinen urbaner, an anderen Kulturen interessierter, verlangen nach einen offenen Gesprächspartner.

Bei einem Besuch in Helsinki im Mai 2011, nach der Parlamentswahl und vor der Sechsparteien-Regierungsbildung im Juni, schienen sich diese Klischees zu bestätigen. In einer Kneipe im eher benachteiligten Hauptstadt-Vorort Kontula waren fast alle etwas älteren Gäste Männer und sie waren ausnahmslos für Soini. Der Tenor - sie fühlen sich von der Gesellschaft betrogen; einer arbeitete lange in Schweden als Gastarbeiter, nun fehlen ihm Sozialbeiträge für eine ordentliche Rente, Esten und Russen würden den ehrlichen finnischen Arbeitern die Jobs weg nehmen.

Das Zentrum von Helsinki. Bild: Jens Mattern

Die "Wahren Finnen" so so der Talk unter den Grünen und Linken in der Parlamentskantine, hätten allerdings gar kein Konzept, die Arbeitslosigkeit von damals knapp acht Prozent zu bekämpfen. Sie hofften auf eine Regierungsbeteiligung der Soini-Partei, damit sie sich kompromittiert, wie geschehen beim Vorgänger, der "Finnischen Bauernpartei" in den 80er Jahren. Die Grünen und das Linksbündnis wurden schließlich selbst zu Koalitionären der Sechs-Parteien-Regierung, da Soini aus den Verhandlungen ausschied.

Pekka Haavisto, einer der führenden Politiker der Grünen, schien Soini und seine Truppe nicht als Gefahr anzusehen. Sie seien "Nostalgiker", die man nicht mit einer wirklich rechtsradikalen Partei wie den Schwedendemokraten vergleichen dürfe. Mit Abgeordneten wie Teuvo Hakkarainen, der von "Niggern" redete, die über die finnische Grenze kämen, um Asyl zu bekommen, würde sich die Partei selbst diskreditieren.

Finnlands prominentester Grüner Pekka Haavisto. Bild: Jens Mattern

Doch Soini konnte auf die meisten, hauptsächlich männlichen Parteikollegen einwirken, solche Ausrutscher in Zukunft bleiben zu lassen. Ernsthaftere Schwierigkeiten bereiten nicht hintlerwäldlerische Sprüchemacher, sondern die Ideologen um die Bewegung Suomen Sisu (in etwa "finnische Unnachgiebigkeit"), die den nationalistischen Flügel der Partei ausmachen.

Zwar erreichten die "Wahren Finnen" 2012 bei den Präsidentschaftswahlen nur 9,4 Prozent und kamen bei den Kommunalwahlen auf 12,3 Prozent. Aber vielleicht ist ihr derzeitiger Einfluss als Oppositionspartei im Einkammern-Parlament weit größer als in einer Verantwortungsposition.

In Finnland ist die Regierung dem Parlament gegenüber verpflichtet, über EU-Angelegenheiten detailliert Auskunft zu geben, sie hat ihre Entscheidungen langwierig zu begründen. Angesichts der anschwellenden Verschuldungen in den südlichen EU-Mitgliedsstaaten kommt die Regierungskoalition mit einem europafreundlichen Kurs so in immer größere Rechtfertigungsprobleme.

Unter diesem Druck, Soini spricht von einer 90 Milliarden Euro Last auf dem finnischen Steuerzahler, änderte sich auch der Konsenskurs des Landes nach außen. Erkki Tuomioja, der sozialdemokratische Außenminister, erklärte gegenüber dem "Daily Telegraph", dass Europa besser ohne die Eurozone funktioniere.

Vom Wahren Finnen zum Wahren Europäer?

Finnland gilt noch als eines der wenigen stabilen Volkswirtschaften in der EU und konnte als einziger Staat bilaterale Sicherheiten für die Hilfen für Griechenland und Spanien als Bedingung für ihre Zustimmung erhalten. Dies nahm der Soini-Truppe erst einmal den Wind aus den Segeln. Doch im Mai wurde die Regierung per Gerichtsentschluss gezwungen, die Sicherheiten für die Griechenlandhilfen offen zu legen. Diese erwiesen sich als juristisch nutzlos.

Perus kaufte darauf die Titelseite der Helsingin Sanomat, der auflagenstärksten Zeitung des Landes, (Titelseiten werden gewöhnlich für Produktwerbung verkauft), um die Regierung anzuprangern. Ein guter Einstieg für die Europawahl.

Die "Wahren Finnen", die ein isolistisches Finnland mit konservativen Werten "zurück" wollen, erscheinen auf den ersten Blick als Antipoden zu der polnischen "Bewegung Palikot", denen es mit der Modernisierung und der Annäherung an Brüssel nicht schnell genug kann. Gemeinsam ist ihnen, dass sie von einem charismatischen Vorsitzenden dominiert werden und man bislang noch nicht weiß, wie ernst es um die Absicht steht, wirklich Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Auf der Ebene der EU-Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie scheint sich Soini zunehmend auf Europa einzulassen. Bei seinem Aufenthalt in Paris war er bei seinen französischen Parteikollegen eingeladen, eine Rede zu halten, und ermunterte die Franzosen, an den Europawahlen teilzunehmen. An der Demonstration gegen die Homoehe nahm er dann als "EU-Mitbürger und Wahrer Europäer teil, wie er auf seinem Blog berichtete.

Letzterer Ausdruck kann nur eine Spitze gegen den finnischen Staatspräsidenten Sauli Niinistögewesen sein, der von dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz so tituliert, vielleicht will der "wahre Europäer" Timo Soini aber auch das Missionsfeld erweitern.

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