"Die halbe Billion ist weniger, als Deutschland im eigenen Land investiert"
Wie sich die Coronakrise in Portugal entwickelt und was der Linksblock (BE) von den geplanten europäischen Hilfsmaßnahmen hält, erklärt die BE-Chefin Catarina Martins im Telepolis-Gespräch
Das kleine arme Portugal hatte sich nach der Finanzkrise ab 2008 unter der Linksregierung einen ganz eigenen Weg aus der Krise gebahnt. Mit Unterstützung des marxistischen Bloco de Esquerda (Linksblocks) und der Kommunistischen Partei (PCP) nahm die sozialistische Regierung Abschied von der Austeritätspolitik und fuhr damit erfolgreich aus dem Sumpf. Die Arbeitslosigkeit wurde unter den EU-Durchschnitt gesenkt und statt einem Haushaltsdefizit verzeichnete Portugal 2019 sogar einen Überschuss und wurde plötzlich auch für die zum "stabilen Wunder", die die Abkehr von der Austeritätspolitik kritisiert hatten.
Die erfolgreiche "Geringonça" (Unbegreiflichkeit) wollte der Regierungschef António Costa nach den letzten Wahlen aber nicht fortführen, sondern er glaubte, ohne Abkommen mit den bisherigen linksradikalen Partnern als Minderheitsregierung weitermachen zu können. Linksblock und Kommunisten machen, gerade in dieser Krise, weiter massiv Druck, damit die Kosten anders verteilt werden und ringen der Regierung wichtige Zugeständnisse ab.
Über die derzeitige Lage sprach Telepolis mit der "Bloco"-Chefin Catarina Martins. Die Linguistin und Schauspielerin führt den Linksblock seit acht Jahren und konnte bei den Parlamentswahlen 2015 mit 10,2% das beste Ergebnis erzielen, das 2019 mit 9,8% knapp verteidigt werden konnte.
In welcher Situation befindet sich Portugal nun nach der Coronavirus-Krise und wie kam das Land durch die Krise?
Catarina Martins: Wir hatten in der ersten Welle zunächst starke Auswirkungen auf Menschen im fortgeschrittenen Alter. Das ohnehin geschwächte Gesundheitssystem wurde stark beansprucht, kam aber nie an seine Grenzen und war im Schnitt nur bis zu 60% ausgelastet. Wir haben das Virus unter Kontrolle bekommen und die erste Welle überstanden. Wir konnten zuvor auch beobachten, was zum Beispiel in Italien und Spanien passiert ist. Angesichts der erschreckenden Meldungen von dort haben die Menschen in Portugal früh angefangen, selber auf soziale Distanz zu gehen. Schon bevor die Schulen geschlossen wurden, haben Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule gelassen. Es war also nicht die Regierung, die das entschieden hat, es war das Land, das die Schließungen forderte, weil die Nachrichten aus Italien und Spanien beängstigend waren.
"Umso ärmer, umso schlimmer"
Wie ist die Lage jetzt? In 19 Gemeinden rund um Lissabon mussten, nachdem die Ausgangsbeschränkungen wieder aufgehoben worden waren, angesichts des Wiederaufflammens von Infektionen bald neue Maßnahmen eingeführt werden, wovon eine halbe Million Menschen betroffen sind.
Catarina Martins: Nach der ersten Welle, die wir gestoppt haben, wurde auch die ökonomische und soziale Krise im Land sichtbar. Jetzt erleben wir mit der Öffnung, dass sich mehr Menschen im aktiven Alter auf den Arbeitsstellen infizieren und wir wissen nicht genau, wie sich das weiter entwickeln wird. Es kam zu einem erneuten Anstieg von Infektionen, der sich bisher aber nicht wirklich gut erklären lässt. Es ist unklar, ob das etwas mit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen zu tun hat.
Bei Tests, die Firmen und die Regierung machten, wurde festgestellt, dass vor allem Sektoren betroffen sind, die im Lockdown gar nicht geschlossen worden waren, in denen weitergearbeitet werden musste. Da stechen Bereiche besonders hervor, wo prekäre Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne vorherrschen, wie im Bauwesen oder der Logistik, wo man auch nicht ins Home-Office ausweichen kann. Von Infektionen betroffen sind derzeit vor allem arme Menschen mit schlechten Wohnbedingungen, wie viele Migranten mit afrikanischer Abstammung, die in Randzonen der Städte leben und oft die öffentlichen Transportmittel nutzen. Das sind Faktoren, die Ansteckungen begünstigen. Das gilt aber vor allem für Lissabon, in Porto ist das schon anderes, weil es andere soziale Bedingungen gibt.
Wie stellt sich die schwierige soziale und ökonomische Lage nun dar?
Catarina Martins: Es ist klar, dass die am stärksten betroffen sind, die ohnehin am wenigsten haben. Umso ärmer, umso schlimmer. In einem einzigen Monat, im ersten Monat der Krise, gab es zusätzliche 100.000 Arbeitslose. Bei 10 Millionen Einwohner und einer aktiven Bevölkerung von 5 Millionen sind 100.000 in nur einem Monat sehr viel. Es gibt leider noch keine Daten über den April hinaus.
Doch gerade wurden Daten veröffentlicht, dass die Zahl der Arbeitslosen sogar auf den historischen Tiefstand von nur 5,5% gefallen sein soll. Wie erklärt sich das?
Catarina Martins: Das hängt damit zusammen, an welchem Zeitpunkt die Daten ermittelt wurden und hat sicher nicht zum Ziel, schlechte Daten zu verstecken. Das Statistikamt hat kürzlich die Zahlen für das 1. Quartal veröffentlicht, wo die Arbeitslosigkeit weiter kräftig zurückgegangen war. Theoretisch kann man bei solchen Zahlen sogar von Vollbeschäftigung sprechen. Allerdings tun wir das nicht, da viele dieser Arbeitsplätze sehr prekär sind wie zum Beispiel im Tourismus. Die sind dann über Nacht oft einfach wieder verschwunden. Bis heute befindet sich der Tourismus in einer Schockstarre. Die sanitäre Lage ist weitgehend unter Kontrolle, auch wenn sie durchaus wieder schlechter werden kann. Aber es ist klar, dass eine soziale Krise ausgebrochen ist, die sich weiter zuspitzen wird.
Ich habe auch Schätzungen gelesen, dass die reale Arbeitslosenquote wohl derzeit eher schon bei 14% liegt. Ist die Zahl realer?
Catarina Martins: Ja. Das ist realer und sie wird weiter anwachsen.
"Wir haben kein Problem damit, wenn die Rechte linke Projekte unterstützt"
Wie sind die Beziehungen des Linksblocks nun zu den Sozialisten (PS) von Antonio Costa, der nach den Wahlen im vergangenen Jahr weder ein Abkommen mehr mit Ihnen noch mit den Kommunisten schließen wollte?
Catarina Martins: Wir haben es mit einer Minderheitsregierung zu tun, auf die wir Druck ausgeübt haben, um im Rahmen des Notstands wichtige Forderungen durchzusetzen. Wir haben einige Anliegen der Sozialisten unterstützt, um einen Teil unserer Forderungen durchzusetzen, wie ein Verbot von Zwangsräumungen, die nun bis zum Jahresende nicht durchgeführt werden dürfen. Es dürfen auch Strom, Gas und Wasser nicht abgestellt werden, wenn die Familien die Rechnungen nicht zahlen können. Es gibt Nahrungsmittelhilfen für Schüler und eine Ausweitung der Arbeitslosenunterstützung. Das sind punktuelle Vereinbarungen im Rahmen des Notstands. Wir haben aber kein Abkommen mit den Sozialisten und sind weit davon entfernt. Auch wenn die PS immer sagt, dass sie Abkommen mit der Linken will, ist doch klar, dass sie sich real eher dem rechten Zentrum zuwendet.
Wurde aber nicht genau Ihr Vorschlag, die Arbeitslosenunterstützung auszuweiten, mit den Stimmen von rechts gegen die der Sozialisten angenommen?
Catarina Martins: Es ist eine Minderheitsregierung in einer komplizierten Lage, die sich immer Mehrheiten suchen muss. In diesem speziellen Fall wollte die PS unseren Vorschlag nicht unterstützen und wir haben uns mit anderen Parteien eine Mehrheit besorgt.
Ist es nicht erstaunlich, dass auch Rechtsparteien eine solche Maßnahme unterstützen?
Catarina Martins: Wir haben kein Problem damit, wenn die Rechte linke Projekte unterstützt, wir machen aber keine Abkommen mit der Rechten. Aber man muss dabei auch wissen, dass sich die Rechte in Portugal neu formiert. Wir haben nun auch eine ultrarechte Partei im Parlament. Die traditionelle Rechte - PDS und CDS - treten dagegen schwach, konfus und verloren auf. Sie unterstützen deshalb bisweilen auch Forderungen, die in der Bevölkerung populär sind. Deshalb war eine punktuelle Überschneidung möglich, wenn auch mit Abstrichen, um die Erweiterung durchzubekommen, da die Regierung insgesamt keine klare Linie vertritt.
Wie laufen die Verhandlungen mit Sozialisten über den Nachtragshaushalt. Konnte der Linksblock gegenüber der Regierung Punkte durchsetzen? Erreicht haben wir zum Beispiel, dass es eine Art Arbeitslosenhilfe für die gibt, die kein Anrecht auf Arbeitslosengeld haben, dass keine Firmen Subventionen erhalten dürfen, die ihren Sitz in Steuerparadiesen haben. Wir haben auch eine Bankensteuer durchgesetzt, um darüber das Sozialsystem zu stärken. Einige wichtige soziale Maßnahmen, die im Juli ausgelaufen wären, wie das Zwangsräumungsverbot, wurden bis zum Jahresende verlängert. Über einiges, wie die Verstärkung des Gesundheitssystems und andere Punkte wird noch verhandelt. Ob sich Portugal letztlich weiter an rechten statt an linken Maßnahmen orientiert, wird aber nicht im Nachtragshaushalt klar, sondern erst mit dem nächsten regulären Haushalt.
Die Banken tragen aber nur mit einer geschätzten Summe von 33 Millionen Euro im Jahr bei. Ist das ausreichend oder wäre es nicht an der Zeit, dass die Milliarden aus den Bankenrettungen der vorherigen Krise zurückgezahlt werden?
Catarina Martins: Wenn das Bankensystem die früher geflossenen Steuergelder nun zurückzahlt, sind sie pleite und mit ihr dann auch viele Firmen. Das wäre als kontraproduktiv. Wie wollen deshalb die Regeln insgesamt ändern, damit so etwas nie wieder vorkommen kann. Wir haben zwei Probleme. Erstens haben wir kein portugiesisches Finanzierungssystem, weshalb die Banken oft gegen portugiesische Interessen handeln. Zweitens werden wichtige Regeln weit entfernt in Brüssel oder in der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt aufgestellt, die nicht im Sinne der Bedürfnisse unserer Bevölkerung und der Demokratie sind. Wir brauchen eine öffentliche Kontrolle über das Bankwesen. Die Frage ist doch, warum die EZB immer nur Banken finanziert und wir dann darauf warten müssen, dass die Banken die produktiven Bereiche finanzieren. Stattdessen sollten diese Bereiche direkt von der EZB finanziert werden. Das sind Regeln, die wir ändern wollen.
Liege ich richtig, dass der Linksblock wegen solchen Fragen auch dagegen ist, dass der ehemalige Finanzminister und Eurogruppenchef Centeno nun Präsident der portugiesischen Notenbank wird?
Catarina Martins: Ja. Centeno hat die Banif an die spanische Santander und die Novo Banco an den US-Investmentfonds Lone Star übergeben. Grundsätzlich ist er politisch dafür verantwortlich, dass zwei Banken, in die viel Steuergeld geflossen ist, vor allem in die Novo Banco, in private Hände gefallen sind. Das zeigt uns, dass einer, der mehr den Interessen der Privatbanken dient, nicht die richtige Person ist, um nun die Notenbank zu führen.
"Es muss massive öffentliche Investitionen geben"
Was müsste die sozialistische Regierung nun angesichts der schweren sozialen und ökonomischen Krise tun?
Catarina Martins: Es muss massive öffentliche Investitionen geben. Diese Intervention muss schnell und durchschlagend sein, also mit genug finanziellen Mitteln ausgestattet sein. Je länger wir warten, umso härter werden die sozialen und ökonomischen Folgen sein, umso härter wird die Krise werden. Wenn wir jetzt kleinlich sagen, mehr geht nicht, dann werden wir dafür später eine Rechnung bezahlen, die um ein Vielfaches höher ausfällt. Die Antwort auf die Krise muss viel höher ausfallen als bisher geplant ist. Portugal will derzeit nur 5% der jährlichen Wirtschaftsleistung zur Bekämpfung der Krise einsetzen, während es in anderen Staaten 10% oder mehr sind. Unserer Ansicht nach muss hier schnell alles getan werden, was notwendig ist.
Aber diese Investitionen müssen von klaren Grundsätzen geleitet werden, das ist aus der letzten Krise zu lernen. Gestärkt werden muss erstens das öffentliche Gesundheitswesen, der Sozialstaat muss ausgebaut werden, das Schulsystem gefördert und ein öffentliches Hilfsnetz für Kinder und alte Menschen aufgebaut werden. Große Teile davon wurden privatisiert und sind sehr schwach. Wir müssen den Mut haben ins Schul- und Gesundheitswesen und die Pflege viel stärker zu investieren.
Zweitens: Wenn wir viel Steuergeld investieren, dann sollten wir die Chance nutzen, um privatisierte Unternehmen, die von strategischer Bedeutung für das Land sind, wieder in Staatshand zu bekommen. Wenn jetzt eine Firma wie die Fluglinie TAP mit Steuergeldern gerettet wird, soll sie auch wieder staatlich werden. Das gilt auch für die privatisierten Flughäfen, Energieversorgungsunternehmen, Kommunikation. Die Strategie muss klar sein. Wenn wir zahlen, müssen die Firmen auch wieder zurück in die öffentliche Hand.
Und drittens brauchen wir eine Strategie für das Land. Und die Strategie darf uns aus zwei Gründen nicht in die alte Normalität zurückbringen. Denn wir befinden uns in einer existenziellen Umwelt- und Klimakrise und in einer völlig ungerechten sozialen Situation. Also muss hier in das Sozial- und Arbeitsrecht verändert und in eine Energiewende zum Schutz von Umwelt und Klima investiert werden.
"Wir fordern deshalb eine direkte Finanzierung durch die Zentralbank"
Was erwartet der Linksblock von Europa? In der letzten Krise hat sich Europa alles andere als solidarisch gezeigt, doch jetzt gibt es, wie im Plan von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Emanuel Macron ja die Vorstellung, eine halbe Billion an Zuschüssen fließen zu lassen.
Catarina Martins: Wir, die Länder am Rande Europas, waren sehr großzügig mit dem Finanzsystem Zentraleuropas. Portugal hat hart gearbeitet und dafür bezahlt, dass die Banken Zentraleuropas gestützt wurden und damit auch das Finanzsystem Nordeuropas. Es kann nicht sein, dass erneut von denen, die ohnehin wenig haben, erneut viel abverlangt wird. Insbesondere sollte nicht die Bevölkerungen der verschiedenen Länder gegeneinander aufgebracht werden, sondern wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das Finanzsystem reguliert wird.
Die Pläne der EU, wie wir sie bisher kennen, bereiten uns große Sorgen, weil wieder viel Kredite auf den Tisch gelegt werden, was nur die Schulden weiter erhöht und damit die Abhängigkeit vom Finanzsektor. Dazu soll zwar nun auch Geld ausgegeben werden, das soll aber nur vorgezogen werden und fehlt dann wieder in zukünftigen Haushalten. Wir fordern deshalb eine direkte Finanzierung durch die Zentralbank. Die EZB sollte wie eine Zentralbank handeln und direkt Staaten und Unternehmen finanzieren, anstatt den Finanzmarkt dazwischen zu schalten. Es sollte frisches Geld in einen Kooperationsfonds mit langen Laufzeiten wie bis zu 80 Jahren fließen. Damit würden die Staaten jetzt die Möglichkeit erhalten, langfristig zu planen und effektive Pläne zum Umsteuern zu entwerfen, ohne sie über neue Kredite an den Rand des Ruins zu treiben.
Sind die 500 Milliarden Euro, wie sie Merkel und Macron als Hilfen aus der EU vorsehen, ausreichend, abgesehen von zusätzlichen 250 Milliarden die vielleicht als zusätzliche Kredite fließen sollen?
Catarina Martins: Diese halbe Billion ist real doch viel weniger, als Deutschland alleine aus eigenen Mitteln im eigenen Land investiert. Damit will man uns also überzeugen, dass diese Summe also für die gesamte EU reichen soll? Das ist doch eher ein Witz. Und wie gesagt wissen wir auch bisher nicht, woher diese 500 Milliarden kommen sollen. Es gibt kein Übereinkommen darüber, wie sie finanziert werden sollen. Es scheint, es wird nur Geld von der einen Tasche in die andere geschoben. Geld wird heute ausgegeben, das dann in der Zukunft fehlen wird. Es wird kein frisches Geld in die Hand genommen - und das ist wenig dienlich.
Können Sie verstehen, dass es in Europa auch Länder wie die sogenannten "sparsamen Vier" gibt, die angesichts von massiver Korruption, wie wir sie aus Spanien von beiden großen Parteien kennen, auf Kontrolle beharren? Oder viel Geld ist in Spanien auch in Projekte wie Flughäfen, Zugstrecken, Kläranlagen etc. verprasst worden, die zum Teil nie in Betrieb gingen.
Catarina Martins: Ich habe da eine schlechte Nachricht für Sie. Korruption gibt es nicht nur in den Ländern Südeuropas, sondern sie gibt es in allem Ländern Europas. Ich verstehe nicht, dass ein Land Europas ein anderes einfach der Korruption beschuldigen kann, nur weil es in Südeuropa liegt. Jedes Land hat Korruption und sollte vor der eigenen Haustür kehren, sie bekämpfen anstatt arrogant gegenüber anderen zu sein.
Und was die "sparsamen Vier" angeht, dann habe ich auch die Nachricht für Sie, dass die gar nicht so sparsam sind. Denn das sind auch Länder, die von Steuergeldern der anderen Länder profitieren, die denen durch deren Steuerdumping verloren gehen. Viele große Firmen Portugals haben ihren Sitz in Holland und bezahlen die Steuern in Holland anstatt in Portugal, womit Holland von dem profitiert, was hier erarbeitet wird. Mit dem Geld aber, das in Portugal fehlt, kann man schön "sparsam" sein. Mit einem solchen moralischen Diskurs werden doch nur die viel wichtigeren Fragen verdeckt, wie die Debatte über Off-Shore-Firmen, Steuerparadiese oder besonders attraktive Steuersysteme für Firmen in einigen Ländern, die die Kapazitäten anderer Staaten unterminieren.
"Die Rechte und die Ultrarechte vertreten ein kapitalistisches und neoliberales Projekt"
Ich würde gerne noch etwas auf die Ultrarechte näher eingehen. Besorgt Sie das Aufkommen der Ultrarechten, wie VOX in Spanien, Le Pen in Frankreich oder die AfD in Deutschland? Zwar hat Portugal nun mit "Chega" auch eine ultrarechte Partei im Parlament, doch mit 1% der Stimmen und einem Sitz ist sie weiter eher unbedeutend. Wie erklärt es sich, dass Portugal gegen diesen Virus immun und wie eine Insel erscheint?
Catarina Martins: Leider sind wir keine die Insel mehr. Die Rechte befindet sich hier in einer großen Krise. Die traditionellste Rechtspartei CDS befindet sich gerade in der Tat in einem sehr komplizierten Prozess. Ich weiß nicht, was mit ihr passieren wird, denn sie könnte sogar ganz verschwinden. Es gibt schon Organisationen oder ganze Teile der CDS, die direkt zu Chega überlaufen. Es ist also auch hier ein Problem. Es gibt auch hier das Phänomen, das wir aus anderen Ländern schon kennen, von dem die extreme Rechte profitiert. Denn der Hass-Diskurs der extremen Rechten wird durch die traditionelle Rechte und auch durch Kommunikationsmedien normalisiert. Das hat es früher in Portugal nicht gegeben.
Dazu gibt es noch den Versuch des Zentrums, zum Teil auch von rechten Sozialisten, eine Frontstellung zwischen der Linken wie dem Linksblock und der extremen Rechten aufzubauen, also einen irrealen Antagonismus zwischen zwei ideologisierten Extremen. Sie versuchen, sich so im Zentrum zu positionieren, und setzen sich von den Ultrarechten scheinbar ab, von denen sie aber real nicht so weit entfernt sind, um mit der Linken nicht über unsere Projekte debattieren zu müssen. Denn wir haben ein klares wirtschaftliches und soziales Projekt. So wird einer Debatte über Alternativen aus dem Weg gegangen. Klar ist aber, dass die Rechte und die Ultrarechte ein kapitalistisches und neoliberales Projekt vertreten, was darüber verdeckt wird.
Der Linksblock sieht sich jedenfalls nicht als Spiegelbild der Ultrarechten, sondern wir stehen für die Verteidigung von zentralen Rechten, für die Emanzipation. Für uns ist klar, dass es mit der extremen Rechten nichts zu reden gibt, man debattiert nicht ihnen. Die Führer der extremen Rechten stammen aus Neonazi-Parteien, die zuvor sehr klein und ohne Ausdruck waren. Es sind Mörder darunter, so hat einer von denen einen Freund von mir, Alcino Monteiro, an der Tür des Parteisitzes der Vorgängerpartei am 10. Juni 1995 ermordet. Wir streiten und debattieren nicht mit Mördern. Das Zentrum und die Presse wollen eine politische Illusion schaffen.
Mich würde noch ihr Verhältnis dazu interessieren, dass ausgerechnet die linkere Regierung in Spanien, die die Abschaltung der Atomkraftwerke versprochen hat, die Laufzeit des alten und gefährlichen Atomkraftwerk Almaraz sogar über die geplante Laufzeit von 40 Jahren hinaus verlängern will, das an der Grenze zu Portugal steht und dessen Schließung hier von allen Parteien gefordert wird. Was halten Sie davon?
Catarina Martins: Für uns gibt es in diesem Zusammenhang einen einfachen und einen komplizierteren Teil. Der einfache ist, Almaraz zu schließen. Der kompliziertere Teil ist, Almaraz so zurückzubauen, dass die Gefahren für Menschen und Umwelt beseitigt sind. Der einfache Teil wurde leider immer noch nicht umgesetzt: die Abschaltung jetzt. Das ist sogar noch einfach, aber dann kommt der Teil des Rückbaus und dass dabei sauber vorgegangen wird. Almaraz darf unter keinen Umständen über die geplante Laufzeit hinaus weiter laufen. Es gibt auch gegenüber den bekannten Problemen keine Begründung, um Almaraz weiter zu betreiben.
"Wir sind Europäer und Internationalisten"
Haben Sie noch etwas auf dem Herzen, was Sie den deutschen Lesern noch mitteilen möchten?
Catarina Martins: Wir vom Linksblock glauben nicht an diese EU. Die Verträge in der EU sind so konzipiert, um den Interessen des Finanzmarktes zu dienen. Um diese Macht zu erhalten, wird alles getan, und deshalb werden auch die Menschen gegeneinander aufgehetzt. Es wird ihnen weisgemacht, dass jeder der Feind des anderen sei. Aber lassen wir uns nicht täuschen. Diese Macht wächst mit jeden Tag, indem ein Volk gegen das andere ausgespielt wird. Das wird die Situation der arbeitenden Bevölkerung nur verschlechtern. Dagegen wehren wir uns. Das ist es, was ein portugiesischer und ein deutscher Arbeiter braucht, die haben mehr gemeinsam als ein deutscher Arbeiter mit einem Kapitalisten. Es gibt für beide keinen größeren Feind als den Finanzmarkt. Und sie müssen gemeinsam gegen diesen Feind kämpfen.
Was wäre die Alternative?
Catarina Martins: Wir sind alle in Europa. Wenn der Linksblock manchmal sagt, die EU ist eine Gefahr, dann frägt man uns, ob wir aus Europa austreten wollen. Wir wollen aber Europa nicht verlassen. Wir sind Europäer und Internationalisten. Wir glauben stark an Mechanismen wie Solidarität und Kooperation zwischen den Staaten und Völkern. Wir wissen, dass wir alle auf demselben kleinen europäischen Kontinent sind. Und deshalb müssen die Solidarität und die Kooperation zwischen uns sehr stark sein. Wir müssen gemeinsam handeln, da wir auch einen Mechanismus für die Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt brauchen.
Und wir haben eine Verantwortung für unseren Planeten, der klein ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich undemokratische Mechanismen gegen die Interessen der Menschen wenden, dass darüber über unser Leben entschieden wird. Wir müssen dieses Europa umgestalten, andere Abkommen schaffen, die auf Verständigung, Solidarität und natürlich der Freizügigkeit von Menschen basieren. Wir hoffen, dass in ganz Europa fortschrittliche Kräfte gestärkt werden, aber nicht um den gemeinsamen Raum zu verlassen, sondern um Teil eines gemeinsamen Raumes zu sein, der diejenigen verteidigt, die von ihrer Arbeit leben und demokratisch sind.