Die iranischen Kurden als Vorbilder des Widerstands
Seite 2: Beispiellose Solidarität zwischen ethnischen Gruppen
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Unmittelbar nach dem Einmarsch der Revolutionsgarden in ihre Heimatstadt erlebte Sidar Mohammadi eine Identitätskrise. So ging es vielen iranischen Kurden. Da es in anderen Teilen des Irans kaum Straßenproteste aus Solidarität gegeben habe, habe man sich der Übermacht der Revolutionsgarden ausgeliefert gefühlt. "Zum ersten Mal habe ich mich nur noch als Kurdin gesehen, nicht mehr als Iranerin", sagt Mohammadi.
Das änderte sich ein wenig, als Menschen aus anderen Teilen Irans Geld und Medikamente spendeten, damit die Kurden ihre Verletzten versorgen konnten - in den Krankenhäusern hätte den verletzten Demonstranten die Entführung durch Regimekräfte gedroht. Auch in den sozialen Medien loben viele Iraner die Kurden als "Vorbilder des Widerstands".
Diese Art von Zusammenhalt zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen sei neu im Iran, sagt Mohammadi. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Das hat auch damit zu tun, dass einige ihrer Familienmitglieder Führungspositionen in der kommunistischen Komala-Partei bekleiden - einer jener verbotenen kurdischen Parteien, die das iranische Regime als separatistisch und terroristisch einstuft.
Separatismus liege den allermeisten Kurden aber fern, widerspricht Sidar Mohammadi der Darstellung des Regimes. Was die iranischen Kurden wollten, sei ein Ende der Diskriminierung, eine weitgehende Autonomie innerhalb der Grenzen eines föderalistischen Iran, sagt Mohammadi.
Diese Diskriminierung reicht derzeit vom faktischen Verbot der kurdischen Sprache bis hin zu deutlich geringeren Staatsausgaben in den kurdischen Gebieten. Die von der Sittenpolizei getötete Mahsa Amini, die selbst Kurdin war und deren Tod die aktuellen Proteste auslöste, hieß inoffiziell "Dschina" - ein verbotener kurdischer Name.
Diese Diskriminierung reicht derzeit vom faktischen Verbot der kurdischen Sprache bis hin zu deutlich geringeren Staatsausgaben in den kurdischen Gebieten. Die von der Sittenpolizei getötete Mahsa Amini, die selbst Kurdin war und deren Tod die aktuellen Proteste auslöste, hieß inoffiziell "Dschina" – ein verbotener kurdischer Name.
Dass Mahsa Amini selbst Kurdin war, ist ein Grund für die Proteste der Kurden, aber nicht der einzige: "Wir erkennen in dieser Protestbewegung zum ersten Mal eine revolutionäre Stoßrichtung. Das gibt uns Hoffnung", sagt Mohammadi. "Nur wenn es den Menschen gelingt, dieses Regime zu stürzen, haben wir eine Chance auf die Autonomie, die wir anstreben."
Eine lange Tradition des Widerstands
Die Ablehnung des Separatismus hat neben dem nationalen Selbstverständnis als "kurdische Iraner" auch ganz praktische Gründe. Die kurdischen Gebiete sind vergleichsweise arm an Rohstoffen, ein entwickeltes und prosperierendes Kurdistan ist ohne den Rest des Iran nicht möglich.
Was es heißt, sich ohne Ressourcen selbst verwalten zu müssen, erlebten die iranischen Kurden 1945, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Unter dem Schutz der UdSSR war es den Kurden damals gelungen, eine unabhängige Republik, die Republik Mahabad, zu errichten. Die Isolation führte jedoch zu Engpässen in allen Bereichen, von der militärischen Ausrüstung bis hin zu Lebensmitteln. 1946, nur ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung, wurde Mahabad von iranischen Truppen zurückerobert.
Was blieb, war die Tradition des progressiven Widerstands der Kurden. Anders als im übrigen Iran sind säkulare Positionen in der kurdischen Gesellschaft seit Langem fest verankert. Als 1979 das islamische Regime an die Macht kam, leisteten die Kurden bewaffneten Widerstand. Die neuen Machthaber brauchten zwei bis drei Jahre, um die kurdischen Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch die Netzwerke des Widerstands bestehen bis heute.
"Die Kurden im Iran sind traditionell besser organisiert. Sie bringen ihre Leute einfach schneller auf die Straße", sagt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur über die überdurchschnittliche Aktivität der Kurden in den aktuellen Aufständen.
Oppositionsparteien wie Komala oder die Demokratische Partei Kurdistan-Iran unterhalten eigene Fernsehsender, Internetseiten und Untergrundorganisationen vor Ort. Der Unterschied ist spürbar: Während im iranischen Kernland vor allem die junge Generation rebelliert, beteiligen sich in den kurdischen Städten alle Altersgruppen an den Aufständen.
Die Kurden haben, was der säkularen Demokratiebewegung im übrigen Iran noch fehlt: ein klares Programm, das die Menschen motiviert, nicht nur gegen, sondern für etwas zu kämpfen; und eine Organisation, die in der Lage ist, den kollektiven Wutausbruch in gezielte Aktionen und effektiv koordinierte Straßenproteste umzulenken. Oder auch, wenn es strategisch sinnvoll ist, sie zu beenden.
Von ihren Kontakten in der Komala-Partei weiß Sidar Mohammadi, dass die Proteste in den kurdischen Gebieten nicht nur wegen des militärischen Vorgehens der Revolutionsgarden vorerst abgeebbt sind. Die Kurden hätten einsehen müssen, dass der Rest des Irans noch nicht für einen echten Massenaufstand bereit sei.
"Bis es so weit ist, müssen wir abwarten, denn gegen die militärische Übermacht der Revolutionsgarden kommen wir alleine nicht an", sagt Mohammadi. Die leeren Straßen in Mahabad und den anderen kurdischen Städten seien deshalb kein Zeichen des Friedens. Eher ein vorübergehender Waffenstillstand.
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