Die kleine Frau aus Flores
Wissenschaftsmagazine im Streit
Im Oktober 2004 stellten der Anthropologe Peter Brown und der Archäologe Mike Morwood die ersten Ergebnisse ihrer Ausgrabungen aus der Höhle Liang Bua in der Zeitschrift Nature vor. Erstmals wurde über ein Individuum berichtet, das nicht in den großen Stammbaum aller bisherigen "menschlichen" Funde passt. Auf der indonesischen Insel Flores fanden die Forscher die Knochenreste von einer ca. einen Meter großen Frau mit einem Gehirn, das so groß ist wie das eines Schimpansen. Homo floresiensis nannten die Autoren ihren Fund und datierten sein Alter auf 18000 Jahre.
Die kleinen Individuen als Vorläufer des Menschen zu bezeichnen, macht den Forschern inzwischen großes Kopfzerbrechen. Die Florianer seien weder Pygmäen noch eine missgebildete Form des Menschseins, betonen die australischen Autoren.
In Science berichten jetzt Dean Falk und Mitarbeiter vom Department of Anthropology an der Florida State University und dem Mallinckrodt Institute of Radiology in Washington über den Vergleich des Schädelinhaltes der Frau aus Flores mit dem von anderen Beispielen. Dazu haben sie 10 menschliche Köpfe, 18 Schädel von Schimpansen, 5 Köpfe vom Homo erectus und je einen Schädel von einem Pygmäen und von einem Menschen mit einer angeborenen Minderentwicklung des Kopfes herangezogen.
Die Computertomographie und Rekonstruktionen von Ausgusspräparaten zeigen, dass das Gehirn des Homo floresiensis mit keinem der anderen Beispiele vergleichbar ist. Dean Falk findet lediglich eine Furche im hinteren Teil des Gehirns bemerkenswert: "Die "Affenspalte" (Sulcus lunatus) teilt das Sehvermögen vom übrigen Gehirn. Mit zunehmender Ausbildung des Großhirns geht diese Struktur aber verloren." Damit fehlt die entscheidende Information, ob sich beispielsweise die Florianer über die Jagd der Zwergelefanten verständigt und vor allem, ob sie darüber "gesprochen" haben.
Der Streit um Anerkennung
In Wirklichkeit geht es um einen erbitterten Streit der Wissenschaftler. Auf der Suche nach ihren australischen Vorfahren haben die Experten aus Australien die Ausgrabungen in Indonesien bisher mit mehr als 600.000 Dollar unterstützt. So kam es im Jahr 2003 zu der überraschenden Beobachtung auf Flores. Dennoch wurde die Herkunft der Funde offenbar nicht mit der notwendigen Sorgfalt diskutiert. Der Nestor der indonesischen Paläoanthropologie, Teuku Jacob, war nicht von den Australiern um seine Meinung gefragt worden. Für ihn sind die "kleinen Menschen" Vertreter des Australopithecus africanus. Er hat die Funde, die nicht aus Indonesien entfernt werden dürfen, vom November bis zum Februar in seinem Labor untersucht und dabei Jean-Jacques Hublin, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig um eine Genanalyse gebeten. In der Zwischenzeit wurden von Science mehrere Beiträge veröffentlicht, die sich gegen die Sicht in Nature stellten. Auch die aktuelle Untersuchung ändert nichts an der Kritik (Michael Balter).
Warum wird der Australopithecus africanus in der Diskussion völlig ausgelassen? Könnten die Bewohner auf Flores nicht eine Weiterentwicklung dieses Typus sein? Wenn schon die Vielzahl der Köpfe, warum kein Schädel, der hierzu eine Aussage macht?
Der Australopithecus ist 1,20 Meter groß und besitzt ein Gehirn wie der Homo floresiensis. Ferner hat Ralph L. Holloway festgestellt, dass die ursprüngliche Interpretation von Raymond Dart aus dem Jahr 1925 zum Schädel "Kind von Taung" unverändert gültig ist (Comptes Rendus Palevol (2004) Vol.3, 287-293). Und schließlich entspricht "Lucy", von Donald Johanson und Tom Gray als Australopithecus afarensis beschrieben, der Größe der Florianerin. Es wäre also interessant zu wissen, ob zusätzlich zum Homo erectus auch ein weiterer früher Verwandter auf der Insel zu finden ist. Denn die Geschichte vom Neandertaler zeigt, wie zwei Entwicklungslinien sich treffen und zeitweise nebeneinander existieren können.
Alle weiteren Funde in der Höhle Liang Bua deuten auf den Einfluss des Homo erectus hin, sind aber kein Beweis für den Homo floresiensis, weil die Nachbarschaft zum Skelett im Regenwald nicht gleichbedeutend ist mit der Herkunft der Stücke. Schon häufig wurden Funde aufgrund ihres Fundortes fehlinterpretiert. Bevor weitere Antworten gegeben werden können, heißt es deshalb: weiter suchen.