Die kuscheligste Präsidentschafts-Kampagne

Howard Dean gewinnt das Internet für sich - doch reicht das, um das Weiße Haus einzunehmen?

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In den USA hat der Wahlkampf ums Weiße Haus begonnen. Im ersten Wahlgang Anfang nächsten Jahres müssen sich zunächst die für die Demokraten registrierten Wähler entscheiden, wen sie gegen Bush antreten lassen wollen. Am meisten Schlagzeilen macht der ehemalige Gouverneur von Vermont Howard Dean mit seiner Internet-Kampagne.

Howard Dean kann derzeit einen Erfolg nach dem anderen für sich verbuchen. Die Umfragen sehen ihn als Kandidaten mit den größten Zuwachsraten. Er sammelte im zweiten Quartal mehr Spenden als jeder seiner Mitbewerber. Und er dominiert die Schlagzeilen, wann immer es um innovativen Wahlkampf geht. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass seine Kampagne das Internet weit kreativer einsetzt als seine Konkurrenten. So haben sich mehr als 63.000 Unterstützer über die Online-Plattform Meetup.com zu monatlich stattfindenden Dean-Stammtischen zusammengeschlossen. Gegen Ende der Woche registrierte sich zudem der 200.000ste Sympathisant auf Deans Website.

Im Zentrum der Kampagne steht jedoch das Weblog Blogforamerica.com. Dort posten Deans Mitarbeiter täglich in Blog-typischer Manier kurze Beiträge zum aktuellen Stand der Kampagne, verlinken Artikel aus der Tagespresse und erzählen anekdotenhaft von den letzten Wahlkampfauftritten. Hin und wieder postet Dean auch persönlich. Die Leser kommentieren die Beiträge fleißig und nutzen das Blog auch für eigene Diskussionen und Anregungen. Gerade diese Offenheit und der unkonventionelle Stil scheinen anzukommen. Einer der Leser meinte dazu kürzlich: "Dies ist mit Abstand die kuscheligste Präsidentschaftskampagne, die ich je gesehen habe."

Von Newcomern und alten Hasen

"Viele Leute, die zu unserer Site kommen, haben zuvor noch nie von einem Blog gehört", erklärt dazu Mathew Gross als Leiter der Internet-Kampagne. Mittlerweile hätten einige dieser Newcomer sogar bereits eigene Blogs zur Unterstützung Howard Deans gegründet. Insgesamt gibt es nach Angaben von Gross mehr als 60 solcher inoffizieller Dean-Blogs. "Blog-Autoren stellen für uns eine wichtige Wählerschaft dar", so Gross gegenüber Telepolis.

Sympathien für Dean entwickelt auch die klassischen Weblog-Gemeinde. So lud der netzbekannte Blogger und Copyright-Experte Lawrence Lessig den Kandidaten vergangene Woche ein, sich für ein paar Tage als Gast-Blogger auf Lessig.org auszutoben. Lessigs Leser waren allerdings zunächst skeptisch. Seth Finkelstein glaubte sogar, es bei Deans Beiträgen mit den Erzeugnissen eines automatisierten Skripts zu tun zu haben. Andere erwarteten offenbar, der Kandidat würde mit ihnen detailliert über verfassungswidrige Aspekte des Digital Millenium Copyright Acts (DMCA) diskutieren.

Doch anstatt Weisheiten über den Stand der Informationsgesellschaft zu verkünden, stellte Dean lieber Fragen. So wollte er von Lessigs Stammpublikum wissen, was genau sie an der herrschenden Copyright-Gesetzgebung zu bemängeln haben. Einige Leser ließen darauf tatsächlich einmal ihr Slashdot-Gehabe beiseite und bemühten Beispiele, die auch ein Politiker versteht - wie etwa die elektronischen Wahlmaschinen (Das Problem mit den elektronischen Wahlsystemen und der amerikanischen Demokratie), deren Mängel dank des DMCA niemand genauer untersuchen darf.

Eine Kampagne nur für Weiße?

Howard Dean interessierte sich außerdem dafür, ob Lessigs Leser in Wifi-Technologie eine Möglichkeit sahen, die digitale Spaltung zu überwinden. Diese könnte für Dean selbst zum Problem werden. Seine Internet-gestützte Kampagne erreicht hauptsächlich den weißen Mittelstand. Nach Angaben des US-Finanzministeriums sind rund 60 Prozent aller weißen US-Amerikaner online, doch nur etwa 32 Prozent aller Latinos und 40 Prozent aller Schwarzen. Zudem kommt Dean aus einem der weißesten aller US-Bundesstaaten. Das Problem hat man mittlerweile auch bei Deans Kampagnenleitung erkannt. Erste Versuche, wenigstens die bereits im Netz aktive Latino-Community gezielter anzusprechen, stecken allerdings noch in den Kinderschuhen.

Immerhin kann Dean für sich verbuchen, mit seiner Internet-Kampagne Maßstäbe zu setzen. Mittlerweile rüsten auch die bisher sehr statischen Online-Präsenzen seiner demokratischen Konkurrenten nach. So haben sich Joe Lieberman und Dennis Kucinich Tagebücher für ihre Web-Präsenz basteln lassen. An Blogforamerica.com können sich die Angebote jedoch nicht messen - Kucinich fehlen die Besucher, Lieberman die Möglichkeiten zur Interaktion. Professionelle Blogger beschäftigen sie zudem beide nicht, weshalb es nur alle paar Tage mal einen neuen Eintrag gibt. Schließlich haben auch Deans Konkurrenten und sogar George W. Bush die Meetup.com-Plattform für sich entdeckt. Doch Deans Supporter bilden dort mit Abstand die größte Gruppe. Bushs Stammtische sollen sogar regelrecht gefloppt sein.

Vielleicht lassen sich etablierte Positionen auch einfach nicht so gut im Rahmen einer Graswurzel-Kampagne vermarkten. Dean profiliert sich dagegen auch politisch als Außenseiter. Er stimmte gegen den Irak-Krieg und wird nicht müde, seine eigene Partei für ihre Regierungstreue während der vergangenen Monate zu kritisieren. Ein unkonventioneller Kampagnenstil, der viele Entscheidungen einer autonom agierenden Basis von sich übers Netz organisierenden Anhängern überlässt, passt da gut zum Image des Rebellen, der sich auf seiner Website bereits als "People-powered Howard" feiern lässt.

Dean hat bereits angedeutet, nach einem möglichen Wahlsieg über George W. Bush Elemente aus seiner Kampagne in die offizielle Regierungspolitik übernehmen zu wollen. So erklärte er auf die Frage eines Lessig-Lesers, ob es denn mit ihm als Präsidenten auch ein Blog.whitehouse.gov geben würde, prompt: "Warum nicht?"