Die russische Monroe-Doktrin
Das Kaspische Meer soll frei von ausländischen Streitkräften bleiben
Das Abkommen wirkt ziemlich alltäglich: Anrainer eines Binnengewässers einigen sich darauf, wie es genutzt wird. Es geht um Fischfang, Tourismus, Handel, Seegrenzen. So geschehen neulich in der kasachischen Hafenstadt Aktau am Kaspischen Meer, als die Staatschefs von Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Russland und Turkmenistan das Dokument unterzeichneten, das die Nutzung des Kaspischen Meeres neu regelt.
Doch es hat fast dreißig Jahre gedauert, bis es zu der Einigung kam, die nicht weniger regelt als die völkerrechtlichen Verhältnisse an diesem Teil der früheren Südgrenze der Sowjetunion. Nach deren Zerfall galt die bisherige Regelung zwischen der Sowjetmacht und dem Iran nicht mehr. Drei neue Staaten - Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan - wollten selbst verhandeln. Somit ist die Einigung von Aktau einerseits ein Abschluss. Andererseits ist in Aktau weit mehr geregelt worden als Fischfangquoten und Seegrenzen, die wegen der Erdöl- und Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden bedeutsam ist.
Eine neue Regionalordnung
Geregelt wurde auch die zentralasiatische Ordnung. Russland hat in dem Vertrag eine Formulierung durchgesetzt, wonach ausländische Streitkräfte dort nichts zu suchen haben. So verpflichten sich die Vertragsparteien in Artikel 3 unter anderem darauf, alle Konflikte friedlich zu lösen, auf Drohungen und Aggressionen zu verzichten und die anderen Anrainer zu respektieren. Und sie haben sich auch auf folgendes Prinzip geeinigt:
Keine Präsenz am Kaspischen Meer von bewaffneten Streitkräften, die nicht zu den Vertragsparteien gehören.
Damit hat Moskau eine Art Monroe-Doktrin für das Kaspische Meer durchgesetzt. Die nach ihm benannte Doktrin hatte US-Präsident James Monroe am 2. Dezember 1823 vor dem Kongress verkündet. Demnach müssten sich die europäischen Kolonialmächte aus Nord-, Mittel- und Südamerika heraushalten. So proklamierte er in seiner Rede zur Lage der Nation:
Dass die amerikanischen Kontinente, durch die freie und unabhängige Lage, die sie angenommen und behauptet haben, künftig nicht mehr als Ziel für weitere Kolonisierung durch irgendeine europäische Macht infrage kommen
James Monroy
Über die Bedeutung der Monroe-Doktrin ist seither viel diskutiert worden. Die einen interpretieren sie als amerikanische Unabhängigkeitserklärung gegenüber Europa (Amerika den Amerikanern), andere als Akt der Dominanz der USA gegenüber Lateinamerika.
"Entscheidende Bedeutung"
Mit der "Convention on the Legal Status of the Caspian Sea", wie der in Aktau unterzeichnete Vertrag im Englischen heißt, haben die Anrainer eine ähnliche geostrategische Abgrenzung geschaffen. Der russische Präsident ließ es sich nicht nehmen, die Bedeutung selbst herauszustreichen. In seiner Rede in Aktau kündigte zunächst er umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen an, um die Region Kaspisches Meer zu entwickeln. Vor der Presse kam er dann auf die geostrategische Bedeutung des Vertrages zu sprechen
Das spielt wohl auf Überlegungen in Washington an, einen gewaltsamen Regime Change in Teheran zu forcieren. Aserbaidschan könnte beispielsweise in einem solchen Szenario eine Rolle spielen, aber nicht nur für die USA, sondern auch für Israel. "Israel könnte die Flugbasen in Aserbaidschan aber auch defensiv nutzen, um dort Drohnen zu stationieren, die iranische Raketensysteme präventiv zerstören könnten", schrieb die Neue Zürcher Zeitung kürzlich in einer Analyse der Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Israel. Allerdings sind das Szenarien, betont das Blatt: "Offiziell hat Baku jedoch stets klargemacht, dass sein Territorium für Angriffe auf Nachbarn nicht zur Verfügung steht."
Andererseits benachteiligt die Definition des Kaspischen Meeres als Binnensee den Iran bei der Aufteilung der Rohstoffvorkommen. Offenbar hofft der Iran jetzt auf Nachverhandlungen. "Wir sollten zugeben, dass wichtige Themen noch ungelöst sind", sagte Rohani in seiner Rede bei der Vertragsunterzeichnung. Umstritten ist der Verlauf der Seegrenzen zwischen Iran und seinen Nachbarn Turkmenistan und Aserbaidschan. Dort ist die Sektorengrenze noch unklar, während sich im Norden Russland, Kasachstan und Aserbaidschan längst geeinigt haben.
Russland wäre es am liebsten, wenn die drei Südanrainer sich untereinander einigen, damit Moskau sich nicht auf eine Seite schlagen muss. Ein erste Einigung zwischen Aserbaidschan und Iran gab es allerdings Ende März, als Präsident Rohani einen Besuch in Baku machte. Dort wurde ein "memorandum of understanding on joint development of offshore hydrocarbon fields in the Caspian Sea" unterzeichnet. Die Namen der Ölfelder wurden aber nicht mitgeteilt.
Umstrittener Pipelineverlauf
Unter dem Kaspischen Meer lagern Erdöl- und Erdgasvorkommen. Nach dem Ende der Sowjetunion ging deshalb das "great game" um Zentralasien wieder los. Die USA setzten sich für den Bau der Pipeline von Baku über Tiflis nach Ceyhan in der Türkei ein, um Erdöl aus dem Kaspischen Meer auf den Weltmarkt zu bringen. "Abgesehen von der Ölförderung in Aserbaidschan war das Kaspische Meer weitestgehend unerschlossen bis zum Ende der Sowjetunion", bilanzierte die US-Energieinformationsbehörde EIA in einem Report von 2013.
Die EIA schätzt die Rohstoffvorkommen auf 48 Milliarden Barrel Erdöl und 292 Billionen Kubikmeter Erdgas. Damit liegt das Kaspische Meer als Förderregion zwar deutlich hinter anderen Gegenden wie dem Nahen Osten, bleibt aber als Energieexporteur etwa für europäische Märkte trotzdem interessant. Dorthin verlaufen schon heute verschiedene Pipelines. Über deren Bau und Verlauf wurde immer wieder gestritten (was übrigens auch der James-Bond-Film "Die Welt ist nicht genug" 1999 thematisierte). So war Russland etwa gegen den Bau von Pipelines durch den Kaukasus, weil es dadurch als Transitland umgangen wurde. Was umgekehrt natürlich der Grund für den Westen war, diese Pipelineroute zu forcieren.
Künftig sollen die Anrainer Pipelines bilateral verhandeln können - ein Zugeständnis Russlands an die kleineren Anrainerstaaten Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan. Lediglich über Umweltverträglichkeitsprüfungen haben alle Anrainer noch Einfluss auf solche bilateral verhandelten Röhren. So ist die Transkaspischen Gaspipeline umstritten, die Russland und Iran bislang gemeinsam verhindern. Ob sie jetzt kommt, ist fraglich: "Beobachter vermuten, dass Moskau noch einen Trumpf im Ärmel hat, mit dem es den Pipeline-Bau weiter hinauszögern kann", schreibt das Neue Deutschland.
Dafür konnte Moskau eine andere Regelung erreichen, die Russland als militärisch stärkste Seemacht begünstigt. So heißt es in Artikel 3,4, dass sich alle Parteien darauf verpflichten, "die Balance der Bewaffnung der Anrainer des Kaspischen Meeres stabil zu halten und militärische Kapazitäten nur innerhalb der Grenzen vernünftiger Verteidigung zu entwickeln und dabei die Interessen aller Anrainer zu beachten und ohne Vorurteil die Sicherheit der anderen zu achten". Zunächst gilt also der Status Quo, was in russischem Interesse ist. Und die NATO ist draußen.
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