Die serbische Oktoberrevolution
Eine weicher militärischer Coup, die Etablierung der Macht nach den Wahlen und ein Blick in die Zukunft
Alle Milosevich-Anhänger, die Regierungsposten innehatten, sind mittlerweile zurückgetreten. Manche mussten freundlich dazu überredet werden, manchen musste man mit Gewehren einen Schubs versetzen und mit anderen Möglichkeiten wie dem Gefängnis oder einer einfachen Hinreise nach Den Haag drohen. Aber jetzt sind sie alle weg.
Kostunica hat auch angekündigt, dass er innerhalb der nächsten 90 Tage Wahlen für jugoslawische und das serbische Parlament abhalten will. Und die EU hat zwei Milliarden Dollar für Serbien genehmigt. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage ließen die Deutsche Mark auf dem Schwarzmarkt in Montenegro sofort von 30 auf 35 Dinare für eine Mark sinken. Soweit die guten Nachrichten.
Die "Oktoberrevolution" in Serbien war einfach zu gut organisiert, sie wurde zu gut durchgeführt, als dass nicht der Verdacht entstehen würde, dass sie im Voraus geplant und vielleicht selbst geprobt worden ist. Wie ist es möglich, dass die Zahl der Toten und Verletzten so gering ist? Bei einem spontanen Ausbruch der Wut der Massen, ist die Zahl der Opfer normalerweise viel höher, d.h. das kann ein Zeichen dafür sein, dass die Ereignisse in Belgrad gesteuert wurden und nicht ganz spontan geschehen sind. Das ist an sich nicht schlecht, schließlich ist es bewundernswert, dass bei der Machtübergabe, von der jeder glaubte, dass sie in einer katastrophalen Gewalt münden werde, nur zwei Tote zu beklagen sind.
Auch erscheint es unglaubwürdig, dass der Mob nicht zum Weißen Schloss im Vorort Dedinje marschiert, Milosevich herausholt und ihn aufhängt. Das ist nicht passiert. Natürlich wurde die Villa von Milosevich von der jugoslawischen Armee beschützt, aber es ist nicht ganz klar, ob das auf seinen Befehl hin geschah oder ob ihn die Armee dort als Gefangenen, als wertvolle Geisel, als Einsatz für einen Handel mit Kostunica und dem Westen festhielt.
Schließlich kam Djindjic damit heraus und räumte ein, dass der Kern des "Mobs" in Belgrad aus 10000 jungen Militärreservisten mit einer kürzlich erworbenen militärischen Erfahrung bestand, die wahrscheinlich von General Momcilo Perisic für diesen Einsatz trainiert wurden und ihn geprobt hatten. Perisic ist Mitglied der Opposition und war der Chef des Generalstabs der jugoslawischen Armee, bevor ihn Milosevich feuerte und durch General Pavkovic ersetzte. Es kam jetzt auch heraus, dass Pavkovic und Perisic zur gleichen Zeit die Mine in Kolubra besucht hatten. Das macht alles den Eindruck, als sei die Absetzung von Milosevich eine koordinierte militärische Operation gewesen, die aus der opportunistischen Kooperation zwischen den früheren und jetzigen Mitgliedern des Generalstabs entstanden ist.
Es ist nicht ganz klar, ob sie jetzt Kostunica, Milosevich, Ivanov oder wem auch immer gehorchen werden. Es ist auch nicht ganz klar, ob es den Westen stören würde, wenn die jugoslawische Armee, die im letzten Jahrzehnt die meiste Gewalt in den Kriegen nach dem Zerfall Jugoslawiens ausgeübt hatte, weiterhin eine solche Macht im politischen Leben Serbiens haben sollte. Klar ist jedoch, dass Momcilo Perisic trotz seiner ruhmreichen Verdienste für die Demokratisierung Serbiens in jeder politischen Funktion für das Nachbarland Kroatien inakzeptabel sein würde, wo er in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren wegen seiner Rolle bei der Bombardierung der Küstenstadt Zadar verurteilt worden ist.
Kroatien und der Westen
Die rechten, von der HDZ angeführten kroatischen Parteien gewinnen bereits an Rückhalt für die Vorwürfe an die neue kroatische Regierung, dass sie unkritisch mit dem Westen kooperiere. Es scheint so zu sein, als seui Kroatien das einzige Land, das mit Den Haag kooperiert, und es sieht auch so aus, als würde Kroatien alles hinnehmen, was vom Westen kommt. Gegenwärtig wirbt Miroslav Tudjman, der Sohn des letzten Präsidenten, bei den Auswanderern in Kanada und in den USA auf dieser Grundlage. Wie immer scheinen die Menschen zu vergessen, dass einige der schlimmsten "Geschäfte" mit dem Westen, wie das mit dem amerikanischen Unternehmen Enron, von seinem Vater gemacht wurden.
Die Kroaten zahlen seit einigen Tagen 25 Prozent höhere Strompreise. Vor drei Monaten trat der amerikanische Botschafter in den 20-Uhr-Nachrichten im Fernsehen auf, um die Kroaten verärgert zu warnen, dass sie Verträge einhalten müssen, in diesem Fall einen disaströsen Vertrag mit dem multinationalen Konzern Enron, der sie zwingt, Strom 30 Prozent über dem Marktwert zu kaufen und ein riesiges Elektrizätswerk zu bauen. Tudjman hatte vor zwei Jahren dieses Abkommen unterstützt, da ihm versprochen wurde, dass er im Gegenzug von Präsident Clinton empfangen würde.
Die jetzige Regierung versuchte, das desaströse Geschäft noch einmal zu verhandeln. Die Kämpfe hinter der Bühne müssen sehr hart gewesen sein, da sogar einiges in die Medien gelangte. Was wirklich in diesem Vertrag steht, wurde der Öffentlichkeit noch nicht im Ganzen mitgeteilt, aber die Kroaten wissen es ab jetzt durch ihre Stromrechnung. Mesic und Racan fuhren nach Washington. Es gab viele Geschäftstreffen. Jeder war überglücklich. Aber nichts ist geschehen.
Wie Enron seine Geschäfte in der ganzen Welt betreibt, wurde gut durch Human Rights Watch, Corporate Watch und andere Organisationen dokumentiert. Also wie sie US-Botschafter und politische Delegationen in schwache Länder schicken, die gerade einen Krieg hinter sich haben (neben Kroatien geschah dies so auch in Kuweit), oder in Entwicklungsländer (was sie in Indien gemacht haben, versuchen sie jetzt auch in China, Mexiko, Niheria oder den Philippinen). Sie ebnen den Weg für "Geschäfte", aufgrund derer diese armen Länder Strom von Enron zu desaströsen Preisen kaufen oder unter ebenfalls desaströsen Bedingungen riesige Elektrizitätswerke bauen, die weder dem Wirtschaftssystem noch der Umwelt des Landes angemessen sind. Jetzt, da Serbien endlich auch ein demokratisches Land ist, wird es vermutlich auch in den Genuss solcher Vorteile der Globalisierung kommen.
Milosevich bleibt eine Zeitbombe wie Ariel Sharon in Israel
Im Kosovo herrscht noch eine größere Panik über den Sieg von Kostunica als in Kroatien. Koha Ditore veröffentlichte ein Bild von ihm mit einem AK-Gewehr, und Veton Surroi nannte ihn einen "Nationalisten aus Überzeugung". Man hat Angst, dass jetzt, wenn Serbien wieder in der Weltgemeinschaft integriert wird, ihm wieder die Kontrolle über den Kosovo gegeben wird, was praktisch die gesamte albanische Bevölkerung unannehmbar finden würde. Eigentlich aber spielt dabei gar keine Rolle, welche Regierung Serbien wirklich hat.
Kostunicas Einfluss wird sogar noch schwächer, da es mit der Freilassung der Gefangenen nur langsam vorangeht. Er ließ zwar die Ausländer frei, aber in den Gefängnissen sitzen immer noch Hunderte von Serben und Tausende von Albaniern als politische Gefangene. Amnesty International forderte die sofortige Freilassung von Miroslav Filipovic und Flora Brovina. Im Unterschied zu einer Auslieferung von Milosevich könnte Kostunica, ohne einen politischen Schaden fürchten zu müssen, diese Menschen freilassen. Daher kann man sich fragen, warum er noch wartet. Warum ist Miroslav Filipovic, warum ist Flora Brovina noch im Gefängnis? Wenn Kostunica alle Kosovo-Albaner aus den Gefängnissen freilassen würde, könnte er im Kosovo Punkte machen und vielleicht Rugova und Demaci dazu bringen, mit ihm zu sprechen. Jetzt kann dies im Kosovo kein albanischer Politiker machen, ohne Zuhause geächtet zu werden.
Dann gibt es da noch den langfristigen Ärger, der daraus entsteht, Slobodan Milosevich eine Rückzugsmöglichkeit zu gewähren. Schließlich wird dieser nicht nur seine ganze Zeit dem versuch widmen, Kostunica wieder zu verdrängen, sondern allein seine weitere Anwesenheit wird überall dort übertriebene Reaktionen auslösen, wo er sich hinbegibt. Er wird wie eine lebendige Zeitbombe sein, wenn ihn Kostunica nicht los wird.
Dafür ist Ariel Sharon das beste Beispiel. Anstatt ihn vom politischen Leben auszuschließen, nachdem seine Verantwortung für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern bekannt wurde, erlaubte ihm Israel, weiterhin einen Platz im Parlament einzunehmen. Als er jetzt das Grab von Joseph inmitten des gegenwärtig von Palästinensern verwalteten Stadtteils besuchte, ging die Zeitbombe los und brach die schlimmste Welle an Gewalt zwischen den Israelis und den Palästinensern im letzten Jahrzehnt los. Die übliche Scharade findet statt: die Palästinenser schlagen zurück, aber die Israelis haben all die US-Waffen und die palästinischen Kinder geraten ins Schussfeld. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedet eine weitere lahme Resolution. Die USA drohen mit einem Veto, da sie offensichtlich für die Interessen der Freunde Israels im Kongress nicht lahm genug ist.
Das ist alles dasselbe wie in Bosnien, nur dass es bereits 40 Jahre dauert. Anscheinend hatten die Serben eine sehr schwache Position im US-Kongress, und sobald die Kissingerschule nicht mehr das Außenministerium führte, wurden sie zu den Prügelknaben. Der Besuch des Grabes von Joseph durch Ariel Sharon bringt mich auf die Frage, was wohl geschehen würde, wenn Milosevich ein Pec/Peja-Kloster im Kosovo besuchen würde, wenn die NATO abgezogen ist. Das bringt mich zu einer doppelten Schlussfolgerung: entweder sollten beide, Milosevich und Sharon, vor das Internationale Gericht in Den Haag gebracht werden oder es sollten sowohl der Kosovo und die palästinensischen Enklaven in Israel für immer unter die Obhut der UN gestellt weren.