Die stumme Hälfte
NRW-Kommunalwahl: Tendenz zu breiter Wahlenthaltung bei lokalen Wahlen setzt sich fort
In einem Gastbeitrag "Die vergessenen Nichtwähler" (Kölner Stadt-Anzeiger, 15. September 2020, Meinung S. 4) unterzieht Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer des Meinungs- und Markforschungsinstituts Forsa, die Ergebnisse der Kommunalwahl einer interessanten Betrachtung. Er verfolgt das Abschneiden der Parteien in Nordrhein-Westfalen (NRW) unter der Vorgabe, die Einzelergebnisse einmal auf sämtliche NRW-Wahlberechtigen zu beziehen.
Güllners Beitrag nimmt insofern auch eine übersehene "Partei" (bzw. Nicht-Partei), den "Nichtwähler", in den Blick. Deren Gruppe, so sein Statement, ist in den letzten Jahren still und leise immer größer geworden. Die aktuellen Stimmzahlen, in Verbindung mit den Nicht-Stimmen und den Enthaltungen, bestätigen den Trend: Bei der jüngsten Kommunalwahl in NRW erreichen die Nichtwähler eine Zahl von 6,958 Millionen und übertreffen damit - wenn auch knapp - die Zahl der Wähler aller anderen Parteien zusammen. Das betrifft die Summe aller Stimmen, die für CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und sonstige kleinen Parteien und Wählergruppen abgegeben worden sind, nämlich 6,910 Millionen.
Damit setzt sich auch in Nordrhein-Westfalen eine bereits in anderen Ländern festzustellende Tendenz zu großer Wahlenthaltung bei lokalen Wahlen fort
Prof. Manfred Güllner, Geschäftsführer Forsa
Duisburg: Rekord an Nichtwählern
Den Rekord an Nichtwählern hält Duisburg mit 61 Prozent. Duisburg ist im Übrigen nicht irgendeine abgelegene Kleinstadt. Die NRW-Metropole liegt im Herzen des einstigen industriellen Ballungsraums und hat als Logistikstandort heute globale Bedeutung; der Duisburger Hafen ist der größte europäische Binnenhafen und ein Umschlagplatz von Weltrang.
Im Vergleich von Landkreisen und den (kreisfreien) Städten unterscheidet sich die Wahlbeteiligung noch einmal einigermaßen deutlich: 52 von Hundert Bewohner der kreisfreien Städte beteiligten sich nicht, in den Landkreisen waren es 47 von Hundert. Güllner sieht einen Grund in der Aufhebung der Sperrklausel bei kommunalen Wahlen mit der Folge einer Zersplitterung des Parteiwesens; dies zusammen mit einem "Überangebot von vornherein chancenlosen Kandidaten bei der Wahl der Bürgermeister" trage zur Verwirrung mancher Bürger bei.
So mancher dürfte auch ein scharfes Profil vermissen. Beobachter sagen: Je näher (zumindest die etablierten) Parteien einander de facto kommen, desto größer die Zahl der Nichtwähler. Natürlich finden Parteigänger selbst (und auch so mancher Leitartikler), dass sich ihre Parteien von anderen definitiv unterscheiden; aber mancher Nichtwähler glaubt das nicht mehr. Leere Kassen, eine zunehmend marode Infrastruktur, Reformstau im öffentlichen Nahverkehr und beim Umbau der Industrieregionen an Rhein und Ruhr, dazu die vielbesungene rheinische Klüngelwirtschaft befördern offenbar wenig die Lust auf Zuspruch zu den gängigen Slogans, die manchmal recht verkrampft daherkommen, wenn es um Unterscheidbarkeit geht.
Der Schwund der Alten Dame
Die SPD, die fast ein halbes Jahrhundert den NRW-Ministerpräsidenten stellte, sinkt bei der NRW-Kommunalwahl auf runde 12 Prozent auf Basis aller Wahlberechtigten. Seit 1998 verlor die "alte Tante", wie nicht nur Satiriker sie nennen, damit in gut zwei Jahrzehnten 68 Prozent ihrer einstigen Gefolgschaft an Rhein und Ruhr.
Bei der CDU sieht es etwas anders aus: Landesweit bleibt sie zwar stärkste politische Kraft (mit 17,5 Prozent auf Basis aller Wahlberechtigten), sie kann jedoch nur in den Landkreisen noch erkennbar punkten und behauptet da mit 20,4 Prozent (auf Basis aller Wahlberechtigten) einen klaren Vorsprung vor SPD (12,4 Prozent) und Grünen (9,9 Prozent).
FDP und Linke, so Forsa-Chef Güllner, hätten sich auch in der Vergangenheit schon eher schwach im Kommunalen verankert gezeigt. Noch größer zeigt sich der Wählerschwund bei der AfD; sie konnte ihr bei der letzten Bundestagswahl erreichtes Wählerpotenzial auch nicht annähernd wieder ausschöpfen. Was ist mit den Grünen?
Sie bleiben, so sieht es Güllner, auch in NRW "eine Partei der höheren, in den urbanen Metropolen wohnenden Bildungsschichten". Und seien damit immer noch keine in allen Schichten der Bevölkerung verankerte Volkspartei, verfrühten Unkenrufen zum Trotz, bleibt hinzuzufügen. Grün schnappt sich demnach einen Teil der alten Mitte, möchte man schlussfolgern; und Rot ist dabei, die Bindekraft in nahezu allen Milieus zu verlieren.
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