Die unendliche Suche nach John Doe No.2

Das Bombenattentat von Oklahoma City wird erneut untersucht

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Fast ein Jahrzehnt ist seit dem Bombenanschlag von Oklahoma City vergangen und doch lässt der Fall die Öffentlichkeit in den USA nicht zur Ruhe kommen. Während mit Terry Nichols derzeit der mutmaßlich einzige Helfer des vor drei Jahren hingerichteten Attentäters Timothy McVeigh im Bundesstaat Oklahoma vor Gericht steht, bringen Hinweise auf weitere Komplizen das FBI in Erklärungsnot. Überraschen dürfte dies die amerikanische Öffentlichkeit kaum. Bis heute mögen viele nicht recht an die Einzeltäter-These glauben.

Das durch den Bombenanschlag zerstörte Behördengebäude in Oklahoma City. Foto: FBI

Es war der bis zu diesem Zeitpunkt größte Terroranschlag der US-Geschichte. 168 Menschen starben in den Trümmern des Alfred P. Murrah-Behördengebäudes, als die Sprengladungen in dem vor dem Haupteingang platzierten Truck von Timothy McVeigh am Morgen des 19. April 1995 detonierten. Mehr als 500 wurden verletzt. Getrieben wurde der mehrfach ausgezeichnete Army-Veteran von einem unbändigen Hass auf die amerikanische Bundesregierung und von Rachegefühlen wegen des Angriffs des FBI und ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms) auf ein Gehöft der Davidianer-Sekte in Waco, Texas, bei dem auf den Tag genau zwei Jahre zuvor 80 Davidianer getötet worden waren. Heute füllen 168 leere Stühle und zwei steinerne Tore mit den Uhrzeiten 9.01 und 9.03, den Augenblicken der Explosion, das Gelände in Oklahoma City - stille Erinnerung an die Bedrohung, die von inländischen Radikalen ausgeht.

Timothy McVeigh wurde etwa 90 Minuten nach der Explosion verhaftet und nach einem Aufsehen erregenden Prozess zwei Jahre später zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 11. Juni 2001 im Staatsgefängnis von Indiana vollstreckt. Bis zu seinem Tod beharrte der damals 33-Jährige darauf, allein gehandelt zu haben. Der Mitangeklagte Terry Nichols, dem angelastet wird, bei den Vorbereitungen des Anschlags und dem Bau der Bombe geholfen zu haben, erhielt für seine Komplizenschaft eine lebenslange Haftstrafe, wurde von den Geschworenen vom Vorwurf des Mordes jedoch freigesprochen. Da sich das Verfahren auf Bundesebene nur auf die acht bei dem Anschlag getöteten Bundesangestellten bezog, muss sich Nichols, ebenfalls ein Veteran, nun im Staat Oklahoma ein weiteres Mal verantworten - diesmal für den Tod der anderen 160 Opfer. Auch ihm droht im Falle eines Schuldspruchs die Todeszelle.

Zweifel an der Einzelgänger-These

Pünktlich zum Prozessbeginn am 22. März nähren Erkenntnisse aus einigen bislang unveröffentlichten FBI-Dokumenten die Zweifel an der offiziellen Version des "lone wolf" (Einsamer Wolf), des verblendeten Einzelgängers mit losen, aber unbedeutenden Verbindungen ins rechtsradikale Milieu, wie McVeigh während der Verhandlung dargestellt wurde. Den von der Nachrichtenagentur AP jüngst veröffentlichten Ermittlungsakten zu Folge könnten die Mitglieder einer rechtsradikalen Bankräubergang von McVeighs Vorhaben gewusst und die Vorbereitungen unterstützt haben. Eine These, die auch Nichols Anwälte seit langem verfolgen.

Bereits Timothy McVeighs erster Verteidiger hatten in dem Buch Others Unknown auf weitere Verdächtige hingewiesen und auch nach der Hinrichtung immer wieder den Namen von Terry Nichols Bruder James ins Spiel gebracht. Mehr als Phantombild existiert von "John Doe No. 2" bislang nicht, einem weiteren Verdächtigen, der zusammen mit Timothy McVeigh vor dem Anschlag gesehen wurde.

john Doe No.2. Bild: FBI

Im Februar kündigte das FBI in Washington, D.C. nun eine erneute Teiluntersuchung an, die Aufklärung über die Verbindung zwischen McVeigh und der Aryan Republican Army (A.R.A.), einer paramilitärischen white supremacy-Gruppe, bringen soll, die zu Beginn der 90er-Jahre durch eine Serie von Banküberfällen ins Visier der Fahnder geraten war und auch 1995 bereits zum Kreis potentieller Komplizen im Fall Oklahoma City zählte.

Anscheinend waren bereits 1996 in einem Versteck der Gruppe im Bundesstaat Ohio eine ganze Reihe von Utensilien gefunden worden, die nach verschiedenen Zeugenaussagen McVeigh zugeschrieben werden, darunter Kleidung, Verpackungsmaterial, Quecksilberschalter und mehrere Modelle des bei dem Terroranschlag verwendeten Zünders. Letztere waren von McVeigh gestohlen und von den FBI-Ermittlern lange Zeit vergeblich gesucht worden. Darüber hinaus befand sich auch das Nummerschild eines höchstwahrscheinlich von Nichols im Vorfeld des Attentats ausgeraubten Waffenhändlers unter den Fundstücken. Das dabei erbeutete Geld wurde später nachweislich zur Finanzierung der Vorbereitungen des Anschlages verwendet.

Vieles deutet darauf hin, dass Timothy McVeigh und die Mitglieder der A.R.A. in den Monaten vor dem Attentat persönlichen Kontakt hatten. Mehrfach besuchte McVeigh Elohim City, eine Zufluchtssiedlung des rechtsextremen Untergrunds im nördlichen Arkansas, wo auch die Gruppe regelmäßig verkehrte. Den Ermittlungen des FBI zu Folge versuchte McVeigh dort im September 1994 sogar, einen Komplizen für sein Vorhaben zu rekrutieren. Vergeblich bemühte sich die Fahnder jedoch, ihm eine Beteiligung an den Raubzügen der A.R.A. nachzuweisen.

Die in Polizeikreisen lange Zeit unter den Namen Midwest Bank Robbers bekannte Gang war für ihre Gewaltbereitschaft und Abneigung gegenüber der Bundesregierung berüchtigt. In weniger als drei Jahren verübte die aus einer Handvoll Extremisten bestehende Gruppe 18 Banküberfälle, bei denen sie immer wieder regierungsfeindliches Propagandamaterial hinterließ und Rohrbomben zündete. Bei seiner Festnahme des Bandenführers Peter K. Langan im Januar 1996 stieß das FBI auf ein umfangreiches Waffenarsenal, rechtsextreme Literatur und ein Video, das an Richard Butler, den Gründer der Neo-Naziorganisation Aryan Nations, in Idaho adressiert war mit dem Titel: "The Armed Struggle Underground" (Der bewaffnete Untergrundkampf). Zu den erklärten Zielen der A.R.A. gehörten ein Guerillakrieg gegen die Bundesregierung in Washington, D.C. und die Schaffung einer arischen Nation im Nordwesten der USA. Das Geld aus den Überfällen (insgesamt ca. $250.000) soll angeblich zur Unterstützung rechtsradikaler Organisationen im ganzen Land verwendet worden sein.

Peinliche Ermittlungspannen

Die Probleme des FBI scheinen ein weiteres Mal hausgemacht zu sein. Obwohl beide Ermittlungsfälle 1996 höchste Priorität genossen und die Sonderkommissionen aufgrund der möglichen Querverbindungen eng zusammenarbeiteten, wurden das in Ohio gefundene Material - entgegen klarer Vorschriften - kurz nach dem Fund vernichtet und nicht weitergegeben. Erstaunlich, zumal Hinweise auf eine Beteiligung der A.R.A. auch die Hinrichtung McVeighs im Sommer 2001 um eine Woche verzögert hatten. Vergeblich hatten einige hohe FBI-Beamte aufgrund der offenen Fragen damals sogar um ein weiteres Gespräch mit dem Angeklagten ersucht.

Terry Nichols. Foto: FBI

Gestützt werden die Indizien von den Aussagen von Peter Langan, dem ehemaligen A.R.A.- Anführer. Er widerrief seine Behauptung von 1996, nach der die Gruppe Oklahoma City vor dem Anschlag verlassen habe. Als Grund für die Falschaussage verwies er auf strafmildernde Angebote der Ermittler, die später angeblich zurückgezogen wurden. Auch die Angaben einer Zeugin und die Aufzeichnungen aus einem Autokauf sprechen für die Anwesenheit von mindestens drei Gangmitgliedern in der Stadt zum Zeitpunkt des Attentates. Langan, der früher gern als Commander Pedro auftrat und eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt, kündigte an, auch im Prozess gegen Terry Nichols aussagen zu wollen.

Unklar bleibt vor allem, warum weder den Verteidigern, noch die zuständigen Beamten im Fall Oklahoma City über die Beweise informiert waren. Schon vor Beginn der Anhörungen im Fall Nichols gab der verantwortliche Bezirksrichter Steven Taylor zu verstehen, dass er den Fall abweisen werde, sollten die Anwälte beweisen können, dass Dokumente zurückgehalten wurden, die für die Verteidigung relevant gewesen sein könnten. Für die Staatanwaltschaft, die ankündigte, eine "Lawine an Beweisen" für Nichols Schuld vorzubringen, würde es danach äußerst schwierig werden, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.

Angesichts der peinlichen Ermittlungspanne empfahl auch der ehemalige Ermittlungsleiter des FBI eine erneute Öffnung der Akten: "Es ist an der Zeit", sagte der mittlerweile pensionierte Dan Defenbaugh gegenüber CNN, "dass das I des FBI wieder für Integrität steht."

Die Einstellung des Prozesses wäre auch das beinahe höhnische Ende eines emotional stark beladenen Verfahrens. Aus Sicherheitsgründen finden die Anhörungen in McAlester, einer ländlichen Gemeinde 130 Meilen entfernt vom Schauplatz des blutigen Verbrechens statt. Ein langes und kompliziertes Auswahlverfahren war nötig, bis 12 Geschworene gefunden werden konnten, die nicht bereits von der Schuld des Angeklagten überzeugt waren. Dennoch sehen viele Bürger den Prozess als reine Zeit- und Geldverschwendung an. Bis Ende 1998 hatte die amerikanische Regierung etwa $82,5 Millionen für die Untersuchung des Falles ausgegeben.

Mehr noch als um Genugtuung geht es mittlerweile vor allem um die Wahrheit, und von der scheint Amerika heute weiter entfernt denn je. Timothy McVeigh hat sich bis zuletzt in Schweigen gehüllt und es ist unwahrscheinlich, dass Nichols das seine in naher Zukunft brechen wird. Viele Amerikaner sind längst von einer größeren Verschwörung überzeugt und glauben nicht, dass die Ermittlungsbehörden an einer vollständigen Aufklärung interessiert sind. Die jüngste Entwicklung dürfte kaum dazu beitragen, verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen.