Die unsichtbaren Pyramiden von Pecunia

Bild: Soluvo/CC BY-SA-4.0

Sinnlose Schätze, aber mit System - Teil 1

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Das Finanzsystem ist deshalb so schwer zu durchschauen, weil es absurde Spielregeln hat. Trotzdem beherrscht es mit seiner Ideologie die Wirtschaft, die in erster Linie der Vermehrung von Geld dient. Wie und wo wird dieses Geld abgeschöpft? Der Vergleich mit der ägyptischen Hochkultur öffnet uns die Augen dafür, wie die enormen Reichtümer, welche die Wirtschaft unter Ausbeutung aller Ressourcen produziert, am Ende den Menschen entzogen werden.

Ägypten und die Osterinsel

Jeder kennt die ägyptischen Pyramiden. Warum wurden sie erbaut? Welchen Sinn oder Nutzen haben sie? Es sind, wie jeder weiß, die Gräber von Pharaonen. Der Aufwand, mit dem sie erbaut und ausgestattet wurden, übersteigt alles, was je an Totenkult von Menschen geleistet worden ist. Die Pyramiden samt ihrem Inhalt, der meistens später gestohlen wurde, sind eine unglaubliche Leistung der antiken ägyptischen Wirtschaft.

Man muss davon ausgehen, dass der Staat am Nil zur Zeit der Erbauung dieser Monumente in hoher Blüte stand. Und es scheint, dass fast jeder verfügbare Überschuss der Wirtschaft in die Bestattungsindustrie geflossen ist. Unabhängig davon, ob man an ein Leben nach dem Tod glaubt oder nicht, unabhängig vom rituellen und religiösen Hintergrund, es ist jedoch irrational, den lebenden Menschen all diese Reichtümer und Leistungen zu entziehen, um sie den Toten auf ihrer Reise ins Ungewisse mitzugeben. Man hatte das unerreichbare Ziel, die Existenz und Bedeutung von Sterblichen durch aufwändige Bestattung, ins Jenseits zu verlängern.

Gold, Figuren, edles Material, Baukunst, Bildwerke von großen Künstlern, Salben, Tuche, alles wurde zu einer Art Gesamtkunstwerk zusammengefügt und dann vor den Menschen versteckt, die das alles durch ihre Leistung zustande gebracht hatten. Es wurde in ein Grabmal verwandelt, das keinem Lebenden mehr einen Nutzen bringt und nur den Grabschändern, den Archäologen, Touristen und Museen späterer Zeiten und Kulturen eine Freude ist.

Wir sind immer noch beeindruckt, wenn wir das sehen, aber wir sollten uns auch eine ganz profane Frage stellen: Wo ist der Sinn eines solchen Kults, der den Produktionsüberschuss einer Hochkultur abschöpft und buchstäblich ins Jenseits befördert?

Wenn wir uns heute in die Zeit des Pyramidenbaus zurück versetzen und uns vorstellen, wir hätten als kritisch denkende Menschen in diesem Reich gelebt, was wäre unser Blick auf die Vorgänge um den Pyramidenbau? Alle Anstrengungen und Aktivitäten dienten der Bestattung eines Toten: Kunst, Religion, Architektur, Organisation, Leistung, Arbeit von hunderttausenden Menschen. Alles, was über die einfachen Bedürfnisse der Bevölkerung hinausgeht, wird versteckt und eingemauert und gipfelt in einer geometrisch einfach konstruierten Pyramide aus Stein.

Von einem systemkritischen Standpunkt aus ist es einfach Wahnsinn. Mehr unsinniges Handeln ist kaum denkbar. Die ägyptische Hochkultur gipfelt in einem riesigen, aber banalen Symbol. Die ägyptischen Pyramiden sind ein Fetisch und sie sind aus systemkritischer Sicht der Gipfel des Fetischismus.

In einem kleineren Maßstab ist wohl etwas Ähnliches auf der Osterinsel geschehen. Ein paar hundert Jahre lang lebten dort etwa 10.000 Menschen in Wohlstand. Und was an Überfluss erwirtschaftet worden ist, wurde in das Produzieren und Transportieren merkwürdiger Steinmonumente investiert, deren Sinn bis heute nicht geklärt ist. Sie hatten wahrscheinlich noch etwas weniger Sinn als die ägyptischen Pyramiden.

Die steinernen Großköpfe auf schematischen Kleinkörpern waren anscheinend ein Prestigeobjekt, ein Zeichen der Tatsache, dass man es sich leisten konnte, sie zu erbauen und aufzustellen. So etwas könnte Kunst sein, doch der künstlerische Wert wird dadurch banalisiert, dass es so viele ähnliche Statuen gibt.

Es ist keine Kunst, sich so etwas immer wieder auszudenken, es ist eine Form von kultischem Irrsinn. Um die ursprünglich wohl 1000 Monumente zu erbauen, war auch dort als Basis eine kleine, blühende Wirtschaft erforderlich. Dazu musste die Insel durch intensive Landwirtschaft ausgebeutet werden, so dass sie bald wieder verödet ist.

Sinnlosigkeit als Dynamo der Wirtschaft

Das Muster dieser untergegangenen Kulturen passt - und das ist der Sinn dieser Überlegungen - auf unsere heutige Zeit. Es passt auf unsere globale Wirtschaftsweise und deren Zuspitzung in der Finanzmacht. Leicht erkennbar als Vergleichspunkt ist die Ausbeutung aller Ressourcen der Erde, der Meere, der Luft und der Menschen.

Doch es gibt einen graduellen Unterschied. Die Osterinsel war eine regional isolierte Kultur, ein singuläres Ereignis fern im Pazifik. Die ägyptische Hochkultur beschränkte sich auf das fruchtbare Tal des Nil, des längsten Flusses der Erde, umgeben von Wüsten. Die globale Wirtschaft des 21. Jahrhunderts, die von der Finanzmacht diktiert wird, erstreckt sich aber über fast alle Länder und die Ausbeutung aller Ressourcen bedroht den gesamten Planeten. Nennen wir dieses Geldreich einmal Pecunia.

Dass ein großer Teil der Menschen, die damals in Ägypten lebten, für den Bau der Pyramiden bis aufs Blut ausgebeutet wurde, lässt sich nur vermuten, ist aber so gut wie sicher, denn Menschen haben die Pyramiden erbaut, nicht Bagger, Gabelstapler und Betonmischmaschinen. Ebenso sicher ist, dass in Ägypten ein breiter Wohlstand geherrscht hat, zum Beispiel unter den Priestern, Höflingen und den Angehörigen der Dynastien, wahrscheinlich aber auch unter Kunsthandwerkern und Händlern. Das endgültige Ziel der Wirtschaft aber war zweitausend Jahre lang der Bestattungskult um den Pharao, der alle überschüssige Wirtschaftskraft verschluckt hat.

Das System unserer heutigen Zivilisation Pecunia dient nicht der Bestattung und nicht dem Bau von Monumenten, sondern es dient auf verschiedenen Ebenen immer nur der Anhäufung von Geld. Überall wird Geld verdient, gesammelt und weiter transferiert. Das Geldverdienen wird grundsätzlich maximiert: So viel Geldeinnahme wie möglich, so viel Gewinn wie möglich, so viel Gewinnsteigerung wie möglich.

Das derzeitige Endprodukt dieser Weltwirtschaft sind ein paar hundert riesige Vermögen, im Bereich von Milliarden und hundert Milliarden bis hin zu einer Billion, also tausend Milliarden oder eine Million Millionen. Diese Vermögen sind in der Hand von Privatleuten und privaten Organisationen. Es sind unfassbar große Pyramiden aus einem unsichtbarem Material, aus Geld.

Unser Geld ist im 21. Jahrhundert schon seit 50 Jahren von Gold und Silber entkoppelt, es ist völlig abstrakt. Die Geldpyramiden bestehen nur aus Zahlen. Diese Zahlen sind nicht in Stein gemeißelt, nicht in Metall graviert, nicht auf Papier gedruckt, sondern es sind digitale Zahlen auf Speicherplätzen. Sie bilden den abgeschöpften Reichtum unserer Pecunia-Hochkultur (Hochkultur?): Geld in Besitz einer kleinen Schar von Milliardären.

Dem gegenüber stehen Milliarden Menschen, die nicht nur intensiv arbeiten, sondern auch exzessiv konsumieren. Einige sparen selber Geld, die meisten aber zahlen nur Steuern und Sozialbeiträge, die von Staaten und staatlichen Organisationen abgeschöpft und gebündelt werden, ansonsten geben die Menschen ihr Geld schnell wieder aus und halten so die Wirtschaft in Gang, welche Nahrung, Wohnungen, Kleidung, Gebrauchsgegenstände und Konsumgüter anbietet.

Je schneller und umfangreicher dieser Kreislauf von Verdienen und Geldausgeben beschleunigt wird, desto höher sind das Wirtschaftswachstum und der Energieverbrauch. Energieverbrauch ist wiederum die Hauptursache für den CO2-Ausstoß. Das prozentuale Wirtschaftswachstum ist der gemeinsame Fetisch von Finanzwelt, Produzenten und Konsumenten, aber auch von Regierungen und Politik.

Alle Banken, alle Staaten, alle Politiker, alle Parlamente haben offenbar das Ziel, Geld unter Kontrolle zu bringen und in schnellen Umlauf zu versetzen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln oder aufrecht zu erhalten. Das objektive Ergebnis dieses Handlungsprinzips ist, dass der überschüssige Teil des Geldes am Ende in den Bau von ein paar hundert unsichtbaren Geldpyramiden investiert wird.

Das wäre vielleicht vertretbar, wenn dieser Geldüberschuss nicht zwei Drittel allen Geldes ausmachen würde, was gleich noch genauer erläutert wird. Zwei Drittel aller Euros oder Dollars, eine Zahl mit dreizehn Stellen vor dem Komma, haben keinen materiellen Gegenwert und sind in Vermögen konzentriert, die wie unsichtbare Pyramiden empor ragen und ständig weiter wachsen.

Uns ist nicht bewusst, dass fast alles überschüssig erwirtschaftete Geld in solche Anhäufungen fließt; denn vordergründig arbeiten alle nur für das Wirtschaftswachstum. Dass in der realen Wirtschaft ständig Geld von oben abgeschöpft wird wie das Fett von der Suppe, dringt kaum ins Bewusstsein und es wird schnell wieder verdrängt.

Geldvermehrung als Geschäftsmodell

Um den Vorgang dieser Akkumulation von Geld zu verstehen, müssen wir wissen, wie das Geld ständig vermehrt wird.

Notenbanken und Privatbanken können durch Vergabe von Krediten Geld erzeugen. Sie vergeben einen Kredit an Privat oder Staat. Das Geld kann von einem Konto der Bank abgerufen werden. Gleichzeitig wird per Vertrag dem Kreditnehmer eine Schuld zugewiesen. Damit ist die Bilanz der Bank ausgeglichen. Das Geld auf dem Konto ist eine Zahlungsverpflichtung der Bank, die Schulden plus Zinsen sind ein positiver Bilanzposten.

Wer denkt, dass die Bank das Geld, das sie verleiht, vorher besitzt, ist nicht voll informiert. Am einfachsten ist das bei einer Notenbank wie der Europäischen Zentralbank EZB zu erkennen, sie hat selbstverständlich das Recht, Geld zu erzeugen und auch zu drucken, sie darf es aber nur an Banken ausgeben.

Auf die gleiche Weise können aber Privatbanken ebenfalls Geld erzeugen, indem sie Kredite vergeben über Geld, das sie vorher gar nicht besitzen. Das nennt man girale Geldschöpfung (Geldschöpfung per Gutschrift) - und es ist keine Ausnahme, sondern die Regel bei der Kreditvergabe. Banken dürfen das Zehnfache bis Hundertfache ihres eigenen Geldes an Krediten vergeben.

Das Geld, das Banken als Gutschrift erzeugen, ist von anderem Geld nicht zu unterscheiden. Mehr brauchen wir nicht zu wissen, um zu verstehen, dass die Geldmenge in diesem System immer weiter unkontrolliert wächst. Die Staaten haben diesen Vorgang mehrere Jahrzehnte lang tatenlos zugelassen.

Unser Staat hat weder Finanzgeschäfte (Transaktionen) noch Finanzgewinne, noch Geldansammlungen mit angemessenen Steuern und Abgaben belegt. (Angemessen wären Steuersätze in der Größenordnung wie Lohn und Einkommensteuer plus Sozialabgaben.) Dadurch verteilt sich alles Geld, auch das neu erzeugte, über kurz oder lang von unten nach oben und landet in den Bereichen die hier bildlich als Finanzpyramiden bezeichnet wurden.

Woran erkennen wir die Sinnlosigkeit und Absurdität dieser Vorgänge in der Finanzwelt? Es ist das Übermaß. Die vorhandene Geldmenge ist nach Schätzung maßgebender Ökonomen etwa dreimal so groß wie der Marktwert aller Wirtschaftsgüter. Zwei Drittel des vorhandenen Geldes haben keinen realen Gegenwert.

Die Geldmenge aber steigt ständig weiter durch ungebremste Kreditvergabe. An der Spitze dieser Geldvermehrung steht der Kredit der amerikanischen Notenbank FED an die US-Regierung. Im Jahre 2019 liegt die Summe dieser Kredite bei einer Billion Dollar. Gemeint ist eine europäische Billion, also 1.000 Milliarden oder eine Million Millionen, als Zahl 1.000.000.000.000 Dollar. Die FED gibt diesen Kredit an das Weiße Haus und vermehrt damit die Geldmenge um den gleichen Betrag. Wieder eine Billion mehr Geld im Lande Pecunia.

Schon die Zahlen allein zeigen, dass die Vorgänge in der Hochfinanz die Vorstellungskraft von Menschen übersteigen. Niemand kann eine Milliarde, geschweige denn eine Billion zählen. Egal ob es sich um Dollars, Hundert-Dollar-Scheine oder um Sandkörner handelt. Schon eine Milliarde ist eine Zahl außerhalb unserer Möglichkeiten, sie zu erfassen. Dazu ist unser Gehirn nicht fähig. Es streikt einfach und es registriert diese Zahlen nicht mehr als reale Gegenstände. Aber sie sind real. Sie sind genauso real wie die hunderte Kilogramm Gold und eine Millionen Steine, die in einer ägyptischen Pyramide stecken.

Große Zahlen können wir aber mit Mathematik verstehen und beherrschen. Das ist nicht einmal schwierig. Nehmen wir an, ein Kubikzentimeter Sand enthalte 1000 Sandkörner, dann enthält ein Liter eine Million und ein Kubikmeter Sand enthält eine Milliarde Sandkörner. Die können wir nicht zählen, aber wir können uns leicht einen Kubikmeter Sand vorstellen und die Zahl anschaulich machen, wir könnten diese Milliarde Sandkörner sogar mit einer Schaufel auf einen Haufen schaufeln.

Bei Sand ist das möglich, weil man Sand in ein Volumen füllen kann und die Menge steigt mit der dritten Potenz der Ausdehnung. Das gilt aber nicht für Geld. Geld ist eine rein lineare Größe wie die Temperatur, es lässt sich nicht quadrieren oder potenzieren, sondern nur linear vermehren durch Addition oder Multiplikation mit einem Faktor oder mit einer Prozentzahl. Genau das tut die Finanzwelt. Es wird ständig durch Kreditvergabe Geld hinzu addiert und durch Multiplikation mit einer Prozentzahl werden Zinsen berechnet und hinzugefügt. Die Geldvermehrung ist längst außer Kontrolle geraten, daher lässt sich die gesamte Menge nur grob abschätzen.

Rob Kenius ist Diplom-Physiker und hat vorwiegend als Selbständiger im Medienbereich gearbeitet. Seit 2012 gestaltet er als systemkritischer Autor die Webseite kritlit.de.

Literatur:

Michael Hudson, Der Sektor. Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört
Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert
Rob Kenius: Leben im Geldüberfluss