Die vergebliche Suche nach der Impfwirksamkeit
Seite 2: Zwei Gedanken
Die Begründung des RKI der Zurückhaltung der Daten zur Impfwirksamkeit mit einer möglichen Verzerrung (eine Erklärung, die trotz Nachfrage leider nicht näher erläutert wurde) erscheint dem Welt-Journalisten Tim Röhn nicht überzeugend. Er kommentiert:
Statistiker Daniel Haake sieht die RKI-Angaben kritisch. Zumindest in der aktuellen Pandemiephase hätten Ungeimpfte einen größeren Anreiz, sich mit Symptomen testen zu lassen, um in den Genuss des Genesenenstatus zu kommen. (…)
Darüber hinaus hält er die Argumentation der Behörde für widersprüchlich:
"Aktuell führt das RKI die Berechnung nicht mehr durch, da sich möglicherweise Ungeimpfte und Geimpfte unterschiedlich oft testen lassen. Als es jedoch im Herbst und Winter ganz offensichtlich einen Unterschied im Testverhalten gab, weil Ungeimpfte ohne ein negatives Testergebnis nicht an Veranstaltungen teilnehmen oder die Schule besuchen konnten, wurden die Zahlen trotzdem ausgewiesen."
Tim Röhn, Die Welt
Was bleibt? Ein Blick nach Großbritannien mag helfen. Dort wird weiterhin wöchentlich die Impfwirksamkeit – und grundsätzlich detaillierter als in Deuschland – aufgeschlüsselt. Bei einer zweimaligen Impfung liegt nach diesen Angaben der Schutz nach 15 Wochen bei 20 Prozent. Bei einer dreimaligen Impfung nach 15 Wochen bei 30 Prozent. Ab der 20 Woche bei unter 10 Prozent.
Ob mit solchen Werten in Deutschland die Aussage des Bundesverfassungsgerichts in der Urteilsbegründung noch Bestand hätte, ist eine offene Frage.
Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich selbst vor wenigen Tagen trotz vierter Impfung und seiner Mahnung – "Für viele mit hohen Risiken gilt: 4. Impfung oder Ansteckung" – infiziert.
Wann er seinen zweiten Booster erhalten hatte – und wie lange damit in seinem persönlichen Fall die Impfwirksamkeit angehalten hatte –, darüber wollte sein Ministerium gegenüber der Berliner Zeitung keine Auskunft geben. Natürlich wurde dies umgehend kommentiert:
Seit 1,5 Jahren werden die Bürger dazu verdonnert‚ "medizinische Angelegenheiten" ggü. irgendwelchen Türstehern, Kellnern und Zugkontrolleuren offenzulegen. Der Gesundheitsminister selbst hingegen mag solche Infos nicht herausgeben.
Tim Röhn, Die Welt
Nebelscheinwerfer
Obwohl ein Blick über den deutschen Tellerrand einen deutlichen Hinweis auf den begrenzten Schutz vor einer Infektion belegt, tappt Deutschland nun seit drei Monaten – und auf absehbare Zeit? – im Dunkeln, was den Impfschutz anbetrifft, wenn man genauer nachfragt. Parallel dazu hat sich das Paul-Ehrlich-Institut entschieden, die Daten zu Impfnebenwirkungen nur noch alle drei Monate zu veröffentlichen. Daher ist der aktuelle Stand weiterhin der 30. März.
Damit gibt es bisher auch keine offiziellen Zahlen zu den Impfnebenwirkungen bei der zweiten Auffrischungsimpfung, die der Gesundheitsminister möglichst breit einfordert – ab dem 1. Oktober kommt dem aber eine wichtige Rolle zu. Dann steht bei vielen Bürgerinnen und Bürger die Frage an, ob sie zur nächsten Auffrischungsimpfung gehen.
Im Frühjahr 2020 wurde in Deutschland davon gesprochen, dass man angesichts der unvorhersagbaren Situation nur auf Sicht fahren könne. Zweieinhalb Jahre später drängt sich leider der Eindruck auf, dass Deutschlands Verantwortliche für die Gesundheitspolitik – trotz der Schelte des Evaluierungsberichts – nicht wirklich alles unternehmen, um mithilfe möglichst solider Daten den Nebelscheinwerfer einzuschalten. Stattdessen wird eine ganz zentrale Frage im Dunkeln gelassen?