Die vergessenen Kriegsgefangenen
Noch sitzen auch in Afghanistan Tausende elend in Gefängnissen, während die UNHCR wegen der ausbleibenden Hilfe der westlichen Staaten die Rückkehr der Flüchtlinge als bedenklich betrachtet
Probleme beim Umgang mit Gefangenen und deren rechtlichen Status gibt es nicht nur in den USA oder im Lager auf Guantanamo, sondern auch bei den Verbündeten der US-Allianz gegen den Terrorismus in Afghanistan. Nach den Recherchen des Dokumentarfilmers Jamie Doran sind Ende November möglicherweise unter Wissen des US-Militärs Tausende von Taliban- und al-Qaida-Kämpfern, die sich bei Kundus ergeben hatten, von Soldaten der Nordallianz abgeschlachtet worden (Das Massaker, das nicht sein darf). Es befinden sich seit dieser Zeit aber auch noch Tausende in Gefangenschaft - unter elenden Bedingungen und ebenso zweifelhaftem Recht wie die Gefangenen in den Händen der US-Regierung.
Das Thema, das kaum jemand zu interessieren scheint, kam auch wieder während der Loya Jirga auf, als zwei Abgesandte forderten, dass man die Tausenden von Taliban, die gefangen genommen wurden, als ihr Regime stürzte, nun frei lassen sollte. Die meisten jungen Männer aus Kandahar und den umliegenden Regionen habe man, so Abdul Hamid Babai, ein Abgesandter aus Kandahar, wegen ihrer Verbindungen zu den Taliban in Gefängnisse im Norden des Landes eingesperrt. "Wenn sie Verbrecher sind, dann sollte ihr Fall geprüft werden. Ansonsten sollten sie frei gelassen werden."
Der Außenminister Abdullah Abdullah, der seinen Posten auch in der neuen Übergangsregierung behalten hat, sagte gegenüber dem Institute for War and Peace Reporting (IWPR), dass schon einige Gefangene wieder entlassen worden seien, aber auch er ist der Meinung, dass die Taliban-Gefangenen, die nicht direkt mit al-Qaida verbunden sind, frei gelassen werden sollten, während man ihren Führern und Kommandeuren den Prozess machen müsse. Nach Angaben von Jean Pascal Moret, dem Sprecher des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und Halbmonds (ICRC), befänden sich im ganzen Land noch mehr als 3000 Männer in Gefangenschaft. Das könnten aber durchaus mehr sein, weil dies nur die Zahl derjenigen ist, zu denen Mitarbeiter des ICRC in Kontakt treten konnten. Die meisten Kriegsgefangenen befänden sich im zentralen Gefängnis in Shiberghan, wobei hier die Zahlen differieren.
Eben dorthin sollten die 8.000 Kriegsgefangenen, die sich bei Kundus ergeben hatten, auch gebracht werden. Zunächst kamen sie unter der "Aufsicht" von Soldaten des berüchtigten Warlords Dostum, der keinen Posten in der neuen Regierung erhielt, in die Festung Kala-i-Dschangi. Dort blieben einige Hundert zurück, die dann angeblich nach einem "Aufstand" von den Dostum-Kämpfern mit der Hilfe von amerikanischen und britischen Soldaten nieder gemetzelt und zu Tode bombardiert wurden, nachdem zuvor ein CIA-Mitarbeiter und Wachpersonal von den Aufständischen getötet worden ist, die sich deren Waffen angeeignet hatten (Fotos). Was sich hier wirklich abgespielt hat, ist bislang nicht bekannt - und wahrscheinlich auch dem Vergessen anheim gegeben. Dass dabei jedenfalls unter den Augen der US-Soldaten nicht zimperlich verfahren wurde, kam auch über den amerikanischen Taliban Lindh auf, der zu den wenigen Überlebenden gehörte, die sich in unterirdischen Tunnelsystemen retten konnten.
In das Gefängnis nach Shibergan kamen allerdings nur 3000 der insgesamt 8000 Gefangenen. Schon damals wurde bekannt, dass die Gefangenen zumindest teilweise in Container verfrachtet wurden, auf die dann auch Kämpfer der Nordallianz geschossen hatten, um die Eingesperrten vor dem Ersticken zu "bewahren". Seitdem ist nicht viel geschehen. Wirklich zu interessieren, scheint es niemanden. Kollateralschäden in einem gerechten Krieg.
Doch auch den überlebenden Gefangenen geht es schlecht. Das hatte bereits ein Bericht der Physicians for Human Rights im Januar dieses Jahres festgestellt und unmenschliche Bedingungen kritisiert (Fotos). Das IRCR hatte die Gefangenen zeitweise mit Lebensmitteln versorgt, doch Moret erklärte, dass man kaum Informationen darüber habe, wie die Gefangenen in Shibergan oder in anderen Gefängnissen behandelt würden.
Im Mai hatte auch der EU-Vertreter für Afghanistan, Klaus-Peter Klaiber, die Behandlung der Gefangenen in Shibergan kritisiert. Sie würden wie Vieh behandelt, erhielten nur Suppe zum Essen und seien völlig abgemagert. Die Gefangenen gehören dem Stamm der Paschtunen an, die auch das Taliban-Regime dominiert hatten, während ihre Wärter aus anderen ethnischen Gruppen wie den Usbeken oder Tadschiken stammen - und nun auch so Rache an den Gräueltaten nehmen, die ihnen zuvor von den Taliban angetan worden sind. Aber ob sich so ein Land befrieden lässt, ist doch ziemlich zweifelhaft.
Vergessen im Ausland und von der US-Regierung sind nicht nur die Gefangenen in den afghanischen Gefängnissen, sondern allmählich scheint auch Afghanistan selbst in den Hintergrund zu rücken. Unter der Führung der USA wurde, wie US-Präsident nicht müde wird als Erfolg herauszustreichen, das Land vom Taliban-Regime und deren Verbindung zu al-Qaida befreit, aber trotz der in der Loya Jirga erreichten Einigung auf eine Übergangsregierung etabliert sich in manchen Regionen wieder die Herrschaft der Warlords, während die zugesagten Hilfsgelder aus dem Ausland ausbleiben . Die USA sind wieder stärker mit sich selbst beschäftigt und haben den Fokus der Politik auf den für die Bush-Regierung bald fälligen Angriff auf den Irak und den Nahost-Konflikt gelegt, die USAF konzentriert sich vornehmlich auf Kabul.
Noch aber halten sich über 3,5 Millionen Afghanen im Ausland auf, in das sie in den Jahren des Krieges geflüchtet sind. Eine Million der Flüchtlinge seien bereits im Rahmen des im März gestarteten Programms in ihre vom langen Krieg zerstörte, von Trockenheit gezeichnete Heimat zurückgekehrt, gibt das Flüchtlingswerk der UN bekannt. In diesem Jahr dürfte die Zahl auf zwei Millionen ansteigen. Weitere 200.000 Menschen seien aus eigenem Antrieb zurückgekehrt. Der überwältigende Teil der Flüchtlinge kam aus Pakistan, wo immer noch zwei Millionen Afghanen leben sollen.
Die UNHCR gibt allerdings bekannt, dass sie die Rückkehr nicht wirklich befürworten kann, da die Heimkehrenden wegen der ausbleibenden Hilfe ein ungewisses Schicksal erwartet. Es gibt nicht nur zu wenig Lebensmittel und daher drohenden Hunger, sondern auch die Sicherheit ist in vielen Regionen nicht gewährleistet. Zudem sind große Landstriche noch mit Landminen überzogen. Besonders aus dem Norden des Landes melden UN-Mitarbeiter zunehmende Sicherheitsbedenken
Bislang wurden erst knapp mehr als 60 Prozent der zugesagten Gelder bezahlt. Dringend notwendig für das Rückführungsprogramm, bei dem die Flüchtlinge Lebensmittel und notwendige Dinge wie Decken oder Werkzeuge erhalten, seien die Auszahlung der noch verbleibenden 80 Millionen US-Dollar. Schon jetzt kriegen die Flüchtlinge, die in den Süden Afghanistans zurückkehren keine Lebensmittelvorräte mehr. Immerhin hat die EU 9,25 Millionen Euro für die Flüchtlinge diese Woche bewilligt. Wichtig aber sei auch für die neue Übergangsregierung nicht nur unmittelbare Hilfe für die Flüchtlinge, sondern auch weitergehende Entwicklungshilfe, eine Art Marshall-Plan also. Das aber scheint die westlichen Staaten nicht sehr zu interessieren, deren Politiker die Themen mit der Aufmerksamkeit der Medien wechseln. Eine Million Dollar kostet übrigens alleine eine einzige Tomahawk-Rakete ....