Die verheimlichte Seite des Irak-Krieges

Körperliche und mentale Schäden, die aus dem Rampenlicht gezogen werden

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Für die US-Regierung ist die absolute Zahl der Gefallenen weniger belastend als jedes neue Ereignis, das an die tödliche Mission erinnert und die Eltern der jungen Soldatinnen und Soldaten an die unglückselige Zeit des verlorenen Vietnamkrieges mahnt. So tragisch die Todesfälle sind, sie sind für die Falken in Washington das kleinere Übel. Denn aus militärischer Sicht geben knapp 400 gefallene Soldaten ein Beweis für die hervorragende amerikanische Kriegsführung.

Darüber entgeht der Öffentlichkeit, dass allein aus dem Irak inzwischen mehr als 1.600 verwundete amerikanische Soldaten ausgeflogen wurden. Die Betroffenen leiden an schweren Verletzungen, und nicht nur an Blessuren, die ein Manöver begleiten. Würde man die Ereignisse ins Rampenlicht setzen wie die spektakuläre, andere sagen merkwürdige Rettung der jungen Soldatin Jessica Lynch, die Zeitungen wären voll von diesen Auswirkungen des Krieges.

Solange körperliche und mentale Schäden des Krieges nicht gleichrangig zum Tod im Felde bewertet werden, handelt es sich bei ihnen "nur" um Gesundheitskosten. Dazu zählen körperliche und psychische Versehrtheit, der Verlust von Körperteilen oder die Unfähigkeit, alleine zurecht zu kommen.

Die ersten 100 SARS-Erkrankungen ließen die Welt erbeben. Ein militärisches Geheimnis sollen hingegen mehr als 100 US-Soldaten bleiben, die seit Kriegsbeginn an einer unerklärlichen Lungenerkrankung leiden: zwei von drei Betroffenen müssen künstlich beatmet werden und jeder Zweite stirbt. Ob nach Landstuhl ausgeflogen oder in die USA: die Truppenärzte sind weitgehend ratlos. Ein Artikel der Washington Post blieb ohne Resonanz.

"Classified", für geheim erklärt, sind inzwischen auch Berichte über das ungewöhnliche Verhalten von Soldaten nach dem Einsatz. Vor einigen Monaten sickerte durch, dass mehrere Afghanistan-Heimkehrer sich und zum Teil auch ihre Ehefrauen umgebracht haben. Die Scheidungsrate nach der Rückkehr vom mehrmonatigen Einsatz soll nach unbestätigten Angaben über 70 Prozent betragen. Als über die Vorkommnisse berichtet wurde, vermuteten Ärzte und Psychologen, dass die Gabe von Drogen, mit denen die Elitesoldaten "gepampert", also quasi "verwöhnt" werden, zur Wesensveränderung geführt haben. Anlässlich der versehentlichen Bombardierung kanadischer Truppen durch zwei US-Piloten wurde der zuständige Kommandeur mit den Worten zitiert: "Alle Kampfpiloten nehmen Drogen - wegen der Übelkeit durch die abrupten Flugbewegungen, und weil sie ausreichend "alert" bleiben müssen".

Soeben berichten Mediziner im Fachblatt Neurology über die überzufällige Häufung von Gehirnschwund bei Soldaten aus dem 1.Golfkrieg (1991). Das Hirnbild erinnert an die Lou Gehrig Erkrankung, die bisher als Gendefekt gedeutet wurde. Ob nukleare Munition und Strahlenschäden, oder sonstige "moderne" Waffen: es handelt sich hier um Veränderungen, die erst nach zehn und mehr Jahren aufkommen und heute als bedauerliche Auswirkungen der früheren politischen Entscheidungen kommentarlos hingenommen werden, nachdem die Früherscheinungen zuvor jahrelang abgestritten wurden.

Kein Land hat so viele Soldaten außerhalb seiner Grenzen stationiert wie die Vereinigten Staaten. Die Angaben variieren zwischen 120-160 Ländern, in denen das US-Militär sichtbar oder durch "Militärberater" präsent ist. Trotzdem: 50 von 225 Soldaten des Marine Corps, das bekanntermaßen nur wenige Tage in Liberia aushalf, erkrankten an der heimtückischen und für diese Region therapieresistenten Malaria. "Malaria, the Terrorist's Friend" nennt Amira Attaran seine Story in der New York Times, in der er die Erkrankung eines Viertels der amerikanischen Soldaten zu den 8 Millionen US-Dollar in Beziehung setzt, die das Pentagon jährlich für die Antimalariaforschung aufbringt, und den Terroristen sarkastisch empfiehlt:

Geht in ein tropisches Land mit viel tödlichen Plasmodium falciparum malariae. Gewinnt die Ansässigen für euere Sache, weil sie durch ihre angeborene Immunität relativ sicher sind. Und wenn die USA dann Truppen senden, werden die in kurzer Zeit unfähig sein, etwas zu tun.

Wenn der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, den Einsatz der NATO im Irak unter Verweis auf den dort bereits aktiven polnischen Bündnispartner befürwortet (Interview in der Welt am Sonntag), dann sollte er nicht nur für den politischen Willen, sondern auch für die erheblichen Gefahren einstehen, die unter normalen Lebensumständen in Deutschland nicht hingenommen werden.