Die weiße Spinne
Was haben langweilige Hollywood-Franchises mit dem Denken rassistischer Mörder zu tun? Mehr als einem lieb sein kann
In seiner Novelle "Die schwarze Spinne" (1842) erzählt der Schweizer Schriftsteller Jeremias Gotthelf davon, wie die Einwohner eines Dorfs unter einem dämonischen, achtbeinigen Plagegeist leiden, den sie nur durch Gottesfurcht besiegen können. In modernen Leiterzählungen aus Hollywood muss eine Spinne immer noch weißhäutig sein, um Gutes tun zu dürfen.
Superheldenfilme: so langweilig, vorhersagbar und stereotypisch wie Religionen - und gerade darum bei einem Publikum so erfolgreich, das in Stereotypen fühlt und denkt. Und wie bei allen anderen Arrangements, die als Religionsersatz herhalten, muss es auch jemanden geben, der dafür sorgt, dass alles immer grundsätzlich gleich bleibt und dass die von Zeit zu Zeit notwendigen kosmetischen Minimalanpassungen vorgenommen werden.
Einen Ersatzklerus also. Wie das bei Blockbusterverfilmungen konkret läuft, kann man an einer Email-Korrespondenz sehen, die angeblich Teil der während des Sony-Hacks vom letzten Jahr erbeuteten Daten ist.
Auf keinen Fall schwarz
Darin schreiben die Hagiographen von Marvel den Heiligenfilmern von Sony vor, dass sowohl Peter Parker als auch sein Spiderman-Alter-Ego bestimmte Sachen nicht sein dürfen. Beide dürfen nicht schwul sein (es sei denn, Marvel habe sich vorher entschlossen, Spiderman in seinen Comics homosexuelle Neigungen verspüren zu lassen). Peter Parker, also der unmaskierte Spiderman, muss außerdem in einer Mittelklasse-Familie in Queens aufgewachsen sein, nachdem er als Kind seine Eltern verloren hat, und er darf auf gar keinen Fall schwarz sein.
Die Anweisungen stellen bizarrerweise klar, dass er nicht einmal Schöpfer des schwarzen Alternativkostüms aus Spiderman 3 sein darf: "Das schwarze Kostüm ist ein Symbiont und wurde nicht von ihm erschaffen." [Übersetzung: M.H.] Wenn man an eine Umkehrung des berühmten Buchtitels von Frantz Fanon denkt, heißt das: "Weiße Haut, schwarze Masken" - nicht einmal das findet bei Peter Parker statt.
Vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen ist es ja völlig egal, wer Peter Parker oder Spiderman spielt. Es wird immer um den gleichen verkitschten Quatsch vom Kampf des Guten gegen das Böse gehen. Und die kosmetischen Minimalanpassungen kommen ja vor. Einen schwarzen Spiderman gibt es sowohl in Comic- als auch in Fernsehfilm-Form, und schon 2018 soll es einen ersten Superfilm über einen schwarzen Superhelden (Black Panther) geben.
Die eigentliche Nachricht steckt in dem, was die Stimme des Volkes dazu zu sagen hat
Alles in Butter also? Mitnichten. Denn die eigentliche Nachricht zu der wenig bedeutsamen Nachricht von den Absprachen zwischen Marvel und Sony steckt in dem, was die Stimme des Volkes dazu zu sagen hat. Zum Beispiel im Forum der Variety.
Zur Frage, ob Peter Parker auch schwarz sein kann, wird Werktreue beschworen, als ginge es tatsächlich um die Verfilmung heiliger Texte. Sehr schnell kommt man über das übliche Gefasel von der "Diktatur der Political Correctness" zu Wahnideen, die Weißen hätten die längste Zeit ihrer Geschichte als Sklaven von Arabern und Juden verbracht. Wie heißt es so schön: "Well, that escalated quickly."
Plötzlich ist man mitten im Kopf von Dylann Roof, dem rassistischen, neunfachen Mörder von Charleston. Oder in den Köpfen von "besorgten Bürgern" in Deutschland, die vor Asylbewerberwohnheimen randalieren, weil ihnen die Asylanten wahrscheinlich die Butter vom Brot stehlen werden.
Worauf sich die Macher eines wirklichen Blockbuster-Formats mit schwarzem Spiderman (oder Superman oder Batman) einzustellen hätten, weiß man seit den massiven rassistischen Protesten zu "The Hunger Games" vor drei Jahren.
Weil dort Nebenrollen ganz werkgetreu mit schwarzen Schauspielern besetzt wurden, vergaß der virtuelle jugendliche Lynchmob seine Ansprüche an Werktreue im Nu und pöbelte frei von der Leber weg.
So langweilig diese ganzen Hollywood-Schinken auch sein mögen, so wichtig ist es, sich daran zu erinnern, wie virulent der Rassismus im allgemeinen Publikum ist - und dass sich durch ein paar kosmetische Minimalanpassungen daran auch nichts ändert.