Die zweite Niederlage der USA
Die Einnahme von Somalias Hauptstadt durch Islamisten ist ein direktes Resultat der CIA-Bündnispolitik
Das Trauma von Mogadischu sitzt tief in den USA. Bei Gefechten mit schwer bewaffneten Milizen waren vor 13 Jahren, im Oktober 1993, in der somalischen Hauptstadt zwei Black-Hawk-Kampfhubschrauber abgeschossen worden. 18 US-Soldaten verloren bei dem Versuch ihr Leben, den Kriegsherren Mohammed Farah Aidid zu fassen. Unter dem Schock der Niederlage zog der damalige US-Präsident William Clinton die Truppen ab. Erst nach den Terroranschlägen von 11. September 2001 begann man sich in den USA wieder für Somalia zu interessieren. Weil das Land seit 1991 über keine funktionierende Regierung verfügt, ist es als Rückzugsgebiet für Mitglieder internationaler Terrororganisationen prädestiniert. Anfang dieser Woche nun ist das Land am Horn von Afrika endgültig wieder ins Visier des Weißen Hauses gerückt: Am Montag nahmen die Milizen der „Union der Islamischen Gerichte“ (ICU) die Hauptstadt ein.
Die USA erlitten dadurch ihre zweite Niederlage in Somalia. Denn um den Einfluss der ICU zu begrenzen, war eine Allianz aus Warlords von der US-Regierung in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maße unterstützt worden. Wenn die Islamisten die Macht einmal übernehmen, so der Gedanke, würde Somalia zum sicheren Hafen für islamistische Terroristen. Zuletzt versorgte der US-Geheimdienst CIA die so genannte Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und den Anti-Terrorismus (ARPCT) daher mit hunderttausenden US-Dollar und Informationen. Nach Angaben der New York Times war ein CIA-Offizier eigens damit betraut, die Geldsendungen aus dem benachbarten Nairobi in das ARPCT-kontrollierte Gebiet zu fliegen.
CIA: Mit Warlords gegen Terrorismus?
Doch angesichts der Niederlage mehrt sich in den USA die Kritik an dieser Bündnispolitik. Die NYT führt in ihrem jüngsten Beitrag hochrangige Regierungsvertreter an, von denen das Vorgehen des Geheimdienstes als schädlich für den Kampf gegen den Terrorismus in Ostafrika bezeichnet wird. Namentlich genannt wird Michael Zorick. Der Regionalbeauftragte des US-Außenministeriums hatte die direkte Unterstützung der ARPCT-Milizen durch die Regierung intern kritisiert, um kurz daraufhin von Nairobi in den Tschad versetzt zu werden. Auch ein anderer Regierungsmitarbeiter nach seiner Rückkehr aus Nairobi früher in diesem Jahr beklagt, dass die US-Politik in der Region keinen „strategischen Rahmen“ erkennen lasse. Wie andere Gesprächspartner wollte der Regierungsvertreter nur anonym zitiert werden.
Zivile Beobachter können sich weiter in die Öffentlichkeit trauen. John Pendergast von der International Crisis Group etwa fällt ein vernichtendes Urteil. Die Einnahme von Mogadischu bezeichnet er als „ein Schlag in unser Gesicht“:
Wir haben diejenigen Akteure gestärkt, über deren Präsenz wir am meisten besorgt waren.
John Pendergast
Tatsächlich haben sich die US-Partner der ARPCT in die rund 90 Kilometer nördlich Mogadischus gelegene Stadt Jowhar zurückgezogen. Die Stadt ist seither von den Verbänden der ICU eingeschlossen.
Regierung: „USA arbeiten mit Kriminellen“
Während US-Präsident George W. Bush am Dienstag seiner Sorge über „den jüngsten Zwischenfall“ Ausdruck verlieh, zeigte sich die legitime Übergangsregierung erfreut vom Verlauf der Dinge. Premierminister Ali Mohammed Ghedi, der mit seinem Kabinett in der Stadt Baidoa, rund 250 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt residiert und politisch kaum mehr Einfluss hat, beglückwünschte die „Union der Islamischen Gerichte“. Seine international anerkannte Regierung hat bereits Gespräche mit der ICU aufgenommen.
Die Politik der USA hatte die Regierung schon in der Vergangenheit mehrfach kritisiert. Bei einem Besuch in Schweden Anfang Mai hatte Präsident Abdullahi Jussuf gesagt:
Wir wenden uns ganz entschieden gegen die US-Hilfe, die nicht der Regierung zukommt.
Somalias Interimspräsident Abdullahi Jussuf
Der beste Weg, die Ausbreitung von al-Qaida in Somalia zu bekämpfen, bestünde in der Stärkung der Regierung des Landes. Ähnlich äußerte sich Ghedi. Man würde es begrüßen, sagte der Premierminister, wenn die USA, statt mit Kriminellen, mit der Übergangsregierung arbeiten würden.
“Islamische Gerichte“: Für Scharia oder Selbstbestimmung?
Unklar ist der weitere Verlauf des Konflikts. Bislang ist es zu keinen weiteren Kämpfen zwischen ICU und ARPCT gekommen. Die Islamisten ließen am Dienstag sogar Demonstrationen von Anhängern eines Warlords in der Hauptstadt zu. Nachdem durch die jüngsten Kämpfe im Mai über 300 Menschen getötet und über 1.700 verletzt wurden, könnte dies ein Indiz für eine Versöhnung sein. Dass dies nun ausgerechnet unter der Ägide derjenigen Kräfte geschieht, die von Washington lange als Protegés des Terrors dargestellt wurden, unterstreicht die Niederlage der USA.
Tatsächlich setzt die ICU-Führung derzeit alles daran, ihr Ansehen international zu verbessern. In einem offenen Brief wies der Anführer der Islamisten, Scharif Scheich Achmed, die Anschuldigungen zurück. Das Hauptziel seiner Allianz sei die Wiederherstellung von Sicherheit und politischer Stabilität nach eineinhalb Jahrzehnten des Bürgerkrieges. Über die politische Zukunft Somalias müsse die Bevölkerung aber selber entscheiden, sagte der ICU-Chef in mehreren Interviews. Für solche zurückhaltenden Positionen spricht die Geschichte der Allianz. Die ICU wurde nicht mit primär politischen Interessen gegründet, sondern von Geschäftsleuten und islamischen Wohlfahrtsorganisationen ins Leben gerufen. In den von ihr kontrollierten Gebieten übernahm sie Polizeiaufgaben und kümmerte sich um die sozialen Dienste, was ihr einen starken Rückhalt in der Bevölkerung einbrachte.
Der offene Brief, den die ICU nach der Einnahme von Mogadischu veröffentlichte, wurde in Washington anders als in Afrika - mit äußerster Zurückhaltung aufgenommen. Es gebe „viele Strömungen“ bei Islamisten in Somalia, sagte US-Außenamtssprecher Sean McCormack. Die USA würden zum jetzigen Zeitpunkt kein Urteil über die genaue Natur dieser Gruppe abgeben.