Die zweite Welle ist nicht (!) da
Kommentar: Anstieg der Corona-Tests und Anstieg der Infiziertenzahlen - Wer hinterfragt, ist Relativierer
Ihre sehr berechtigte Frage: "Hat die erhöhte Zahl an positiv Testungen auch etwas mit der Ausweitung der Testkapazitäten zu tun?", muss man sicherlich mit 'teilweise ja' beantworten.
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister auf der Bundespressekonferenz, Anfang August
Zwei Dinge stehen fest: Die Zahl der durchgeführten Corona-Tests steigt. Die Zahl der registrierten Corona-Fälle steigt. Die Zahl der durchgeführten Corona-Tests steigt gerade sogar bis an die Kapazitätsgrenze vieler Labore. Ein Zusammenhang zwischen beidem scheint naheliegend, denn wer mehr sucht, findet natürlich auch mehr.
Trotzdem suggerieren dieser Tage viele Medien, es gebe einen solchen Zusammenhang nicht und konstruieren stattdessen die Gefahr einer zweiten Infektions-Welle. Damit dienen sie vor allem der Karriere-Agenda bestimmter Politiker, vor allem aus der Union. "Die zweite Welle ist schon da", behauptet zum Beispiel der bayerische Ministerpräsident Markus Söder seit Anfang August.
Mitunter offenbaren solche Medienberichte eine gewisse Unfähigkeit (oder ist es Unwillen?), einfache Zahlen zu lesen oder Zitate zu verstehen und Fakten zu überprüfen.
Als Exempel hat sich der Autor einen Beitrag des Bayerischen Rundfunks (BR) vom 8. August ausgesucht; es könnte allerdings auch der Beitrag eines anderen Mediums sein.
Klassisches Framing
Auf die Feststellung der oben genannten Fakten - steigende Testzahlen, steigende Fallzahlen - folgt sofort eine doppelte Behauptung: "Corona-Relativierer wittern einen Zusammenhang, eine Verschwörung." Es ist ein schon klassisches Framing, hier sofort ohne Überleitung von "Corona-Relativierern" zu reden. Ist denn jemand, der nachfragt, sofort ein Corona-Relativierer?
Und wäre das schlimm? Ist jeder Journalist, der die Behördenzahlen recherchiert, umgekehrt ein Corona-Gläubiger? Vielleicht sollte man derartige Zuschreibungen besser unterlassen und einfach davon ausgehen, dass alle Bürger die Fakten kennen wollen und im Einzelfall nachfragen - ohne dass sich daraus sofort eine Ideologie konstruieren lässt.
Die zweite Behauptung: Die Gleichsetzung von Zusammenhang und Verschwörung. Denn wer nach einem Zusammenhang fragt, der tut erstmal nur genau das: Er fragt. Ohne dass hier irgendetwas vermutet oder gewittert wird, schon gar keine Verschwörung. Denn gerade, wenn es den vermuteten Zusammenhang gäbe, wäre dies ja eine schlüssige Erklärung, keine Verschwörung.
Manche, die man im Frühjahr "negativ" getestet hätte, würden heute "positiv" getestet
Wie nun will man den Zusammenhang zwischen mehr Tests und mehr festgestellten Infektionen widerlegen? Zum ersten mit der Feststellung: "Tatsächlich aber werden, so die Gesundheitsbehörden, vor allem Fälle von Infizierten mit mildem Krankheitsverlauf gefunden, die ansonsten womöglich unentdeckt geblieben wären."
Mag sein. Aber widerlegt diese Feststellung den Zusammenhang zwischen mehr Infektionsregistrierungen (nicht etwa "Infektionsgeschehen") und mehr Testzahlen?
Nachdem Jens Spahn zitiert wird, der einen teilweisen Zusammenhang durchaus einräumt, schreiben die Autoren: "Zugleich ziehen manche Personen falsche Schlüsse daraus. Sie werten die Verbindung aus gestiegenen Testzahlen und zunehmenden Infektionen als Beleg für die angebliche Ungefährlichkeit des neuartigen Coronavirus."
Der BR geht also nun selbst von einer "Verbindung aus gestiegenen Testzahlen und zunehmenden Infektionen" aus und widmet sich der Widerlegung einer komplett anderen Behauptung: der der Ungefährlichkeit. Dies hat aber mit dem anderen nichts zu tun.
Dann zitiert man das Robert-Koch-Institut:
"Eine Ausweitung der Testindikationen oder eine Erhöhung der Testzahl kann zu einem Anstieg der Fallzahlen führen, da zuvor unentdeckte Fälle detektiert werden. Das heißt aber nicht, dass umgekehrt die steigenden Fallzahlen nur mit dem vermehrten Testaufkommen zu erklären sind."
An diesem RKI-Satz ist nichts zu kritisieren. Er sagt nur etwas anderes, als der BR aus ihm herauslesen möchte, und er verrät zudem ein wichtiges Detail. Dabei handelt es sich um die "Ausweitung der Testindikationen". Das heißt nichts anderes als: Es gibt neue und mehr Kriterien, für eine positive Corona-Diagnose. Mit anderen Worten: Manche, die man im Frühjahr "negativ" getestet hätte, würden heute "positiv" getestet.
Auch dies sollte keine Verschwörungstheoretiker auf den Plan rufen: Inmitten einer Pandemie nimmt das Wissen täglich zu, werden Kriterien fortlaufend angepasst. Es sollte uns allen nur die unangenehme Wahrheit ins Gedächtnis rufen, dass wir wenig wissen und alle unsere Urteile auf unsicherer Basis stehen.
Ein Faktor an den neuen Zahlen könnte allerdings auf eine klare Zunahme der Corona-Infektionen hinweisen: In den ersten Monaten wurden vor allem konkrete Verdachtsfälle und Bürger mit Symptomen getestet, in den Juni/Juli-Wochen vor allem Betroffene sogenannter Infektions-Cluster, derzeit werden dagegen symptom-neutrale Massentestungen durchgeführt - etwa rückkehrender Urlauber. Die andererseits nur getestet werden, wenn sie aus Risikogebieten kommen. Auch hier also kein eindeutiges Bild.
Anstieg weit geringer, als die nackten Zahlen suggerieren
In der 28. Kalenderwoche (Anfang Juli) wurden 510.103 Tests durchgeführt, davon waren 2.990 positiv. Das entspricht einer Positivenrate von rund 0,6 Prozent. In der 33. Kalenderwoche Mitte August) wurden mit 875.524 Tests 72 Prozent mehr Tests durchgeführt, davon waren 8.407 positiv, was einer Rate von 0,96 Prozent entspricht. Die Zahl der positiven Tests ist damit um 181 Prozent gestiegen. Es gibt also statistisch gesehen tatsächlich einen deutlichen Anstieg. Dieser ist aber weit niedriger, als die nackten Infiziertenzahlen suggerieren.
Der Höchststand der Infiziertenrate wurde in der 14 Kalenderwoche (Ende März) gemessen. Damals lag er bei 9,0 Prozent (bei nur gut 300.000 Tests), also knapp zehn Mal so hoch wie derzeit. Von einer "zweiten Welle" (SPD-Panikprofessor Karl Lauterbach) ist die Bundesrepublik damit weit entfernt.