Diese komischen Antisemiten

Seite 2: Mit Kriegsausbruch wurde das Leben billig

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

All diese Ereignisse kamen nicht in die Nähe einer Liebesgeschichte zwischen den Zionisten und den Nazis. Schon allein der Gedanke ist verrückt.

Bis zum 2. Weltkrieg konnte Hitler nur davon träumen, Juden en masse zu töten. Es war undenkbar. Er musste damit zufrieden sein, die Juden aus Deutschland oder aus Europa zu vertreiben, wie es mehrere Male vorher in Spanien, in England und in vielen anderen Ländern geschah.

Der offensichtliche Bestimmungsort war Palästina, aber Palästina wurde von Großbritannien beherrscht, das nur wenige Juden ins Land ließ, aus Furcht vor arabischen Reaktionen. Zu der Zeit gewann eine andere Möglichkeit die Popularität bei der Nazi-Führung: ein Transport aller Juden nach Madagaskar, das damals Teil eines französischen Empire war. Daraus wurde nichts.

All dies veränderte sich vollständig, als der Krieg ausbrach. Eine neue Realität entstand. Mit der Invasion in die Sowjet-Union durch Nazi-Deutschland (1941) wurde das Leben billig. Die Genfer Konventionen über eine zivilisierte Kriegsführung wurden über Bord geworfen. Hunderttausende und dann Millionen mordeten einander.

Für Hitler war dies eine Gelegenheit, an die er vorher vielleicht nicht zu denken gewagt hatte. Transferiere die Juden nicht, töte sie. Das war der Beginn des Holocaust durch Massenerschießungen, Verhungern, Krankheiten und dann die Gaskammern.

Er brauchte niemanden, der ihn drängte. Vor kurzem verbreitete sich die Geschichte, dass Hitler vom Großmufti von Jerusalem, Hadj Amin al-Husseini, ein echter Semit, angetrieben wurde, das ist so lächerlich wie alle anderen Geschichten.

Judenhass ist zu einem Merkmal des Christentums durch die Jahrhunderte geworden

Hitler hatte keinen originellen Geist. Es war nichts wirklich neu in seiner Anschauung. Antisemitismus ist so alt wie das Christentum. Es war lange Zeit ein integraler Teil von ihm - und ist es vielleicht noch immer.

Jeshua Ben-Josef, bekannt als Jesus, war ein Jude. Als er wegen Gotteslästerung gekreuzigt wurde, hielt eine kleine jüdische Gemeinde in Jerusalem an seiner Lehre fest. Sie wurden vom jüdischen Establishment in Jerusalem verfolgt und zwischen den beiden Seiten entstand ein fanatischer Hass.

Dies würde eine historische Bagatelle gewesen sein, wenn es nicht etwas Außerordentliches gegeben hätte. Mit der Hilfe eines anderen jüdischen Rabbi, Saul, der seinen Namen in Paulus veränderte, wurden die Nachfolger des Jesus eine Welt-Religion. Die alte Kultur der vielen Götter brach zusammen. Die abstrakte jüdische Religion zog viele Patrizier an, aber die Massen der Sklaven und Proletarier waren von der Geschichte des gekreuzigten Sohnes Gottes und seiner jungfräulichen Mutter entzückt. Das Christentum gewann und mit ihm der Hass gegen die Juden.

Es ist mein Glaube, dass kein christlicher Junge und Mädchen, die in ihrer Kindheit dieser Furcht einflößenden Geschichte der Juden ausgesetzt waren, die nach dem Blut des sanftmütigen Jesus schrien, nie vollständig sich vom Hass gegen die Juden befreien konnten.

Und tatsächlich ist Judenhass zu einem Merkmal des Christentums durch die Jahrhunderte. geworden. Massenvertreibungen, der Mord an Juden durch die Kreuzritter in Deutschland und Palästina, die spanische Inquisition, die russischen Pogrome, der Holocaust und unzählige andere Manifestationen begleiten die jüdische Geschichte. (Traurigerweise sind die Juden im modernen Israel nicht immun gegen den Hass gegen die anderen.)

Ich möchte noch einmal betonen, dass nichts davon in muslimischen Ländern geschah. Als ich dies vor kurzem betonte, griffen mich einige Professoren orientalisch-jüdischen Ursprungs wütend an. Sie brachten etwa ein halbes Dutzend Beispiele von muslimischen Herrschern, die Juden misshandelten - ein halbes Dutzend in 1400 Jahren! Es scheint, dass einige Orientalen die europäischen Juden um ihr Leiden beneideten und wünschten, mit ihnen auch darin konkurrieren wollten.

Pogrom ist kein arabisches Wort. Es ist russisch.

Es ist der Ton der Antisemiten, der die Musik macht

Zurück zu den heutigen Antisemiten.

Man könnte gehofft haben, dass sie nach dem Holocaust just verschwinden würden. Aber jetzt sind sie noch einmal hier - in verschiedenen Erscheinungen. Es ist nicht so sehr, was sie sagen. Es ist der Ton, der die Musik macht.

Man kann mit ihren Argumenten streiten. Sicher. Es gibt einige unerfreuliche Fakten. Gewiss. Aber es ist die Musik, die ausschlaggebend ist. Ah, die Musik.

Man kann Anti-Israel sein. Warum nicht? Man kann gegen die Politik der auf einander folgenden israelischen Regierungen sein. (Wie ich). Man kann anti- zionistisch sein. Doch muss man deutlich machen, welche Art von Zionismus man nicht liebt. Aber all dies hat nichts mit dem realen Antisemitismus zu tun.

Einige Leute mit einer echten konspirativen Weltanschauung - die ich leider nicht habe - könnten Gründe anführen, dass der heutige Antisemitismus von Zionisten finanziert wird , um die Juden von dort, wo sie sind, nach Israel zu treiben.

Wenn man so viele Leute am Tel Aviver Strand Französisch sprechen hört, könnte man vermuten, dass sie damit Erfolg haben.

Uri Avnery ist Gründer der Friedensbewegung Gush Shalom. Der langjährige Knesset-Abgeordnete, 1923 in Beckum geboren und 1933 nach Palästina ausgewandert, gehört seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Personen der israelischen Politik. Er ist durch seine kämpferisch-kritische Begleitung der israelischen Regierungspolitik weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt geworden. Für sein Engagement für den Frieden im Nahen Osten sind ihm zahlreiche Auszeichnungen zuerkannt worden. Der Text wurde von Ellen Rohlfs übersetzt, vom Verfasser autorisiert.