"Dieser Krieg war ein deutsches Verbrechen"
Eine Geschichtslektion, ein Schuld- wie Verantwortungsbekenntnis und eine Ansprache mit religiösen Elementen - drei Reden wurden am ersten September 2019 auf dem Pilsudski-Platz in Warschau gehalten
Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier und der stellvertretende US-Präsident Mike Pence sprachen am Sonntag bei den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Duda, der die Leiden, die Opfer und die Heldentaten der Polen während der deutschen Okkupation in emotionalem Ton vortrug, schien besorgt zu sein, dass dies der Weltöffentlichkeit noch nicht geläufig sei. Es ist ein wichtiges Anliegen der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die derzeit versucht, das Gedenken an Polens Leiden im Zweiten Weltkrieg vor allem gegenüber dem Westen zu vermitteln. "Die Menschheit hat zu wenig Schlüsse aus dieser schrecklichen Lektion gezogen", meinte der Nationalkonservative zum anderen und beklagte, dass der Westen erneut weg schaute, wie einst beim deutschen Angriff auf Polen, wo Frankreich und Großbritannien ihrer Bündnispflicht nicht nachkamen. Nun werde bei der Aggression Russlands in der Ukraine die Augen verschlossen, bezeichnenderweise war unter den vierzig ausländischen Delegationen Russland nicht eingeladen. Auch zu sowjetischen Vergehen wie Katyn bezog sich Duda und wiederholte die bereits von Premier Mateusz Morawiecki in der Washington Post vermittelte Vorstellung, dass der Krieg in Polen bis 1989 gedauert habe.
"Dieser Krieg war ein deutsches Verbrechen", bekannte hingegen der deutsche Staatspräsident, dessen Rede schriftlich per Telebeam übertragen wurde. Als er dann "Wir werden nie vergessen" recht gut auf Polnisch sagte, bekam er seinen ersten, wenn auch verhaltenen Applaus auf dem Pilsudski-Platz, der wider Erwarten mit nicht so vielen Menschen gefüllt war. Diese Reaktion war nicht selbstverständlich - der deutsche Kanzler Helmut Schmidt wurde 1977 bei seinem Besuch in Danzig ausgebuht, ebenso sein Nachfolger Gerhard Schröder, als er 2004 im Stadtteil Wola einen Kranz zu Ehren der dortigen Opfer des Warschauer Aufstands nieder legen wollte. Auch in der Stadt Wielun hielt er am Sonntagmorgen eine Gedenkrede, die polnischen Provinzstadt wurde vermutlich einige Minuten früher als Danzig bombardiert, was vielen unbekannt ist.
"Ich bitte um Vergebung für Deutschlands historische Schuld. Ich bekenne mich zu unserer bleibenden Verantwortung." Mit diesen Worten, ebenso mit Applaus bedacht, schloss Steinmeier seine Rede in Warschau, in der er das gemeinsame Europa und das transatlantische Bündnis beschwor. Doch war dies auch eine sehr deutsche Rede - es fehlten die Wörter "Geist" und "Kultur" nicht. "Polen, seine Kultur, seine Städte, seine Menschen - alles Lebendige sollte vernichtet werden." Interessant ist hier, dass Kultur an erster Stelle kommt, an dritter die Menschen. Dies jedoch am Rande.
In Polen machte die Rede Eindruck, dies gestanden selbst konservative bis rechte Medien. Auch für Frau Janina, die von außerhalb Warschaus gekommen war. "Ich hatte wirklich Tränen in den Augen", meinte die 67-jährige Pensionärin, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter da war. "Dass ein Deutscher das hier bekennt - und es klang ehrlich -, dass dieser schreckliche Krieg von Deutschen begonnen wurde", sagte die pensionierte Physikerin. Sie steht für viele Polen, die das Gefühl haben, dass der westliche Nachbar das polnische Leid, die Millionen Toten, bislang nicht wirklich wahrgenommen habe.
Den Krieg habe sie selbst nicht mehr erlebt, aber die Folgen im Nachkriegspolen Wenn sie durch Warschau läuft, sieht sie die vielen Gedenktafeln, welche an die Kämpfe erinnern. Dass sich das für Polen noch einmal wiederholen könnte? "Nein, das kann ich mir jetzt nicht mehr vorstellen."
Kampf zwischen Gut und Böse
Pence ersetzte kurzfristig Trump, der offiziell wegen des Orkans Dorian absagte. Der Amerikaner konnte weit mehr Begeisterung vor Ort entfachen, mit pathetischen Worten beschwört er Polen als "Heimatland der Helden" und lobte das Gastgeberland als Verbündeten der USA in der NATO, beide Länder werden "unsere Alliierten auch weiterhin aufrufen, die Versprechen zu erfüllen, die wir uns gegenseitig gegeben haben". Ein Seitenhieb gegen NATO-Mitglied Deutschland, das derzeit nicht die vorgeschriebenen Mittel für den Verteidigungshaushalt aufbringt. Mit dem Bezug auf den Papst und den Kampf zwischen Gut und Böse, der polnischen Sehnsucht nach Gott wurde die Rede am Schluss immer religiöser. In den USA ist bereits der Wahlkampf für den Urnengang im Herbst 2020 angelaufen.
Unter den Zuschauern war eine einzige Gruppe, mit einem politischen Statement unter den Zuschauern, die Transparente wie "Poland stands with USA" und "No Socialism" hoch hielten. Aus ihren Gesprächen ging hervor, dass Polen allein auf die USA zählen sollte, dass die EU für "Sozialismus" stehe und daraus "Kommunismus" folge.
Die Teilnehmer verteilten Flyer mit der Websieite www.idzpodprad.pl (Gehe gegen die Strömung), einer von Ihnen nannte die Organisation eine protestantische Bewegung. Einige religiöse Elemente auf ihrem Flyer fanden sich auch in der Rede von Pence, der immer mehr den Gottesbezug einbaute, "Wo der Geist unseres Herrn ist, da ist Freiheit." Interessant ist, dass Pence, der auch den polnischen Papst erwähnte, selbst einst Katholik war und in eine streng evangelikalen Kirche eingetreten ist.
Ähnliches scheint auch die evangelikale Gruppe um "Poland stands with USA" mit dem katholischen Land Polen vorzuhaben, welche die regierende PiS als zu sozialistisch kritisiert. In den polnischen Medien waren die Reaktionen verhaltener als vor Ort, denn zuvor hatte es Erwartungen gegeben, dass die amerikanische Seite sich konkreter zu einem Ausbau der USA-Präsenz äußert.
Was bleibt, ist vielleicht Steinmeiers Rede, allerdings werden demnächst die deutsch-polnische Beziehungen durch die Reparationsforderungen belastet werden, die Regierung in Warschau will vermutlich vor den Wahlen am 13. Oktober Berlin eine Rechnung vorlegen.
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