Digitale Wiedergeburt
Vom Überleben von Konsolenspielen wie "Vectrex" in der Emulatorenszene
Seit einiger Zeit erleben alte, längst ausgemusterte Videogame-Konsolen der 80er Jahre, wie der Atari2600 oder der Vectrex, eine Renaissance. Sie haben mittlerweile ihren Weg in den Kanon des guten Geschmacks gefunden; mannigfaltige Referenzen auf Platten und T-Shirts zeugen davon. PC-Emulatoren für Games werden überall mit einer Verve vorgestellt, als ob jeder Rezensent seine Sozialisation mit der heiligen Dreifaltigkeit von Pong, Space Invaders und Donkey Kong unter Beweis stellen muß. Doch die nostalgisch-sentimentale Begeisterung für die kleinen knackigen Spiele von damals transportiert eine weitere Ebene: Sie zeugt von Strategien, wie man Artefakte digitaler Kultur vor ihrem Verschwinden bewahrt.
At the end of the day it`s all about trying to keep the console alive instead of letting people forget about it and have it fade into obscurity.
Andrew "Raven" Coleman, 21, London
Eine Konsole mit besonders viel Charme, MBs Vectrex, ist zum Darling aller Retro-Spieler avanciert: Vectrex war das System, das man sich als Kind gewünscht, aber nie gekriegt hat, weil es zu teuer war. 1982 kam es als einzige Konsole mit eingebautem Monitor auf den Markt. Der Clou dieser Mini-Arcade war jedoch, dass der Bildschirm nicht auf Pixel (wie beim Fernseher), sondern auf Vektoren beruhte. Rassiermesserscharfe Linien können auf Vektorbildschirmen ohne Rasterpunkte rasend schnell skaliert werden. Diese Technik wurde bei den Über-Klassikern in den Spielhöllen, wie Tempest, Space Wars & Asteroids, verwendet. Aus Kostengründen entschied MB sich für einen schwarz-weiß Bildschirm, wollte jedoch auch Farbe mit ins Spiel bringen. Zu jedem Game gab es eine farbige Folie, die man vor dem Bildschirm einklemmen konnte, was den Spielen zu einer einzigartigen Ästhetik verhalf. Kurzum: Vectrex war abstrakt-modernistischer Funk.
Ein Vierteljahrhundert später ist der Vectrex immer noch präsent und lebendiger denn je. Tom Sloper, der einst für den Vectrex die Killer-Spiele Spike und Bedlam programmierte, und seitdem für Activision rund 80 Spiele für jedmögliche Plattform designt hat, gibt sich im Gespäch erfreut:
"Meine alten Vectrex-Ära Kollegen und ich sind verblüfft, daß es nun eine blühende Community von Vectrex-Fans gibt, die sogar neue Spiele und Cartridges entwickeln."
Dies ist nicht selbstverständlich. Die Computer- und Entertainmentbranche lebt von ihrem Gedächtnisverlust und zehrt von den Verheißungen der Zukunft. Alle 16 Monate verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit der Prozessoren, die Speichermöglichkeiten von digitalen Medien sind nahezu unbegrenzt. Man sollte meinen, es seien wunderbare Zeiten für die Bewahrung unseres zivilisatorischen Outputs. Weit gefehlt. Die ranzigen Game-Cartridges und obskuren Konsolen, die auf Flohmärkten verramscht werden, können als Metapher für das drohende Informationdesaster gelesen werden. Denn mit dem Paradigmenwechsel vom Atom zum Bit wird jegliche Information digital abgespeichert. Ohne das entsprechende Lesegerät bleiben diese bits für uns aber undecodierbar.
Doch wie lange sind diese abgespeicherten Reihen von 1 und 0 überhaupt "haltbar"? Anfang des Jahres erschien eine von der Industrie gesponsorte Studie des National Media Instituts in St. Paul, die die Lebenserwartungen von digitalen Speichermedien untersuchte und die Mär der unbegrenzten Speicherung beendete. Bei Zimmertemperatur kann man bei Magnetbändern von einer Lebensdauer von knapp 20 Jahren ausgehen, die der CD-Roms variiert zwischen 10-50 Jahren. Aber selbst wenn die Magnetbänder noch funktionieren, so fehlen oft die dafür erforderlichen Abspielgeräte, die längst von der beschleunigten Entwicklung auf den Silikonfriedhof ausgespuckt wurden.
"Nimm eine typisches Enzyklopädie-Programm, das einst für Windows 2.0 programmiert wurde", beschreibt Tom Sloper die eher alltäglichere Situation, "und man benötigt einen Computer mit Windows 2.0 mit dem richtigen Prozessor und den passenden Audio und Video-Karten mit den dazugehörigen Treibern, um überhaupt diese CD-Rom benutzen zu können."
Ansätze von Strategien, wie man mit obsoleter Hardware und Software verfahren soll, lassen sich überall auffinden. Doch finden sich die ausgereiftesten Modelle in der Videogame-Community, die vielleicht nur ihre Kindheitserinnerungen erspielen wollen, dabei jedoch eine Blaupause für den generellen Umgang mit obsoleten Daten entwickeln. Es sind die Akteure, die liebevoll alte Manuals einscannen, den Source Code der Spiele und noch das kleinste Detail des Cartridgedesigns ihrer Herzensplattform ins Netz uploaden. Sie stellen eine Infrastruktur bereit, die es auch dem 21-jährigen Londoner Andrew Coleman ermöglicht, ein neues Vectrex Game namens "Spike goes Skiing" (Spike war der Mario des Vectrex) zu programmieren:
"Es ist großartig, daß die Leute versuchen, die 'Videogame-Kultur' zu dokumentieren und am Leben zu erhalten. Die Archive im Netz verfügen über nahezu jedes Spiel für jedes classic system."
Und was ist mit der Hardware? Falls der Vectrex nicht schon vor Überbelastung im Kinderzimmer mit dem ET-Poster an der Wand krepierte, so werden für die Maschinen heute horrende Summen gezahlt. "Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mikrochips liegt bei 50 Jahren; danach ist soviel Silikon oxidiert, daß der Chip unbrauchbar ist," so Andrew, und prophezeit munter weiter:
"In 40 Jahren gibt es vielleicht weltweit nur eine Handvoll von funktionierenden Vectrex-Konsolen... Die Emulatoren-Szene ist eigentlich die einzige Hoffnung, daß die Games überleben. Es gibt mittlerweile Emulatoren für den PC, mit denen man jedes klassische Game auf einem Standard-Computer spielen kann. Die Emulatoren und die Game-ROMs können leicht abgespeichert und auf die kommenden Medien der Zukunft transferiert werden. Es sollte also keine Gründe geben, weswegen diese Games verloren gehen...Es gibt tausende von Spiele, in denen viel Arbeit gesteckt wurde - ich möchte nicht, dass all diese Arbeit einfach verloren geht."
Mit dem Verlust von obsolet gewordenen digitalen Daten beschäftigt sich auch der amerikanische Computerwissenschaftler Jeff Rothenberg am renommierten Think Tank Rand; bereits 1992 schlug er die Verwendungen von Emulatoren vor "as a way of retaining the original meaning, behavior, and feel of obsolete digital documents." Und fühlt sich heute von dem Siegeszug der DIY-Videogame-Emulatoren bestätigt:
"Ich betrachte die Verwendung von Emulatoren in der Videogame-Community als ein "natural experiment". Es zeigt, daß der Ansatz "Emulator" für die Bewahrung und Verwendung von digitalen Daten funktionieren kann."
Also: Von old school Videogames lernen, heißt bewahren lernen.
Ich denke die Vectrex-Community zeigt uns, daß mit der Hingabe und der Zusammenarbeit zwischen Leuten mit ähnlichen Interessen alte Hard- und Software nicht aussterben.
ŽTom Sloper
Links:
Newsgroup: rec.games.vectrex
Homepage von einem Vectrex-Programmierer
Konferenz über die Obsoletheit digitaler Daten
Jörg Koch ist Journalist und lebt in Berlin.