Ding, Dong The Witch is Dead
Die Freude über die nun unausweichliche Wahlniederlage Donald Trumps ist in den USA groß und auch berechtigt. Für liberale und progressive Kräfte ist es aber ein Pyrrhussieg
Zunächst, dreht man einmal die gerade übliche Betrachtungsweise auf den Kopf, dann wird deutlich, wie ärgerlich diese Niederlage für Donald Trump und seine Getreuen sein muss. Joe Biden ist ein märchenhaft schlechter Kandidat. Er erweckt keine irgendwie messbare Euphorie im eigenen Lager. Ein Faktum, das üblicherweise Demokraten bei Wahlen scheitern lässt. Biden ist zudem wirklich sehr alt und seine Ausdrucksweise und Ansichten verdienen oft das Prädikat "drollig".
Das Fossil Joe Biden
In vielen entscheidenden Punkten kann Biden sich von Donald Trump nur ungenügend absetzen. Die Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe Joe Bidens sind zwar mit den nachgewiesenen Fällen sexualisierter Gewalt Donald Trumps kaum zu vergleichen, es spricht allerdings nicht unbedingt für die personelle Ausstattung der US-Demokraten, ausgerechnet Joe Biden aufzustellen, der die Gewohnheit hat (oder hatte?), fremde Frauen ungefragt von hinten zu umarmen und an ihren Haaren zu schnuppern.
Schwerer wiegt das Abstimmungsverhalten des Senators Joe Bidens. Er hat dafür gesorgt dass die US-Bürger in unentrinnbarer Schuld gegenüber den Kreditkartenunternehmen bleiben müssen, indem ihnen die Möglichkeiten zum Privatkonkurs enorm eingeschränkt wurden. Er hat mit Inbrunst gegen jede Ausweitung der Sozialversicherung gekämpft, als braver Agent der Privatisierung. Außerdem lautet eine beliebte Quizfrage: Welcher der drei letzten Präsidenten der USA hat den Vermögenden im Land die größten Steuererleichterungen geschenkt: George W. Bush, Donald Trump oder Barack Obama? Die Antwort lautet letzterer, weil Vizepräsident Joe Biden gemeinsam mit dem berüchtigten republikanischen Mehrheitsführer im Senat Mitch McConnell jene Steuererleichterungen, die Bush nur zeitweilig durchsetzen konnte, dauerhaft gemacht hat. Eine blamable Bilanz, die demokratische Politiker geflissentlich leugnen.
Joe Biden wurde im Wahlkampf immer nur dann energisch, wenn es darum ging, sich von progressiven Agenden abzugrenzen. Nein, mit ihm wird es keinen "Green New Deal" geben, er sei kategorisch gegen eine staatliche Krankenversicherung nach europäischem Vorbild (die übrigens immer das Ziel von Franklin D. Roosevelts Reformen gewesen wäre), er wolle den Mindestlohn nicht anheben und er habe fest vor, das Militär und insbesondere die wegen ihrer rassistisch motivierten Gewalt in Kritik geratene Polizei noch stärker zu finanzieren als Trump. Der wichtigen Forderung des "Defund the Police" der "Black Lives Matter"-Bewegung wurde damit eine Absage erteilt.
Von dem patriarchalen und übergriffigen Umgang mit Frauen, über die seltsame Ausdrucksweise (Joe Biden benutzt Redewendungen, die zur Zeit von James Dean als up-to-date galten), bis hin zur braven Wahrung der Interessen von Finanzindustrie und des großen Geldes, darf summiert werden, dass Joe Biden im Herzen ein Republikaner der 1980er Jahre ist und somit ein exquisit schlechter Kandidat für die Demokraten im Jahr 2020 war. Biden wäre somit für jeden Republikaner leicht schlagbar gewesen.
Schlimmer noch aus Sicht der Republikaner: Donald Trump hat im Amt eigentlich nicht viel anderes gemacht als Wahlkampf. Vom ersten Tag im Weißen Haus lud er zu riesigen Kundgebungen und schien auf nichts anderes als seine Wiederwahl fixiert zu sein. Er hätte Joe Biden leicht "packen" können, indem er lediglich hätte aufzeigen müssen, wie ungeeignet dieser als Reformkandidat ist und lediglich "more of the same" im Gepäck hat. Dies gelang Trump nicht - und das hat er nur sich selbst zuzuschreiben.
Das Scheitern des orangefarbenen Monsters
Donald Trump hat mehr als 70 Millionen Stimmen auf sich vereinen können und damit das beste Ergebnis erzielt, das je ein Präsident bei seiner Wiederwahl erreichen konnte. Stolz posaunte Trump diese Zahl über Twitter hinaus und vergaß dabei zu erwähnen, dass ihm dieser Erfolg nichts nützt, weil Joe Biden mindestens vier Millionen Stimmen mehr hat. Auch führt Biden in allen Swingstates uneinholbar, weshalb alle Träume einer Wahlanfechtung unsinnig sind.
Die Situation 2020 ist nämlich mit jener im Jahr 2000 nicht zu vergleichen. Damals entschied ein einziger Staat (Florida) über den Ausgang der Wahlen und George W. Bush lag mit nur gut 500 Stimmen vor Al Gore in Führung. Heute liegt Biden in mehreren Staaten, die alle Trump gewinnen müsste, mit zehntausenden Stimmen in Führung. Selbst wenn es Trump gelänge, Nachzählungen zu erwirken, dann würden ihm diese - im besten Fall - einige hundert Stimmen einbringen. Von Rechtsexperten werden diese Versuche deshalb als "langweilig" charakterisiert, weil sie komplett aussichtslos sind.
Es zeigt sich im Untergang deutlich die Schwäche des Trumpismus. Wenn die Wahlanfechtung überhaupt noch eine geringe Chance auf Erfolg haben sollte, dann ließe sich dieser Kampf sicherlich nicht vom Golfplatz aus führen. Aber genau von dort aus ließ Trump samstags verkünden, er wolle den Kampf am Montag aufnehmen. Auch verfügt das Trump-Team weder über entsprechende Kompetenzen noch die nötigen finanziellen Ressourcen. Der Kampf um Florida wurde im Jahr 2000 mit Hundertschaften an Juristen geführt und brachte die Republikaner an den Rand des Bankrotts. Heute hingegen hält einzig Trumps getreuer Anwalt Rudolph Giuliani eine seltsame Rede in Pennsylvania, die so klingt, als wolle er sich für eine Rolle im nächsten Borat-Film bewerben. Das ist alles zu wenig und zu spät.
Trump verliert die Wahl, die er hätte gewinnen müssen, weil er zwei entscheidende Faktoren auf seiner Seite hatte. Allen voran die Wirtschaft. Der Wirtschaftsnobelpreisträger und New York Times-Kolumnist Paul Krugmann oder der ehemalige US-Arbeitsminister Robert Reich konnten sich die Finger wundschreiben und immer wieder erklären, warum die "Trickle Down-Theorie" nicht stimmt, die behauptet, das Geld, das man den Reichen per Steuererleichterung lässt, komme den Armen zu Gute. Am Ende sahen die Armen nur den wirtschaftlichen Aufschwung und die hohe Beschäftigung. Diese lieferten Argumente für Trump, die akademische Widerlegung hingegen, die aufzeigte, dass Trump dafür nicht verantwortlich war, interessierte niemanden.
Der zweite Faktor für Trump war der von ihm bediente strukturelle Rassismus. Dieser gilt unausgesprochen in konservativen Kreisen als eine Form der Notwehr. Die Republikaner haben seit Jahrzehnten erkannt, dass der demografische Wandel im Land gegen sie läuft. Sie können im Lager der Farbigen und Migranten nur schwer punkten. Es mag bei Exil-Kubanern und Exil-Venezolanern ein wenig mit antikommunistischer Kalte-Kriegsrhetorik glücken, aber die Erfolge sind überschaubar. Ginge man auf die neue Lebenswirklichkeit zu und würde den Schwarzen und Latinos ein Angebot machen, dann würde dies zuverlässig die Weißen in den ländlichen Bezirken der USA abschrecken, die die Basis der Republikaner bilden.
Donald Trump sprach - in seiner unnachahmlichen Art - die daraus folgende Taktik der Republikaner offen aus: Wenn alle wählen dürfen, dann gewinnen die Republikaner keine Wahl mehr. Das bedeutet, es muss den migrantischen Gruppen mit allen Mitteln die Wahl erschwert werden, damit sich die kleiner gewordene konservative weiße Mehrheit im Land durchsetzen kann. Die "Erfolge" sind hier beträchtlich. Der Kampf um Florida aus dem Jahr 2000 zeigt bereits, mit welcher Schläue und Ruchlosigkeit die Republikaner vorgehen, um Farbige von der Wahl abzuhalten.
Die Wirtschaftslage und das sorgfältig installierte Regime eines strukturellen Rassismus hätten somit Trump den Sieg sichern müssen. Er unterlag aber, weil er im Kampf gegen das Corona-Virus viel zu offensichtlich frivol und inkompetent vorgegangen war. Dies führte zu einer enormen Welle "negativer Mobilisierung". Millionen an demokratischen Wählern, die ansonsten aufgrund des lahmen Kandidaten Joe Biden zu Hause geblieben wären, zahlreiche Unabhängige und auch einige republikanische Sympathisanten wählten Biden einzig um endlich die Schreckgestalt Trump loszuwerden, der mitverantwortlich für den Tod von bald 250.000 Virus-Opfern in den USA ist.
Was passiert nun?
Die erste Rede des "President Elect" Joe Biden lässt nur wenig Raum für Hoffnungen. Zunächst bietet er ein Übermaß an Wohlfühlrhetorik und will nun die Einheit des Landes wiederherstellen. Dem stehen die 70 Millionen Amerikaner entgegen, die Trump gewählt haben und denen eine gewisse Schmerzunempfindlichkeit gegenüber Skandalen, Lügen und Verschwörungstheorien attestiert werden darf.
Einen Bürgerkrieg muss man sich von den Trump-Anhängern nicht erwarten. Die allermeisten werden Biden zähneknirschend akzeptieren, so wie sie Obama akzeptiert haben. Umdenken werden sie aber nicht. Und Joe Biden verfügt auch nicht über die Instrumente, sie dazu zu bringen, indem beispielsweise dem Rassismus im Lande der Zahn gezogen würde.
Mit Kamala Harris zieht erstmalig eine Frau, eine Tochter zweier migrantischer Eltern und eine Farbige als Vizepräsidentin ins Weiße Haus. Das ist ein enormer Erfolg. Nur müsste sie nun die falsche Erzählung überwinden, dass ein emanzipatorischer Sieg der Frauen und Farbigen zugleich eine Niederlage der weißen Männer ist. Dies kann einzig gelingen, wenn Biden und Harris spürbare Verbesserungen der Lebensverhältnisse aller im Lande erreichen, damit dem Kampf "Wir gegen die" die Basis entzogen würde.
Mit Sonntagsreden wird dies nicht gelingen. Biden und Harris bleiben aber betont vage mit ihren Ankündigungen. Sie verharren lieber im sicheren Terrain, eine bessere Antwort auf das Covid-Virus zu bieten. Die Latte kann kaum niedriger liegen, denn auch eine Horde Schimpansen würde wohl klüger gegen die Pandemie vorgehen, als die Trump-Administration (beispielsweise käme kein Primat auf die Idee, Bleichmittel zu trinken…).
Schlimmer wiegt die Ankündigung Joe Bidens, den Republikaner nun die ausgestreckte Hand zu reichen. Biden war sein Leben lang um Ausgleich zwischen den Lagern bemüht. Dies ist zunächst eine löbliche Einstellung. Allerdings verkennt er dabei die aktuellen Verhältnisse. Trump hat die Republikaner weniger verändert, als gerne behauptet wird, er kann eher als ein Symbol des Wandels dieser Partei gelten. Die Republikaner unter Newt Gingrich oder aktuell unter Mitch McConnell oder Lindsey Graham gehen keine Kompromisse im US-Kongress mehr ein. Jedes Entgegenkommen wird herablassend gebilligt und niemals mit eigener Kompromissbereitschaft erwidert.
Das Drama um die Besetzungen des Supreme Courts haben dies deutlich gemacht. Hätte Hillary Clinton die Wahl 2016 gewonnen, dann hätten die Republikaner, nach eigener Ankündigung, Obamas Höchstrichter-Kandidaten Merrick Garland eben vier Jahre lang verhindert, während sie unter Trump drei eigene Kandidaten unter höchst zweifelhaften Umständen durchboxten.
Diese Republikaner finden Demokratie gut, sofern sie ihnen nützt. Geht die Abstimmung in die für sie falsche Richtung, dann suchen sie eben nach anderen Wegen. Das Besondere an Trump war, dass er diese Haltung mit einer beachtlichen "Natürlichkeit" verkörperte. Im Grunde stimmen die Parteiführung und Trump in dieser Sache überein. Für die Demokraten besteht das Problem beim Kampf gegen Monster, nicht selbst zu Monstern werden so wollen. Nur wenn jede Güte und Kompromissbereitschaft vom Gegner als Schwäche ausgelegt wird, dann wird man wohl irgendwann kämpfen müssen.
Ein Kampf ohne echte Mehrheit?
Dazu ist Joe Biden sicherlich nicht in der Lage. Ihm fehlen dazu auch die parlamentarischen Voraussetzungen. Nach der "Blue Wave" bei den Zwischenwahlen 2018, hat sich die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus wieder verringert. Insbesondere die konservativen Demokraten verloren ihre Rennen. Im Senat geschah das Unglaubliche, dass die Republikaner ihre Mehrheit wohl verteidigen konnten (allenfalls ein sehr unwahrscheinliches 50:50 Unentschieden wäre durch die Nachwahlen im konservativen Georgia noch zu erreichen).
Die Senatoren McConnell und Graham wurden für ihr unverschämtes Verhalten von den Wählern im eigenen Bundesstaat nicht bestraft. Deswegen wird der Mehrheitsführer im Senat McConnell als eine Art Nebenpräsident agieren können, und er hat Biden schon mehr als einmal über den Löffel balbiert.
Die Hoffnungen progressiver Kräfte, wie beispielsweise die Ernennung Bernie Sanders zum Arbeitsminister und mit ihm die Umsetzung eines neuen "New Deal", sind mit der Senatsmehrheit der Republikaner fromme Wünsche. Die Gefahr besteht, dass Joe Biden bräsig und ungeschickt regieren und am Ende der vier Jahre nichts erreicht haben wird. Dies lädt zu schlimmen Befürchtungen für 2024 ein.
Die letzten republikanischen Präsidenten - mit Ausnahme von Georg Bush senior - können als Eskalationsstufen angesehen werden. Reagan galt bereits als intellektueller Aussetzer und als unempfindlich gegenüber rationalen Argumenten, George W. Bush steigerte dies nochmals und Trump darf als bisheriger Höhepunkt betrachtet werden. Warum sollten die Republikaner diese Linie nicht einfach weiterverfolgen?
Zwar steht mit Mitt Romney ein "gewöhnlicher" Konservativer stets in den Startlöchern, aber wird er sich durchsetzen? Der Erfolg des Trumpismus, insbesondere was die Begeisterung an der Basis betrifft, scheint evident. Mit Tom Cotton scharren waschechte Protofaschisten in den Startlöchern. Dies könnte dazu führen, dass sich die Öffentlichkeit 2024 noch Trump zurückwünschen wird, so wie 2016 dank Trump George W. Bush plötzlich "normal" erschien.
Trotz dieser trüben Aussichten darf man nicht unter den Tisch fallen, dass Joe Biden und Kamala Harris nun zunächst eine enorme Verbesserung gegenüber Donald Trump und Mike Pence darstellen. Die Tränen des farbigen CNN-Reporters Van Jones sind authentisch, als er kaum seine Erleichterung darüber beschrieben konnte, dass Trump das Weiße Haus verlassen muss. Donald Trump hat es für viele Menschen in den USA sehr viel schwerer gemacht und der durch ihn beförderte Alltagsrassismus war kaum aushaltbar schmerzhaft.
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