Diskussion über Folter in den USA
Nach dem Abklingen der hypothetischen Mediendiskussion hat sich US-Präsident Bush die Möglichkeit eingeräumt, Terrorprozesse gegen Ausländer vor dem Militärgericht führen zu können
In den Wochen nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon nahmen die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden rund 1.000 Verdächtige fest, die mit den Terroristen in Verbindung stehen könnten. Doch obwohl man schnell die vier Piloten der gekidnappten Flugzeuge identifizieren konnte, kommt das FBI nicht so recht weiter: Weil zwingende Hinweise auf weitere Drahtzieher fehlen und die Angst vor weiteren Anschlägen gleichzeitig bestehen bleibt, wird nun diskutiert, ob man den einsitzenden vermeindlichen Übeltätern nicht anderweitig auf die Sprünge helfen soll: mit Foltermethoden.
Doch bei der Debatte, die sich inzwischen auch auf Europa ausgebreitet hat, wird in der Regel eines vergessen: Dass es sich dabei um ein rein hypotetisches Konstrukt handelt, das allein von den Medien in die Welt gesetzt worden ist. Es fing an mit einer Kolumne in der Politzeitschrift Newsweek, in der Johnathan Alter bekannte: "In diesem Herbst der Wut findet sich sogar ein Liberaler hin und wieder mit dem Gedanken an Folter“. Da gab es bei den anderen Medien kein Halten mehr.
"Was ist denn legal möglich?“ fragte etwa der konservative Fox News-Starmoderator Bill OŽReilly einen angeblichen Spezialisten, den pensionierten Major Eric Haney. "Kann man ihnen Essen verweigern? Sie ohrfeigen?“ Der Angesprochene schlug vor, man solle doch Sicherheitspersonal aus den Ländern zu Rate ziehen, aus denen die Verdächtigen kommen. Auch Methoden, um ihren "Biorhythmus durcheinanderzubringen“ könnten erwogen werden.
Auch bei CNN wurde die skurrile Debatte mehrfach aufgegriffen. Die Gesprächspartner waren freilich keine Regierungsleute, sondern häufig billig eingekauftes Füll-Material für die hin und wieder allzu langen Sendezeiten der 24-Stunden-Kanäle: nämlich Journalisten und Kolumnisten, die auf diese Weise ihre persönliche Meinung zur Folter in den Äther blasen durften. Bei der regierungstreuen und mitunter unerträglich patriotischen Stimmung, die derzeit in den Medien herrscht, kann dies fast als Fall von vorauseilendem Gehorsam gedeutet werden. Allerdings, so muss man zugunsten der Drahtzieher ebenfalls erwähnen, wurde der Einsatz von Folter in der Mehrzahl als fragwürdiges Mittel gesehen, das verfassungsrechtlich in den USA gar nicht zulässig ist.
Jim Naurekas, einer der Vertreter der linken, medienkritischen Organisation FAIR in New York, gehört sicher nicht zu denjenigen, die die Regierung und ihren Verantwortungsbereich schnell von der Angel lässt. Dennoch hält er diese Debatte für nichts anderes als eine klug eingefädelte Medienfinte. Es gebe in der bisherigen Berichterstattung "keinerlei Hinweise darauf, dass die Ermittlungsbehörden selbst darüber reden, Foltermethoden einzusetzen“, sagt er. Er räumt ein, dass es natürlich wichtig wäre, dass die Medien darüber diskutieren, wenn es denn eine Initiative der Behörden gewesen sei. Aber was zur Zeit geschieht, ist doch nur, dass diverse Medienvertreter glauben, dies sei etwas, worüber die Regierung nachdenken müsse, also lancieren sie das Problem selbst“, meint Naurekas. Und sei die Debatte erst einmal in der Welt, ließe sich auch schnell irgendein "Experte“ finden, der darüber spricht. "Aber das ist nicht dasselbe, wie über etwas zu berichten, was tatsächlich passiert ist.“
Mangels offizieller Stellungnahmen, die Foltermethoden befürworten, fallen auch die Statements der Menschenrechtsorganisationen eher theoretisch aus. Tom Malinowski von Human Rights Watch in Washington sagte in einem Interview mit Spiegel Online, hier werde “die typische Ethik-Frage aus dem College gewälzt: Wenn jemand eine Atombombe mit Zeitzünder in Manhattan versteckt hat und schweigt, sollte man ihn foltern dürfen?“ Dies sei wohl eine "interessante moralische Frage, aber ich weiss nicht, ob daraus je eine ernst zu nehmende politische Diskussion wird“. Malinowski warnte gar davor, dass Gerüchte über Amerika im Ausland schnell zu Tatsachen werden. Er glaubt, dass wegen der großen Aufmerksamkeit, die die Gefangenen genießen, es sich das FBI nicht erlauben könne, Misshandlungen zuzulassen. "Die Wahrscheinlichkeit ist immer noch höher, dass ein gewöhnlicher Krimineller auf einer Polizeiwache zusammengeschlagen wird als ein Terrorist in den Händen des FBI.“
Nach wie vor möglich ist natürlich, dass das FBI die Diskussion als willkommenes Vehikel sieht, die Stimmung im Lande zu testen, um im Nachhinein Fälle von Misshandlungen zu rechtfertigen. Doch auch dies bleibt eine hypothetische Frage. Jim Naurekas glaubt, dass in diesem Fall allein die Medien die Verantwortung tragen. "Wenn sich heraustellt, dass ein Reporter etwas aufs Tablett bringt, was in der Öffentlichkeit gar nicht diskutiert wird, dann promotet er lediglich seine persönlichen Interessen“, warnt er. Das sei etwas, wogegen die amerikanischen Journalisten "eigentlich allergisch sind“, sofern es sich um seriöse Medien handelt. "Dass sie über etwas Selbstfabriziertes reden, dem in der Realität nichts gegenüber steht, das ist schon eine radikale Abweichung von der Art, wie man in diesem Land üblicherweise arbeitet.“
Inzwischen hat US-Präsident Bush eine Anordnung als militärischer Oberbefehlshaber erlassen, um Prozesse gegen Terroristen vor einem Militärgericht in den USA oder im Ausland führen zu können. Eine Zustimmung des Kongresses ist dafür nicht notwendig. Bush kann selbst entscheiden, wem der Prozess vor einem Militärgericht gemacht werden soll. Betreffen würde dies Ausländer. Sinn des Ganzen ist vermutlich vornehmlich, Beweismaterial oder Zeugen vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit könnten womöglich dann aber auch Maßnahmen gegenüber den Verdächtigen wie Folter oder andere Methoden zur Erpressung von Geständnissen bleiben. Überdies könnte leichter die Todesstrafe verhängt und kurz nach dem Urteil ausgeführt werden. Die vor einem Militärgericht Angeklagten können sich auch auf einige der von der Verfassung garantierten Rechte nicht berufen. So ist es nicht möglich, nach einem ergangenen Urteil eine Berufung einzulegen.