Ditib-Spitzelaffäre: Wie viel Spielraum gibt die Bundesregierung?
Der Dachverband der türkisch-islamischen Moscheegemeinden steht im Verdacht, Erdogans Krieg gegen die Opposition in Deutschland zu unterstützen
Die Ditib-Spionage-Affäre hat größere Dimensionen, als bisher an die Öffentlichkeit durchgedrungen ist. So war bislang vor allem von Bespitzelungen die Rede, die der Gülen-Bewegung galten, wie dies zum Beispiel ein Bericht über die Diyanet-"Spitzel-Verordnung" vom 5. September 2016 herausstellt.
Die FAZ zitiert dagegen heute aus einem Verfassungsschutzbericht, wonach in der Verordnung vom 5. September festgelegt würde, dass Diyanet-Bedienstete im Ausland dazu verpflichtet seien, "über Aktivitäten von Gruppen wie der Gülen-Bewegung, der PKK und dem sogenannten Islamischen Staat, die als terroristisch bewertet werden, Bericht zu erstatten".
Inzwischen dürfte bekannt sein, welch' weitgefasstes Suchraster Verbindungen zur PKK ergeben. Mit dabei sind dann auch Verbindungen zur linken kurdischen Partei HDP und zu anderen oppositionellen Gruppierungen, die von Ankara mit den "Terroristen der PKK" assoziiert werden. Die Festnahme des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel liefert für diese Vorgehensweise gegen missliebige Kritiker der Regierung Erdigon ein anschauliches Beispiel.
Der Partner der Bundesregierung bei der Islam-Konferenz
So kommt man nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die türkische Regierung über Mitarbeiter der Religionsgemeinschaft Ditib nicht nur Gülen-Anhänger, sondern auch politische Oppositionelle in Deutschland ausspioniert. Der Partner der Bundesregierung bei der Islam-Konferenz und beim Religionsunterricht wird so zum Instrument einer "innertürkischen Feindpolitik", die mit dem deutschen Grundgesetz wohl kaum zu vereinbaren ist.
Die Berliner Regierung macht in dieser Angelegenheit nicht gerade eine entschlossene Figur. Sie habe erst spät reagiert und lasse es bis heute an Entschiedenheit fehlen, wirft ihr der Grüne Volker Beck vor. Als aktuellen Beleg dafür verweist Beck darauf, dass Ditib weiterhin von der Berliner Regierung Finanzmittel erhält und auch weiterhin an der Islamkonferenz teilnehmen wird (vgl. auch DITIB auch 2017 wichtige Säule der Deutschen Islamkonferenz).
"Mit Ditib im Gespräch bleiben"
Dokumentiert ist die Haltung der Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion von Mitte Februar. Darin wurde nach Konsequenzen und Hintergründen der "Ditib-Diyanet-Spionage-Affäre" gefragt.
Aus den Antworten ergibt sich das Bild einer zwiespältigen Beziehung, der es an Klarheit fehlt, anders gesagt: Es gibt viel Unausgesprochenes. Zur Zwiespältigkeit: Bei Punkt 28 (siehe S.23 des PDF) macht die Bundesregierung deutlich, dass die "Einflussnahme oder Instrumentalisierung des Ditib durch die Türkei nicht hinnehmbar" sei, zugleich ist es aus Sicht der Bundesregierung "gerade in der derzeitigen Situation wichtig, auch mit dem Ditib im Gespräch zu bleiben".
Die Haltung ist bekannt, auch bei den größeren Streitpunkten mit der Türkei heißt die Maxime "im Gespräch bleiben" und die Regierung scheut vor Konsequenzen zurück, welche die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei in Gefahr bringen könnten.
Im Fall der Imam-Spionage-Affäre könnte die Befürchtung dahingehen, dass ein offener Konflikt mit der Ditib eine Auseinandersetzung mit der Religionsbehörde Diyanet (Präsidium für Religiöse Angelegenheit) zur Folge haben würde. Die Diyanet-Führung ist von Erdogan nominiert.
Deren Einfluss auf die türkische Gemeinde via Ditib ist beträchtlich, hierarchisch zeigt sich ein Abhängigkeitsverhältnis. Die Vorgesetzen sitzen bei der Religionsbehörde in Ankara. Wie bei der Flüchtlingsvereinbarung hat die türkische Regierung ein leichtes Spiel auf den Zusammenhang zwischen Ditib und dem inneren Frieden in Deutschland hinzudeuten. Drohungen müssen gar nicht deutlich ausgesprochen werden, um zu wirken.
Wie viel lässt sich die Berliner Regierung ihre zurückhaltende Haltung kosten, welche Spielräume bietet man damit der türkischen Regierung? Aus der Antwort der Regierung auf die kleine Anfrage geht hervor, dass die deutschen Behörden sich nicht wirklich durch Eigeninitiative bei der Aufklärung der Ditib-Spionage-Aktivitäten hervorgetan haben.
Späte Ermittlungen gegen Ditib-Aktivitäten
Ermittlungen wurden erst angestrengt, nachdem die Vorwürfe, dass Ditib-Imame in ihren Gemeinden als Spitzel der türkischen Regierung aktiviert wurden, über Medienberichte bekannt geworden waren. Zum Beispiel durch einen Bericht von Deniz Yücel Anfang Dezember 2016: Türkische Imame spionieren in Deutschland für Erdogan.
Zwar hätten Bundessicherheitsbehörden schon zuvor, nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016, Hinweise auf eine mutmaßliche Ausforschung von Anhängern der Gülen-Bewegung erhalten, heißt es in der Antwort der Bundesregierung, von konkreten Verdachtsmomenten des Einsatzes von Ditib-Imamen zum Ausspionieren regierungskritischer Muslime habe man erst über die Medienberichterstattung ab 8. Dezember erfahren. Das genannte Datum ist das Erscheinungsdatum des oben verlinkten Yücel-Artikels.
Die Generalbundesanwaltschaft schaltete sich - Anfang Dezember, zunächst mit Beobachtungen - erst ein, nachdem Volker Beck eine Strafanzeige gestellt hatte und dazu Dokumente wie den eingangs genannten Spitzelaufruf vom September 2016 beilegte. Ab 20. Januar wurde das Bundeskriminalamt mit den polizeilichen Ermittlungen betraut.
Der Fall weitete sich aus
In der Folge taten sich ein paar bemerkenswerte Unzulänglichkeiten auf, die sich in der Antwort der Bundesregierung aufzeigen. Der Fall weitete sich aus. Mindestens 13 Imame in Düsseldorf, Köln und München sollen Berichte über 33 Gemeindemitglieder und Lehrer mit angeblichem Gülen-Bezug an die Diyanet-Behörde in Ankara weitergeleitet haben.
Die Konsequenzen hielten sich aber in Grenzen. So scheiterte die Verhaftung von sechs Beschuldigten am Bundesgerichtshof (BGH) und, wie die FAZ hervorhebt, "spionageverdächtige Imame der Ditib konnten sich der Vernehmung und Strafverfolgung in Deutschland durch Flucht in die Türkei entziehen".
Personen, die auf einer Liste stehen, die von den Imam-Spionen an die Religionsbehörde Dyanet gesendet wurde, "sollten auf keinen Fall mehr in die Türkei reisen und auch nicht mehr in das türkische Konsulat gehen. Es könnte sein, dass man Ihre Reisepässe einzieht", warnt die Kriminalpolizei Betroffene bei sogenannten Gefährderansprachen durch die Kriminalpolizei (siehe: Ditib-Gemeinden: Nach Bespitzelungen gibt es plötzlich viele "Vaterlandsverräter").