Doch keine Hamburger Terrorzelle!

Zu diesem Schluss kam das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) in der vergangenen Woche - doch die Bundesanwaltschaft hält weiter tapfer dagegen

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Gegen die überraschende Freilassung des Angeklagten Abdelghani Mzoudi im Hamburger Al-Qaida-Prozess am Donnerstag vergangener Woche hatte die Bundesanwaltschaft (BAW) umgehend Beschwerde eingelegt. Das OLG beschäftigte sich eingehend damit und verwarf in seinen 10-seitigen Erläuterungen die Theorie der Bundesanwaltschaft, die Terroranschläge seien in Hamburg geplant und von dort aus durchgeführt worden.

In der Hansestadt habe es "keine selbständige, handlungsfähige terroristische Vereinigung" gegeben, so das Fazit der Richter. Vier Personen aus Hamburg seien laut Ermittlungserkenntnissen in die Organisation involviert gewesen, diese hätten aber die Befehle der Al-Qaida ausgeführt. Es sei nicht auszuschließen, dass sie ihre Bekannten, u.a. Mzoudi, bewusst "unwissend gehalten" hätten. Deshalb müsse der Angeklagte weiterhin auf freiem Fuß bleiben.

Am vergangenen Donnerstag wurde in dem Prozess Jürgen Maurer, ein Beamter des Bundeskriminalamts, verhört. Er war als Zeuge vorgeladen worden, um zu dem besagten BKA-Fax Stellung zu nehmen, aufgrund dessen Mzoudi in der Woche zuvor aus der Haft entlassen wurde (Fax vom BKA). Maurer bestätigte, dass dem BKA eine Aussage vorliegt, der zufolge Mzoudi entlastet wird. Fügte aber hinzu, dass diese Aussage nicht zwingend als Entlastung gewertet werde. Der Ermittlungsbehörde lägen nämlich Informationen vor, dass im Al-Qaida-Ausbildungslager in Kandahar auch das Verhalten bei Polizeibehörden auf dem Programm stünde. Die Teilnehmer würden darauf trainiert, beispielsweise durch Falschaussagen die Ermittlungsbeamten in die Irre zu führen. Ansonsten konnte Maurer nichts zur Aufklärung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten beitrage, da er dafür keine Aussagegenehmigung habe. Dem BKA läge auch belastendes Material über Mzoudi vor, das dürfe aufgrund der von den USA verhängten Nachrichtensperre jedoch nicht in den Prozess eingeführt werden.

Der Bundesgerichtshof entschied kürzlich gegen die Aufhebung dieses Sperrvermerks. Die Anwältin Mzoudis Gül Pinar hatte einen dahingehenden Antrag gestellt, um so doch noch eine Vernehmung des in den USA inhaftierten Ramzi Binalshibh zu ermöglichen. Der ebenfalls früher in Hamburg lebende Binalshibh hatte sich in einem Al-Dschasira-Interview als Cheforganisator der Anschläge vom 11. September geoutet (Wie ein schlechter Krimi). Eine Aufhebung der Sperre gegen den Willen der US-Behörden führe zu "nachhaltigen Störungen des Nachrichtenverkehrs, evtl. der politischen Beziehungen zu dem wichtigsten Bündnispartner", teilte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (VS), Ernst Uhrlau, in einem Schreiben an die Strafkammer mit. Das individuelle Interesse des Angeklagten stehe dem staatlichen Interesse gegenüber, hieß es in einem Brief aus dem Bundesinnenministerium (BMI) an das Gericht. In diesem Falle sei das Grundrecht des Angeklagten, z.B. auf ein faires Verfahren, nachrangig gegenüber dem "Wohl des Bundes".

Die Frage nach der Henne und dem Ei - oder: Wer hat bei den Anschlägen vom 11. September eigentlich wen assistiert? War der in Hamburg ausgebildete Ingenieur Mohammed Atta der Handlanger Osama Bin Ladins oder Bin Ladin der Gehilfe Attas? Diese Frage schien mit der OLG-Entscheidung auch in Hamburg im Sinne der "internationalen Wertegemeinschaft" entschieden. Diese hatte sich umgehend nach den Attentaten auf die Version mit Bin Ladin in der Hauptrolle festgelegt und wenig später Afghanistan bombardiert. Doch die Bundesanwaltschaft hält trotz allem tapfer weiter dagegen.

Unmittelbar nach der Aussage Maurers beantrage Bundesanwalt Walter Hemberger erneut die sofortige Inhaftierung Mzoudis. Obwohl sich dessen Verteidigung monatelang um die Vernehmung Binalshibhs bemüht und alle juristischen Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft hatte, beantragte der Bundesanwalt zudem die Vorladung der "Auskunftsperson". Außerdem die Vernehmung des Al-Dschasira-Journalisten, demgegenüber Binalshibh behauptet hatte, Organisator der Attentate zu sein. Und die Befragung eines Technikers einer britischen Telefongesellschaft, der zu dem Inhalt eines Sieben-Sekunden-Gesprächs befragt werden soll, das Mzoudi aus Afghanistan erhalten hat.

Eigentlich sollte bereits am vergangenen Freitag mit den Plädoyers begonnen werden, doch aufgrund der Beweisanträge Hembergers ist der weitere Verlauf des Prozesses ungewiss. Mzoudis Verteidigerin Pinar warf der Bundesanwaltschaft "Verschleppungstaktik" vor, weil diese wohl hoffe, doch noch irgendwo Beweise gegen ihren Mandanten herzaubern zu können, wie sie der Presse gegenüber äußerte. Der Vorsitzende Richter Klaus Rühle kündigte die Entscheidung über die Anträge Hembergers für den kommenden Dienstag an. Unterdessen wird sich der Bundesgerichtshof mit der Haftentlassung Mzoudis beschäftigen. Dieser war von der Bundesanwaltschaft nach der Ablehnung der Beschwerde gegen die Freilassung durch das OLG angerufen worden.