Donald Rumsfeld als Geburtshelfer der europäischen Identität
Old Europe strikes back?
Deutschlands und Frankreichs "Nein" zum Irak-Krieg hat die kriegsbereiten Falken Amerikas mächtig provoziert. Der altamerikanische Krieger Donald Rumsfeld versucht nun Europa zu spalten: Frankreich und Deutschland repräsentierten "old europe", während der andere Teil Europas die Zeichen der großen neuen Zeit amerikanischer Weltneuordnung begriffen habe. Doch das ist nur einer der vielen Höhepunkte für eine tief greifende Erosion der amerikanisch-europäischen Freundschaft, die zumindest während der Amtszeit dieses US-Präsidenten nie mehr die vormalige Qualität wiedererlangen kann. Unerträglich ist die unverhohlene Arroganz der Macht, die sich nur noch durchsetzen will, ohne völkerrechtliche Regeln respektieren zu wollen, diplomatische oder friedliche Lösungen zu erwägen und selbst ohne die eigene vordergründige Krisenlogik, wie es der Korea-Konflikt auch noch dem Frömmsten klar macht, zu beachten.
Europa ist den amerikanischen Welt-Marshalls gleichwohl zu tiefem Dank verpflichtet, weil unsere fragile Identität zwischen EU, NATO und partikularen Nationalinteressen durch die Hegemonialstrategie des amerikanischen Präsidenten jetzt eine historisch beispiellose Chance erhält. Bushs und Rumsfelds Nichtdiplomatie, zwischen der Achse des Guten und der Achse des Bösen nun auch noch eine dritte Achse der unzuverlässigen Kantonisten und diplomatischen Weicheier auszurufen, macht deutlich, wie weit die Hexenjagd gediehen ist.
" Now, you're thinking of Europe as Germany and France. I don't. I think that's old Europe. If you look at the entire NATO Europe today, the center of gravity is shifting to the east. And there are a lot of new members. And if you just take the list of all the members of NATO and all of those who have been invited in recently -- what is it? Twenty-six, something like that? -- you're right. Germany has been a problem, and France has been a problem." - Verteidigungsminister Rumsfeld auf der Pressekonferenz vom 22.1.2003
Ab jetzt ist, um die Formel von Carl Schmitt im Zeichen des amerikanischen Internationalismus zu aktualisieren, der Freund die Frage unserer eigenen Gestalt. Die von Amerika großzügig erweiterte Frontlinie hat sich tief in das europäische Selbstverständnis eingeschnitten. Und was EU, Euro und Brüssel nicht vermochten, George W. Bush und seinen Ölprinzen könnte es gelingen, die alteuropäischen Werte wiederzubeleben. Paul Virilio hat es auf den Punkt gebracht:
"Alter Kontinent? Da muss ich lachen. Es ist die Bush-Regierung, die einen altertümlichen Krieg führen will in einer Situation, die seit dem Attentat auf das World Trade Center mit dem Hyperterrorismus vor ganz neuen Herausforderungen steht."
Doch Rumsfelds - wie immer auch diesmal leicht durchschaubare - Propaganda ist nicht nur ein Bumerang mit Mehrfachsprengkörpern, geeignet, potenzielle Alliierte für diesen Krieg endgültig zu verlieren. Der so strategisch zweifelhaft operierende Verteidigungsminister fühlt sich längst so mächtig, dass seine globalen Betrachtungen inzwischen an der geopolitischen Krempe des Texanerhuts enden.
Denn die dritte Achse der Unwilligen bildet sich nicht nur im Herzen Alteuropas: Peking tendiert zur Position Frankreichs und Putin und sein Außenminister Igor Iwanow erkennen auch keinerlei Grund, den gewählten Weg der Waffeninspektionen zu verlassen. Selbstredend, dass auf Rumsfelds wunderlicher Weltkarte auch die arabischen Staaten wohl längst zu Alteuropäern mutiert sind.
Mit jedem weiteren Schritt in diesen begründungslosen Krieg wird Washington so unglaubwürdig, wie es selbst den seligen Freiheitskämpfern in Vietnam nicht gelungen ist. In dem von Fakten unberührten Gerede über die Isolierung nicht kriegsbereiter Staaten zeichnet sich alleine ab, dass sich Bushs Amerika mehr und mehr isoliert.
Bush wählte bisher die Rhetorik, es läge allein an Saddam Hussein die Chance wahrzunehmen, einen Krieg durch Kooperation und Abrüstung zu verhindern. Richtig ist, dass Bush selbst die Chance vertan hat, wenn er sie denn je hatte, die Welt von seiner Mission zu überzeugen. Trotz der Anmahnungen der UNO und zahlreicher Staaten präsentierte Washington die längst überfälligen Beweise für die Massenvernichtungswaffen des Irak nicht.
Die Geschichte könnte auch den bestrafen, der sie ignoriert
Die vorüber gehenden Versprechungen, hochbrisantes Geheimdienstmaterial vorzulegen, scheinen vergessen, seitdem es sich Washington auf der öligen Beweislastumkehr zum Nachteil des Irak gemütlich macht. Außer ein paar abgetakelten Chemiewaffensprengköpfen und den Aufzeichnungen eines irakischen Physikers zur Herstellung von Atomwaffen wurde bisher nichts Nennenswertes zu Tage gefördert, was den Namen einer Bedrohung verdient hätte. Rechtfertigen dieser bessere Militärschrott und ein paar nicht deklarierte Unterlagen, deren Relevanz nicht einmal geklärt ist, die präventive Kriegslogik, es sei fünf vor zwölf, um einen Angriff auf Amerika abzuwenden?
"If a government is unwilling to disarm itself, it is unreasonable to expect inspectors to do it for them" demaskiert jetzt Paul D. Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, das offizielle Verständnis Amerikas vom UNO-Auftrag. Washington hat die Waffeninspektionen offensichtlich nur als überflüssiges Vorspiel zu einem unabdingbaren Krieg gesehen. Mindestens ebenso bizarr bleibt die viel zu wenig erörterte Alogik des angekündigten Krieges, der Irak wäre laut den US-Generälen in einigen Tagen verteidigungsunfähig zu bomben, mit der gleichzeitig lauthals von Bush propagierten Gefährdung Amerikas durch eben diesen armseligen Feind. Die schrecklichste Waffe dieses Feindes in den Augen der Ölprinzen wäre es allein, den unstillbaren Öldurst zu bestrafen, indem die Quellen angezündet würden.
Nur eine travestische Vernunft, die sich der Logik der Macht so unterordnet, dass sie ihren Namen nicht mehr verdient, hat im panamerikanischen Weltbild noch eine Chance auf Gehör. Die USA will die ungetreuen Vasallen Deutschland und Frankreich nun auffordern, den Irak zu bezichtigen, den Uno-Sicherheitsrat zu missachten. Diese Strategie der offenen Demütigung, wenn sie denn aufginge, ist selbst in Zeiten der neuen amerikanischen Überheblichkeit ein fataler Schritt: Denn auch eine transatlantische Freundschaft, die nur politischem Kalkül folgte, verträgt solche Provokationen nicht.
"Krieg ist nicht unvermeidbar", meint der französische Präsident Jacques Chirac. Aber diese Entscheidung liegt weder in den Händen Europas noch der UNO. Allein Bush und die Seinen haben sich dafür entschieden, mit ihrem Verständnis von Freundschaft die besten Voraussetzungen für eine alt- oder neueuropäische Identität zu begründen. Die Moral dieser Geschichte könnte darin liegen, dass die Geschichte auch den bestraft, der sie ignoriert - oder um der Präventionsmoral Bushs die Ehre zu erweisen: der zu früh kommt.