Doppelstandards bei der Verurteilung von Menschenrechtsverbrechen
Zum CIA-Folterreport ist laut Bundesregierung alles gesagt
Obwohl der CIA-Folterreport seit vier Wochen veröffentlicht ist, ist die Bundesregierung äußerst zurückhaltend, was die Bewertung angeht. Der Bundespräsident schweigt gleich gänzlich. Telepolis bat den Bundespräsidenten um eine Stellungnahme und stellte der Bundesregierung einige Fragen. Weder gab es eine Stellungnahme, noch wurde eine einzige Frage angemessen beantwortet. Selten wurde die Doppelmoral des westlichen Wertebündnisses bei Menschenrechtsverbrechen deutlicher.
"In den Regierungspressekonferenzen von Dezember 2014 und Januar 2015 ist zu dem Themenkomplex seitens der Bundesregierung ausführlich und deutlich Stellung genommen worden. Auch im Namen von Bundeskanzlerin Merkel hat dort Staatssekretär Seibert wiederholt betont, dass Folter nie und durch nichts zu rechtfertigen ist. Darüber hinaus hat sich der Untersuchungsausschuss der 16. Legislaturperiode mit den Themen Ihrer Anfrage befasst. Der Abschlussbericht aus dem Jahr 2009 gibt darüber umfassend Auskunft", teilte ein Regierungssprecher Telepolis auf eine Anfrage zum Folterreport mit.
Diese Antwort soll den umfassenden Fragen offensichtlich gerecht werden. Die Bundesregierung pflegt demnach ein sehr eigentümliches Verständnis von "ausführlich" und "deutlich". Beim Bundespräsidenten sieht es nicht besser aus, dort sah man sich nicht in der Lage eine Stellungnahme abzugeben. Regierungssprecher Seibert bringt es auf der Regierungspressekonferenz vom 5. Januar auf den Punkt: "Zu diesem ganzen Komplex ist hier aus Sicht der Bundesregierung ja nun schon alles gesagt worden."
Die Kanzlerin ist erschüttert
Schaut man sich die Regierungspressekonferenzen an, wird dort alles gemacht, nur nicht ausführlich Stellung genommen. Die einzige Bekundung der Kanzlerin ist, dass sie "erschüttert" sei. Eine darüber hinausgehende Bekundung der Kanzlerin ist nicht zu erfahren. Das mag schon zu verwundern, hatte Merkel doch gerade erst in einer Regierungserklärung betont, dass Europa seine Werte schützen und verteidigen müsse.
In der Regierungspressekonferenz vom 11. Dezember wird Regierungssprecher Seibert zitiert mit den Worten: "Dass jetzt in den USA schwere Fehler bei der Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001 transparent aufgearbeitet werden, verdient unseren Respekt." Von Transparenz kann jedoch keine Rede sein. Anfang Dezember hatte The Intercept bereits auf wesentliche Verschleierungen hingewiesen.
Vor allem handelt es sich lediglich um eine Zusammenfassung, über 5.500 Seiten sind vollständig unbekannt. Die CIA hatte Einfluss auf den Endbericht und hat zahlreiche Stellen herausnehmen lassen. Zusätzlich ist sogar noch die Zusammenfassung an vielen Stellen geschwärzt. Der Bericht beschäftigt sich zudem ausschließlich mit der CIA. Andere Dienste, das Militär oder gar an private Folterunternehmer outgesourcte Verbrechen, wurden überhaupt nicht untersucht. Und dennoch würdigt die Bundesregierung die transparente Aufarbeitung. Seibert führt weiter aus:
Präsident Obama selber und die Verfasser des Senatsberichts selber kommen ja zu dem Schluss, dass die Grundwerte von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Einzelnen, Würde des Einzelnen gegenüber den Gefangenen in den Jahren nach dem 11. September 2001 in einzelnen Fällen verletzt wurden, dass Grundwerte Amerikas verletzt wurden, dass da Verhörmethoden zum Einsatz kamen, die diesen Werten absolut entgegenstanden. Ich denke, diese Erkenntnis und die jetzt durch den Senat betriebene Aufarbeitung zeigen doch sehr deutlich: Amerika bekräftigt seine Werte und will aus diesen Fehlern lernen. Dafür haben wir Respekt.
Das Wording der Bundesregierung zum größten Werteverfall des westlichen Bündnisses ist offensichtlich, dass nach dem 11. September Fehler gemacht wurden, dass man aber den USA für die Aufarbeitung Respekt zollen müsse. Die Perfidie in der Argumentation ist nicht nur die Doppelmoral, sondern vor allem die Abkehr von den Inhalten. Die Bundesregierung redet nicht von der Folter, sondern lediglich von der Aufklärung. Selbstverständlich verurteilt die Bundesregierung Folter und sagt auch, dass diese durch nichts zu rechtfertigen sei. Doch was bedeuten schon Worte?
Auf Seite 402 in der Bundestagsdrucksache 16/3400, dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses der 16. Legislaturperiode, wird eine Erklärung des Bundeskanzleramts von 2005 zitiert: "Zur aktuellen Diskussion um die CIA-Flüge begrüßte Angela Merkel die im Gespräch wiederholte Zusicherung der US-Außenministerin, dass die USA beim Kampf gegen den Terrorismus internationale Verpflichtungen und nationale Gesetze respektierten, insbesondere das Verbot der Folter."
"Wir sind, was wir tun", hat Jan Philipp Reemtsma in seinem Essay "Folter im Rechtstaat" gemahnt. Und wir tun, ob des Folterreports, nichts. Wir zollen den Folterern sogar noch Respekt, weil sie versprochen haben, das Foltern ein wenig aufzuklären und es nicht wieder zu tun. Zumindest bis zur nächsten Regierung. Dass die USA massiv und systematisch gefoltert haben, war kein Fehler, sondern politischer Wille.
Man hat ja nichts gewusst
Geradezu erschreckend ist die Beurteilung, dass es sich um Einzelfälle handelt. Vielleicht kennt die Bundesregierung ein rechtsstaatliches Verfahren, in dem die Verdächtigen auf Guantánamo verurteilt wurden. Wenn dem nicht so ist, handelt es sich nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausnahmslos um unschuldig Entführte und insofern handelt es sich nicht um Ausnahmen, sondern um alle Fälle.
Gänzlich unverständlich wird es, wenn Seibert ausführt, dass das Kanzleramt "von dem, was dieser Bericht im großen Detail niederlegt, keine Kenntnis" hatte. Diese Aussage ist beängstigend, bedeutet sie doch, dass man im Kanzleramt Tatsachen von weltpolitischer Bedeutung nicht zur Kenntnis nimmt. Bereits 2004 berichtete das IKRK von Folter in Guantánamo (Ein System der Folter in Guantanamo). Spätestens aber ab Frühjahr 2009 müssten die Folterungen bekannt sein, denn dann wurde ein Bericht des IKRK geleakt, der bereits alle nun aufgeführten Folterungen enthält. Damit nicht genug, findet sich auf Seite 362 des oben genannten Abschlussberichtes, auf der die Schilderungen Murat Kurnaz zu den "Haftumständen" in Guantánamo als glaubhaft bewertet werden:
Bestätigt werden diese Aussagen beispielsweise durch die Berichterstattung der "New York Times" am 30. November 2004, wonach Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in einem vertraulichen Bericht an die US-Regierung vom Juli 2004 die Haftbedingungen scharf kritisierten. Weiterhin wurden in einem Artikel der "Washington Post" vom 16. März 2009 Auszüge aus einem zweiten Bericht des IKRK aus dem Jahre 2007 öffentlich, in dem ebenfalls von Folterpraktiken in Guantánamo Bay berichtet wird.
Damit sollte man also sehr wohl Kenntnis von den IKRK-Berichte haben. Im geleakten Bericht befinden sich nicht nur die Aussagen derselben Personen wie im aktuellen Folterbericht, es befinden sich auch bereits alle Foltermethoden aufgelistet. Wenn man also keine Kenntnis hatte, dann wollte man es auch nicht wissen.
Auf Seite 368 findet sich eine möglicherweise auch heute noch geltende Begründung: "Der Bundesregierung wurde vorgeworfen, ein Haftbesuch bei Murat Kurnaz hätte auf Grund der - unstreitigen - Völkerrechtswidrigkeit des Gefangenenlagers auf Guantánamo durch deutsche Beamte nicht erfolgen dürfen. Dieser Vorwurf ist bei wohlwollendem Verständnis zumindest von einem gewissen ethischen Rigorismus geprägt, dessen absolute Position nicht einmal im Interesse von Murat Kurnaz selbst gelegen haben dürfte."
Man darf das Völkerrecht offensichtlich nicht zu eng auslegen. Gleiches gilt auch für die Menschenrechte und für Verbrechen gegen die Menschheit. Wer hier eine zu enge Position einnimmt, macht sich des ethischen Rigorismus schuldig.
Bundespräsident und Menschenrechtsverteidiger
Folter steht wie kaum ein anderes Verbrechen für Tyrannei. Folter ist eines der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Anzeiger für einen Unrechtsstaat. Jeder der den Bericht gelesen hat, wird erkennen, wie systematisch die Menschenrechte durch die USA gebrochen wurden. Bundespräsident Gauck, der sich gerne als Verteidiger der Menschenrechte inszeniert, hat sich immer noch nicht öffentlich positioniert. Dabei hatte er in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch beteuert, wie sehr er als "Menschenrechtsverteidiger" darunter leide, "dass nicht überall dort eingegriffen wird, wo es ethisch, zum Schutz von Leib und Leben bedrohter Menschen, geboten wäre".
Seit geraumer Zeit wird ein riesiger PR-Aufwand betrieben um Deutschland eine neue Macht und eine neue Verantwortung zukommen zu lassen, damit deutsche Interessen auch mit Waffengewalt verteidigt werden können. Denn Deutschland sei ja in der Position, so Gauck in seiner Münchner Rede, "Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden". Und wenn man keine Waffengewalt braucht, weil es sich bei den USA um einen "Freund und Partner" handelt, verfällt die politische Elite Deutschlands in Schweigen. In München hatte Gauck noch hervorgehoben:
Unser heutiges "Ja" zur eigenen Nation gründet in dem, was dieses Land glaubwürdig und vertrauenswürdig macht - einschließlich des Bekenntnisses zur Zusammenarbeit mit unseren europäischen und nordatlantischen Freunden. Nicht weil wir die deutsche Nation sind, dürfen wir vertrauen, sondern weil wir diese deutsche Nation sind. Lassen Sie uns also nicht die Augen verschließen, vor Bedrohungen nicht fliehen, sondern standhalten, universelle Werte weder vergessen noch verlassen oder gar verraten, sondern gemeinsam mit Freunden und Partnern zu ihnen stehen, sie glaubwürdig vorleben und sie verteidigen.
Die universellen Werte, die Gauck hier hervorhebt, sind vor allem die Menschenrechte. Und die Glaubwürdigkeit dieser Werte hängt sowohl vom universalistischen Anspruch ab, als auch von der Verteidigung dieser Werte. Der Universalismus der Menschenrechte bedeutet nicht nur, dass diese zu jederzeit, an jedem Ort, jedem Menschen zu eigen sind, es bedeutet auch, dass sie universell, auch und erst recht gegen Freunde, geltend gemacht werden müssen. Umso bedrückender ist es, wenn der Bundespräsident seinen Worten keine Taten folgen lässt und bei schwersten Menschenrechtsverbrechen von "Freunden" schweigt. Zwar steht er damit in der Tradition des Friedensnobelpreisträgers Obama - von Freiheit und Menschenrechten reden, aber nicht danach handeln -, doch dürfte dies nicht der Selbstanspruch sein.
Man kommt dem Schweigen wohl näher, wenn man einen weiteren Satz der Münchner Rede heranzieht:
Das Bündnis mit den Vereinigten Staaten stellen wir nicht in Frage.
Ohne eine vernehmliche Positionierung des Bundespräsidenten zum Folterreport wirken alle bisherigen Bekundungen zu den Menschenrechten nicht nur doppelmoralisch im Sinne Matthaeus 7:3 "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?", sondern erscheinen als Instrument im Kampf um Richtungsentscheidungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Menschenrechte zu instrumentalisieren, wird ihre universalistische Geltung jedoch irreparabel beschädigen.
Gauck hatte in seiner Neue-Macht-Rede treffend gesagt, dass die "Achtung der Menschenrechte nicht nur der Kern des Selbstverständnisses westlicher Demokratien [ist]. Sie ist eine ganz grundsätzliche Bedingung für die Garantie von Sicherheit, ja, für eine friedliche und kooperative Weltordnung."
Wie Recht er hatte, zeigt der aktuelle Terroranschlag in Frankreich. Einer der Verdächtigen, Chérif Kouachi, gab als 22-Jähriger vor Gericht an, die Folterbilder aus dem Gefängnis Abu Ghraib hätten ihn radikalisiert. Das ist keine Rechtfertigung. Aber wenn man das politische Handeln auf Tatsachen und nicht auf Ideologie gründen möchte, dann ist es notwendig zu verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln. Menschenrechtsverbrechen rufen Menschenrechtsverbrechen hervor. Die Rechtfertigung Gewalt sei die einzige Sprache, die Terroristen verstehen würden, ist die identische Rechtfertigung von Terroristen für ihre Gewalttaten.
Gerade deshalb ist es notwendig, dass sowohl Bundesregierung als auch Bundespräsident deutlich Stellung beziehen und aus den Erkenntnissen des Folterreports Konsequenzen ziehen.